Schwarz-Weiß in Farbe

Südafrikas SABC stellt sich auf neuen Zeiten ein und plant den Ausverkauf/ Verfassungsrechtlich verankertes „Recht auf Senden“ gefordert  ■ Aus Johannisburg C. Robinson

„Wo bin ich hier eigentlich?“, fragte der im französichen Exil lebende Schriftsteller Breyten Breytenbach. „Das sieht eher wie Washington und Las Vegas aus.“ Anläßlich einer Literaturpreisverleihung hatte der südafrikanische Schriftsteller in seiner Heimat in seinem Hotelzimmer den Fernseher angestellt. Ja, wir finden im Süden Afrikas die gleiche unglückselige Soße aus Staatspropaganda und american trash wie in jedem anderen „Dritte-Welt-Land“. 7,7 Millionen Fernsehzuschauer (von einer Gesamtbevölkerung von 35 Millionen, denen zu 70 Prozent Strom und fließend Wasser fehlen) zahlen brav ihre Gebühren, um sich an Capitol, Dallas, Star Trek und den Golden Girls zu delektieren. Entsteht so der neue afrikanische Mittelstand?

Man nehme CNN fürs Internationale, füge Nachrichten, deren Texte per Standleitung aus des Präsidenten Büro zu kommen scheinen, hinzu, addiere das Ganze mit Bildern, Texten, Liedern, deren einziges Ziel die Förderung „positiven Südafrikanertums“ und die Verhinderung von „Konfrontation, Revolution, Gewalt und Unruhe“ ist und heraus kommt ein ungenießbares Teufelsgebräu, das zum Erbrechen ist: Apartheid. Zum Abschalten.

„Warum sehe ich eigentlich fern?“, läßt der grandiose südafrikanische Schriftsteller J.M. Coetzee in seinem neuen Roman Age of Iron die Hauptfigur fragen. „Warum lasse ich diese Politikerparade jeden Abend in mein Wohnzimmer? Diese plumpen Bauerngesichter, diese Schweinsaugen, diese Machtgier, die schon lange nicht mehr nach Legitimität fragt, dieser Hunter, mit dem sie, Heuschreckenschwärmen gleich, alles Leben zermalmen, Viva La Muerte, Tod dem Leben, dieser ewige Krieg der Buren ... Ihre einzige historische Leistung: Stupidität zu einer Tugend emporgehoben zu haben ... Ich sage mir, daß ich nicht ihren Lügen zuhöre, sondern den Raum dahinter betrachte, wo doch eigentlich die Wahrheit liegen müßte ...“

Blackout, ein Monolog

Immer noch sind die heute vier Fernsehkanäle des 1936 gegründeten „South African Broadcasting Corporation“ (SABC) wie mit der Rasierklinge voneinander getrennt. Worlds apart. TV 1 und 4 strahlen persilscheinweiß und nehmen 2 und 3, die „schwarzen“, drittklassigen, in die Zange, ideologisch und finanziell. Afrika muß leider draußen bleiben, schließlich sind wir ein christliches Land, standen noch bis vor einigen Jahren überall Schilder „For Europeans only“. „Die“ brauchen doch nicht mehr als nette Ratespiele, wo die Gewinne noch bar ausbezahlt werden, oder neckische Sing- und Tanzspiele. Der Schwarze tanzt eben gerne. Das reicht denen doch. Auf deren Nachrichten werfen wir im Sender noch mal ein Auge. Was? „Bantu-Journalismus“? Aber nein, Gruppeninteressen, fünf Sprachen für die, für uns Englisch und Afrikaans. Schon anstrengend genug, das alles zu organisieren, hat uns Milliarden gekostet seit 1948, seit wir an der Macht sind, wir Nats. Keine Angst, vier Kanäle und sieben Sprachen, da schaltet keiner so schnell um. Und wenn, versteht er nichts, hä, hä.

