Niemand will die „besten Autos der Welt“ kaufen

Die drei großen Autohersteller der USA rutschen tief in die Rezession/ Großteil der Schwierigkeiten ist hausgemacht: Japaner fahren Amis davon  ■ Aus Flint Rolf Paasch

Das Schild auf dem Parkplatz an der Vanslyke Road ist nicht zu übersehen: „Das Parken von im Ausland gefertigten Autos ist absolut verboten. Zuwiderhandelnde werden auf eigene Kosten abgeschleppt! Gez. Der Gewerkschaftsrat der United Automobile Workers.“ Diese Drohung, in großen Lettern auf die amerikanische Flagge gemalt, hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Kaum eines der hier von den Gewerkschaftsmitgliedern abgestellten Fahrzeuge ist kürzer als fünf Meter. Die Autoarbeiter von Flint fahren ausnahmslos die großen amerikanischen Schlitten, von denen sie und ihre Heimatstadt wirtschaftlich abhängen.

Mit 50.000 Beschäftigten weist das eine Autostunde nördlich von Detroit gelegene Flint die weltweit höchste Konzentration von General- Motors-Arbeitern auf. Die lokalen Steuern dieses größten Industrieunternehmens der Welt machen 40 Prozent der städtischen Einnahmen aus. Flint ist General Motors — und genau das wird für die Stadt erneut zum Problem.

Schon heute erweckt Flint den Eindruck, als sei die Stadt vor einiger Zeit aufgestanden und habe sich einfach selbst verlassen. Das nach der tiefen Rezession Anfang der 80er Jahre noch übriggebliebene Stadtleben hat sich draußen an den breiten Ausfallstraßen der Dort und Fenton Highways angesiedelt. Der Stadtkern gilt nach Dienstschluß von Behörden und Universität als „schlechte Nachbarschaft“, der man besser fernbleibt.

Mahnmale des Autotourismus

Wie leer, übergroße Muscheln liegen die Gebäude des „Autoworld Museum“ und des neuen Geschäftszentrums mitten in der Stadt: Mahnmale des Autotourismus der Disneyland Art. Das Neonschild mit den „kommenden Attraktionen“ leuchtet unbeschriftet in die Nacht.

Die Stadt verbirgt ihre Probleme nicht. Der Veranstaltungskalender des 'Flint Journal‘ weist an diesem Abend gleich die Treffen von zwölf Selbsthilfegruppen auf: von den „erwachsenen Kindern von Alkoholikern“ über die Gruppe für „Manisch-Depressive“ bis hin zu den „Eltern mißratener Teenager“. Das respektlose Porträt Flints in der Filmsatire Roger and Me mag zwar übertrieben sein, doch selbst Marcia McGhee, die als Pressesprecherin von GM in dem Film ein paar positive Sätze über Flint sagen durfte, muß heute in schönfärberischem Publicity-Speak zugeben: „Seitdem die Wirtschaftsabschwünge in der Autoindustrie nicht mehr zyklisch sind, hat Flint große Anpassungsschwierigkeiten.“

Und diese Schwierigkeiten werden noch zunehmen. Den „Großen Drei“ der amerikanischen Autoindustrie, GM, Ford und Chrysler, geht es wieder einmal schlecht, vielleicht sogar schlechter als je zuvor (siehe Kasten). Die aggressive Marktpolitik der japanischen Konkurrenz auf heimischem Boden, die Rezession und jetzt auch noch der Krieg haben die Strukturprobleme der „Big Three“ offengelegt. Amerikas Autohersteller haben auch nach den Sanierungsmaßnahmen der letzten Jahre immer noch zu hohe Betriebskosten und viel zu viele Fabriken.

Wer in diesen Tagen in Flint oder woanders im Lande eine der mit glänzenden neuen Modellen zugeparkten Autohandlungen betritt, sieht sich sofort von einer ganzen Horde von Verkäufern umringt, die gleich unglaubliche Rabatte anbieten. Der Grund für diesen begeisterten Empfang ist einfach: Der Käufer ist meist der einzige im Verkaufsraum des Automobilhändlers.

