Einheit geht auf Kosten der Aids-Obdachlosen

■ Wegen der hohen Einheits-Kosten ist das Aids-Wohnprojekt »ziK e.V.« gefährdet/ Seit 1989 vermittelte das Projekt mehr als 60 obdachlosen Aids-Kranken und HIV-Positiven eine Wohnung/ Berlin — Hauptstadt der Aids-Obdachlosigkeit

Berlin. Im Knast habe er mehr Platz gehabt, sagt Werner M. mit leicht brüchiger Stimme und streicht sich mit der tätowierten Hand das Haar aus der Stirn. Seit der 33jährige aus dem Gefängnis entlassen wurde, muß er bei seiner Großmutter wohnen. Die ist 85 Jahre alt, oft krank und kann gerade noch für sich selbst sorgen.

Ein Zimmer für beide, die Küche, Kohlenheizung und ein Klo auf der Etage — mehr kann die alte Frau ihrem Enkel nicht bieten. M. redet leise und stockend: »Bei meinem Bruder konnte ich nicht unterkommen, der ist während meiner Haftzeit verstorben, meine Mutter wurde in eine Nervenklinik eingeliefert.« Tagsüber ist Werner M. jetzt ständig unterwegs, denn in der Wohnung der Großmutter hält er es »nur zum Pennen« aus: »Da kommt mir das Siechtum entgegen.« De facto ist Werner M. obdachlos. Seine »Wohnverhältnisse« wären schon für einen gesunden Menschen höchst nervenaufreibend. Doch M. ist HIV-positiv, ein ehemaliger Drogengebraucher, der jetzt die Ersatzdroge Polamidon bekommt. Der ständige Streß kann sein Leben nur noch weiter verkürzen.

Werner M. ist einer von 150 obdachlosen HIV-Positiven und Aidskranken, die auf der Warteliste des Kreuzberger Aids-Wohnprojektes »ziK« (zu Hause im Kiez) stehen — das Projekt vermittelt Wohnungen von privaten Vermietern und Wohnungsbaugesellschaften. Für viele ist ziK die letzte Hoffnung, denn in Berlin ist die Aids-Obdachlosigkeit besonders dramatisch: 20 Prozent der deutschen Aids-Kranken leben in Berlin, 700 sind manifest erkrankt, die Zahl der an AidsF im Frühstadium leidenden Menschen ist weit höher. Seit die Mauer fiel, hat sich die allgemeine Wohnungsnot dramatisch verschärft, und die Kranken stehen am Ende der Schlange. Nach langen Krankenhausaufenthalten und Beziehungskrisen ist oft die alte Wohnung weg, nach Drogentherapien oder Knastaufenthalt fehlt das Dach über dem Kopf.

Nahezu die Hälfte der Betroffenen fristet ihr Dasein in teuren, von den Sozialämtern bezahlten »Läusepensionen«. 1.200 Mark im Monat für »ein Horrorleben«, wie der 36jährige ehemalige Kaufmann Heinrich C. resigniert meint. In der Pension mit bis zu zwölf Betten pro Zimmer hat er keine Rückzugsmöglichkeit, von seiner Krankheit darf er niemandem erzählen, »sonst müßte ich Spießruten laufen«.

Martin, heute 23, weiß seit fünf Jahren, daß er HIV-positiv ist. Die Krankheit ist bereits ausgebrochen: Bronchitis, Lungenentzündung, Gürtelrose. Die »Läusepension« ist ihm dank ziK erspart geblieben. Eine Zweizimmerwohnung in einer Wohnstraße im Bezirk Neukölln hat man ihm vermitteln können. Nicht sehr hell, aber ruhig zum Hinterhof gelegen, mit Bad und Zentralheizung — und was noch wichtiger ist: die Wohnung liegt im Erdgeschoß. Er muß nicht mehr fünf Stockwerke »hochasten, für jeden Einkauf für jede Kohlenkiepe«. In seiner letzten Wohnung ging es in keinem Winter ohne Brikettschleppen. Unterm Dach war es bitterkalt: »Ein Wetterumschwung und ich war wieder krank.« Dennoch hat er es eineinhalb Jahre auf dem Markt versucht, auch mit Wohnungstausch. Doch die kleine, stickige Wohnung wollte keiner. »Ich weiß, daß ich irgendwann einmal eine Pflegeperson brauche, hier ist wenigstens Platz, wenn es soweit ist«. Martin weiß es zu schätzen, daß er anonym wohnt: »Ich hätte keine Lust, in so einem Ghettohaus zu wohnen, wo jeder weiß, da leben Leute mit Aids.«