Im ersten (Kriegs-)Monat dieses Jahres verkauften die führenden Automobilhersteller täglich 11.000 Kraftfahrzeuge weniger als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Dieser plötzliche Absatzrückgang von knapp 28 Prozent hat General Motors in der letzten Woche zu einem Paket sofortiger Gegenmaßnahmen veranlaßt. Die Dividende wurde um 47 Prozent gekürzt, 15.000 der gegenwärtig 99.000 Gehaltsempfänger in den USA sollen über die nächsten Jahre vorzeitig pensioniert oder abgefunden werden. Den ManagerInnen wird der Bonus gestrichen, und von den bis 1993 vorgesehenen sieben Milliarden Dollar Investitionen sollen jährlich 500 Millionen Dollar gespart werden. Sechs der über 30 Produktionsanlagen werden in dieser Woche mit einer Schicht nur noch zur Hälfte ausgelastet sein.

Der heimischen Konkurrenz geht es kaum besser. Insgesamt werden in diesen Wochen 61.000 AutoarbeiterInnen vorübergehend entlassen werden, allerdings ohne allzu große Kosteneinsparungen für die „Big Three“. Nach den im letzten Oktober abgeschlossenen Tarifverträgen stehen den ArbeiterInnen in den nächsten drei Jahren bis zur 36. Entlassungswoche 95 Prozent ihres regulären Lohnes zu.

Daß die als Nummer drei schon abgeschlagene Chrysler Corporation mit einem Quartalsplus von 31 Millionen Dollar für 1990 gar einen Jahresprofit von 68 Millionen Dollar verbuchen konnte, ist lediglich einer Umstellung der Buchhaltung geschuldet. Außerdem profitiert Chrysler noch von den drei Milliarden Dollar Kosteneinsparungen des Vorjahres, die unter anderem die Entlassung von 27.000 Angestellten zur Folge hatten.

Was MarktbeobachterInnen von dem Konzern des allgemein überschätzten Vorsitzenden Lee Iacocca halten, zeigt die neueste Einschätzung von Chryslers Kreditwürdigkeit durch die Standard&Poors Corporation. Mit einer erneuten Herabstufung auf ein „Doppel B plus“ ist die Kreditwürdigkeit des Autoherstellers auf das Niveau sogenannter Schrottanleihen abgesunken.

Auf diesem Junk-bond-Niveau hatte sich Chrysler schon einmal befunden: im August 1979, als der Bankrott schließlich nur noch mit staatlicher Hilfe vermieden werden konnte. Gleiches wäre jedoch heute unter dem Dogma vom uneingeschränkten Laisser-faire der konservativen Regierung undenkbar.

Im Gewerkschaftsgebäude der Local 659, wo gerade der 54.Jahrestag des ersten Tarifabschlusses mit General Motors gefeiert wird, nimmt man die neuen Hiobsbotschaften mit erstaunlicher Gelassenheit hin. Die Gewerkschaftsführung hält ihre Mitglieder durch den „exzellenten Tarifvertrag“ vom Oktober für ausreichend abgesichert. 1993, bei den nächsten Tarifverhandlungen, so glauben die Gewerkschafter, wird die Rezession längst überwunden sein.

Wenn in diesen Tagen aus den Managementetagen von Chrysler und GM die ersten Warnungen zu vernehmen sind, der Tarifvertrag müsse im Falle eines sich länger hinziehenden Golfkrieges und einer anhaltenden Wirtschaftskrise eventuell neu verhandelt werden, stellt man sich bei den „United Automobile Workers“ (UAW) lieber taub. „Das kommt für uns überhaupt nicht in Frage“, so Ross Brown, Vizepräsident der Local 659.

Sollte allerdings die Rezession bis ins 4.Quartal dieses Jahres hineinreichen, dann dürften die von den Unternehmen beiseite gelegten Rücklagen bald aufgebraucht sein. Chrysler wird Ende Februar bereits ein Viertel seines 600 Millionen- Dollar-Polsters für Lohnersatzleistungen aufgebraucht haben.

Um ihre Dividenden nicht noch weiter kürzen zu müssen, drängen die Autokonzerne nun ihre Zulieferer zu Preisnachlässen — mit negativen Folgen für die in Autostädten wie Flint bereits existierende Lohnspaltung zwischen der schrumpfenden, aber wohlverdienenden Stammbelegschaft der Autokonzerne und den stündlich bezahlten Arbeitskräften in den Zuliefer- oder Dienstleistungsbetrieben.

Nach den Gründen für die besorgniserregende Lage ihrer Industrie befragt, zeigen die Gewerkschafter der UAW weniger auf den ehemaligen Klassenfeind in GM-Führungsetagen, sondern nach Washington. Natürlich müsse Detroit noch mehr von den Japanern lernen, „vor allem was die Verpflichtung gegenüber den Arbeitern angeht“, wie es Gewerkschaftssekretär Norm McComb formuliert. Doch die eigentliche Ursache allen Übels sei „das Nichteingreifen der Regierung in Washington gegen die japanischen Importe“. Zwar haben die Wähler des Bundesstaates Michigan auf Drängen der UAW vornehmlich protektionistisch eingestellte Abgeordnete in den Kongreß entsandt. Doch auf die strikte Freihandelspolitik der Regierung hat dies bisher keinen Einfluß gehabt. „An der Flut japanischer Importe“, so Ross Brown, „hat sich nichts geändert“.

Genaugenommen sind es weniger die aus Japan importierten Fahrzeuge als die in den USA unter japanischer Regie hergestellten Hondas, Nissans und Toyotas, die den „Big Three“ in den 90er Jahren weitere Marktanteile abnehmen dürften. „Das hat Detroit gerade noch gefehlt“, kommentierte 'Business Week‘ im Dezember die Entscheidung Toyotas, in Kentucky für 800 Millionen Dollar ein zweites „Transplant“-Werk zu errichten: Jahresproduktion mindestens 200.000 Fahrzeuge. Nissan will die Kapazität seines Werkes in Tennessee bis 1992 auf 450.000 Autos verdoppeln. Honda baut mit dem Mittelklassewagen „Accord“ schon heute das in den USA meistverkaufte Auto.

Nachdem der Marktanteil der amerikanischen Autohersteller von 82 Prozent im Jahre 1978 heute auf 67 Prozent gesunken ist, bleibt es so nur noch eine Frage von Monaten, bis die Japaner mehr als ein Drittel des US-Marktes beherrschen.

Hochkomplexe Roboter, unqualifizierte Arbeiter

Dabei hatten die „Großen Drei“ in den 80er Jahren alles mögliche versucht, in Sachen Produktivität zu den Japanern aufzuschließen. Und nicht ohne Erfolg. Der neue Ford „Taurus“ läuft im Werk von Atlanta nach nur noch 17,6 Arbeitsstunden aus der Halle, was durchaus dem Schnitt bei der japanischen Konkurrenz entspricht. Statt wie bei GMs „Pontiac“ aus 100 Teilen wird die „Taurus“- Stoßstange dort nur noch aus zehn Einzelteilen zusammengesetzt.

In dem seit 1984 als joint venture zwischen GM und „Toyota“ betriebenen Werk im kalifornischen Freemont konnte der Automobil-Ausstoß pro Arbeiter deutlich erhöht werden. Doch die Integration von Produktionsdesign, Managementstrukturen und Automationsniveau, die nach einer Studie des „Massachusetts Institute for Technology“ für Produktivitätsfortschritte entscheidend ist, gelang den US-Autobauern längst nicht überall. In Maryann Kellers Buch über Das böse Erwachen der US-Autoindustrie wird genau beschrieben, wie die amerikanischen Nachahmungsversuche japanischer Methoden auch daran scheiterten, daß den hochkomplexen Robotern nur mangelhaft ausgebildete Arbeiter zur Seite gestellt wurden.

Als Resultat dieser technologischen und planerischen Aufholjagd produzieren die US-Hersteller heute weitaus bessere Automobile als noch vor wenigen Jahren, die es in ihrer Reparaturanfälligkeit sogar mit der japanischen Konkurrenz aufnehmen können, nur daß die wettbewerbsorientierten japanischen Firmen in der Zwischenzeit, so der Londoner 'Economist‘, „noch bessere Autos zu noch niedrigeren Preisen bauen“.