Wenn es die BewohnerInnen wünschen, übernimmt ziK mit dem eigenen Pflegedienst ad hoc auch die Versorgung in den Krankheitsphasen. Infusionen und Verbände anlegen, Waschen, aber auch Haushaltshilfe mit Kochen, Putzen und Einkaufen rund um die Uhr. »Ganzheitliche Pflege« nennt dies ziK-Geschäftsführer Christian Thomes. Und dazu gehören auch nächtelange Gespräche, wenn die Depressionen wiederkommen, dazu gehört die »Krisenintervention« — und am Ende die Sterbebegleitung.

62 Betroffenen hat das Projekt, eine von der Aids-Hilfe und Drogenberatungsstellen gegründete GmbH, seit November 1989 Wohnungen vermittelt. Es sind zur einen Hälfte DrogengebraucherInnen und Substituierte, zur anderen schwule Männer. Teils haben sie durch ziK bei Vermietern und Wohnungsgesellschaften einen eigenen Vertrag bekommen, teils hat ziK Verträge übernommen. Nur über »Mietgarantien, massive Lobbyarbeit und geschäftsmäßiges, seriöses Auftreten« komme das Projekt an diese Wohnungen heran, erklärt Thomes. Auch der »prominente« Beirat von ziK trage zur erfolgreichen Aquisition bei. In dem sitzen Anne Momper, Frau des Ex-Regierenden Bürgermeisters, Ärztekammerpräsident Ellis Huber, der Aids-Mediziner L'Age und die CDU-Gesundheitsexpertin Wanjura. »Anders als durch ziK kommen die Aids-Kranken nicht mehr an Wohnungen heran«, sagt Anne Momper.

Das Projekt hat mit Geldern der Lotto-Stiftung ein eigenes Haus erworben. Thomes will in Zukunft verstärkt an die rund 1.000 Wohnungen heran, die die Berliner Bezirke seit den 50er und 60er Jahren für Tuberkulosekranke reservieren. Dieses Kontingent solle nun den Aids-Betroffenen zur Verfügung gestellt werden, fordert Thomes. Appelle an Moral und Mitleid reichen nicht, das weiß er. Deshalb betont Thomes immer wieder, daß die Unterbringung durch ziK den Staat letztlich billiger kommt, als die Unterbringung in Pensionen oder in Chroniker-Pflegeheimen — auch wenn die Grundsicherung kranker Menschen eigentlich »keine Frage der Kosten sein« dürfe.

Die deutsche Einheit und ihre Kosten gefährden nun die Weiterexistenz und Absicherung des Projekts. Im noch nicht vorgelegten Bundeshaushalt und im Landeshaushalt sind radikale Schnitte vorgesehen. In Berlin sollen 600.000 Mark im Selbsthilfebereich eingespart werden. Vorerst sind alle Projektmittel gesperrt. Die von Bonn bezahlten vier Stellen für die Pflege werden nur noch bis Ende September finanziert.

Das Ende von ziK wäre auch das Ende aller Hoffnung für Susanne B. Seit einem Jahr sucht die ehemalige Fixerin eine Wohnung, »damit ich eine Basis habe«. Ihre Uhr, sagt die 22jährige, »tickt schneller als die der Vermieter«, deshalb hat sie keine Lust mehr »auf den Affentanz«. Der »Dringlichkeitsschein« für eine Sozialwohnung nützte bei den Wohnungsbaugesellschaften überhaupt nichts, den haben Tausende. Die Vermieter verlangten Bürgschaften, aus Angst, keiner würde für die Miete aufkommen, wenn Susanne erst einmal krank wird. »Sag, daß du Krebs hast«, riet ihr die Frau beim Gesundheitsamt. Hans-Hermann Kotte

Die Namen der Betroffenen wurden von der Redaktion geändert.