„Wir können auch heute noch viel von den Japanern lernen“, sagt Marcia McGhee, die von ihrem Zimmer im Verwaltungsgebäude von GM auf die Silhouette von „Buick City“ blickt, einer weiteren Vorzeigefabrik des Mammutkonzerns GM. Solange Buick mit einem Autotest werben geht, auf dem sein hier produziertes Modell hinter den Japanern und Europäern als beste amerikanische Luxuslimousine auf Platz fünf landet, mag man ihr da kaum widersprechen.

Selbst bei weiteren Verbesserungen in Produktion und Management wird es noch lange dauern, bis die US-Hersteller den Imagevorsprung der Japaner ausgeglichen haben. „Die Käuferwahrnehmung hinkt der Realität immer hinterher“, erklärt McGhee das nächste Problem ihrer Industrie. So ist der in Kalifornien unter dem Chevrolet-Namen produzierte Mittelklassewagen „Geo Prism“ längst nicht so erfolgreich wie der ebenfalls dort hergestellte „Toyota Corolla“, das gleiche Auto, das aber unter japanischem Markenzeichen verkauft wird.

Eine Studie der Washingtoner „Brookings Institution“ kommt zu dem Ergebnis, daß der Wiedergewinn der in den 80er Jahren für GM verloren gegangenen Kundenloyalität Jahre in Anspruch nehmen wird. Danach könnte es bis zu einem Jahrzehnt dauern, ehe die US-Hersteller den Rückgang ihrer Marktanteile zu stoppen vermögen.

Ehe dies soweit ist, werden die drei großen Autohersteller noch einige ihrer strukturellen Wettbewerbsnachteile ausräumen müssen. Solange Toyota pro Beschäftigtem 45 Autos, GM aber nur 10 baut, solange die Japaner ihre neuen Modelle doppelt so schnell auf den Markt bringen, und solange die Amerikaner die freiwilligen Importquoten für japanische Fahrzeuge statt zu einer Verbesserung ihres Marktanteils zu Preiserhöhungen ausnutzen, solange wird die internationale Konkurrenzfähigkeit Detroits auf sich warten lassen. „Der einzige Weg, eine amerikanische Autoindustrie zu retten“, so formulierte es der 'Economist‘ vielleicht etwas überspitzt, „ist, die gegenwärtige sterben zu lassen“.

Doch ohne eine hilfreichere Politik aus Washington, ohne den disziplinierenden Effekt eines höheren Benzinpreises auf die immer noch anachronistische Modellauswahl der US-Hersteller und ohne die Anpassung ihrer schwerfälligen Unternehmensbürokratien an die leichteren japanischen Konzernverwaltungen dürfte die amerikanische Autoindustrie den Anschluß nie schaffen.

Alles strebt in die Vergangenheit zurück

Trotz alledem verläßt man Flint nicht mit dem Gefühl, daß hier angemessen auf die Herausforderung reagiert wird. Von dem 50er-Jahre-Design des neuen „Caprice Classic“ bis hin zur nostalgischen Gewerkschaftersprache scheint alles in die Vergangenheit zurückzustreben. Die Reaktion der UAW auf die japanische Konkurrenz erscheint so defensiv wie die des GM-Managements auf neue Gesetze zur Herabsetzung des Benzinverbrauchs. Daß GM seine Profite mittlerweile in Europa und nicht mehr in Nordamerika erwirtschaftet, daß in Kalifornien bereits jede zweite US- BürgerIn einen japanischen Wagen über die Freeways steuert, scheint sich in Flint noch nicht so recht im Bewußtsein festgesetzt zu haben. Nein, hier werden immer noch „die besten Automobile der Welt gebaut“, auch wenn dies draußen im Lande kaum noch jemand wahrnimmt. Statt der drohenden Realität weiterer Marktverluste wird in Flint das Schild auf dem Gewerkschaftsparkplatz ernstgenommen. „Das mit dem Abschleppen japanischer Fahrzeuge“, sagt Norman McComb, „das setzen wir hier erbarmungslos durch“.