Natürlich haben wir eigene Produktionen! Geh in unsere Studios in Johannesburg, laß dir von Frau Swanepoel die Kulissen zeigen für Good Morning South Afrika, die Puppenstudios für die Kleinen, die Studios, in denen die Prediger so schön predigen und die religiösen Chöre so schön singen, oder die Schlagerparaden für die Großen. Afrikaans- Country. Haben wir alles selbst gemacht, trotz Kulturboykotts! Ja, wir haben unser eigenes Dallas gehabt, das hieß Whirlpool, war sogar ein Schwarzer drin. Nein, nicht der Gärtner, ein Arzt. Und dann People like us, 26 Folgen, die 1986 in der „Reformphase“ P.W. Bothas gedreht wurden: Inder und arme Weiße in einem „gemischten“ Stadtteil. Wurde leider erst 1989 ausgestrahlt. Oder Binne Kring — total spannend, wie der KGB die Regierung Südafrikas infiltrierte. Wie? Ja gut, das wurde gezeigt, als die Kommunistische Partei Südafrikas schon legalisiert war, 1990. Was, veraltet? Die Gesellschaft ist immer schneller, der Staat der Hase, und der Igel läßt sich nicht unterkriegen? Versteh' ich nicht ...

„Bla-Bla“- Kosmetik

„Wir wissen mehr über den Mittleren Osten als über das nächste Squattercamp nahe Johannesburg“, meint der Medienkritiker John van Zyl. Alle, gerade auch die Weißen, seien durch diese systematische Volksverdummung deformiert. Fernsehen perpetuiere Apartheid täglich, nur in „spasmischen Schüben“ käme Wirklichkeit in die Wohnzimmer. Schwere Schübe: Bilder der Gewalt, amorphe schwarze Massen, Polizei, Schäferhunde, verstümmelte Leichen ... Da das Fernsehen erst 1976 startete, habe man zudem das ganze libertäre Gedankengut der sechziger und siebziger Jahre in Europa und den USA verpaßt: Pazifismus, Sexualität, Drogen, Feminismus, Freiheit des Individuums. „Ich zweifle, ob die Soldaten so freudig in den angolanischen Krieg gezogen wären, hätten sie einige Vietnam-Dokumentationen gesehen.“ Van Zyl hofft auf ein zukünftiges öffentlich-rechtliches System, in dem endlich die soziologischen Kategorien behandelt werden, die immer ausgeblendet wurden: Geschlecht, Rasse, Klasse, Arbeit.

Doch Big Brother SABC hat eigene Pläne. Ab Januar 1991 gab man sich ein neues Logo für die Nachrichtensendung und in Kanal 1 machen Zauberworte wie „Debatte“ und „Hintergrund“ die Runde. Auch das im Januar eingeführte „Diepte-Programm“ Agenda etwa, so SABC-Direktor Johan Pretorius mit stolzgeschwollener Brust, soll dreimal die Woche um zehn Uhr abends „hochaktuell“ und „themenorientiert“ sein, „Ehrlichkeit und Direktheit“ seien garantiert. In der ersten Sendung „Redefreiheit in den Medien“ holte man neben ANC-Mann Mazwai Piliso auch Eugene Terreblanche von der rechtsradikalen „Afrikaaner Werstands-Beweging“ (AWB) ins Studio. Der moserte nur herum, wie „links“ die Moderatoren seien. Diese Art der „Ausgewogenheit“ jedenfalls ließ nicht viel Raum für Debatte. So kam Außenminister „Pik“ Botha ungeschoren davon. Auf die Frage, ob Südafrika an Irak Waffen geliefert habe, meinte er nur trocken: „Nein“. Die Moderatoren schluckten's. „Blabla-Kosmetik“, nennt die Medienkritikerin der alternativen Wochenzeitung 'Weekly Mail‘ denn auch die Programmreförmchen.

Fort Knox

„Sicher“, gibt Willie Currie zu, „seit der Freilassung Mandelas hat sich einiges geändert. Trotzdem trauen wir dem SABC nicht. Wir fordern, daß SABC endlich Gewerkschaften ungehindert arbeiten läßt, daß die Zukunft der Medien so wie anderer gesellschaftlicher Bereiche auch im Rahmen der Verfassungsgespräche verhandelt wird. Und wir wollen, daß in der jetzigen Übergangszeit ein noch zu nominierendes Kontrollgremium eine faire Berichterstattung garantiert.“ Currie, Mitglied der knapp zwei Jahre alten „Film und Allied Workers Organisation“ (FAWO) ist mißtrauisch. Senden hieß schließlich immer Sendungsbewußtsein der seit 1948 herrschenden weißen Minderheit. Seither sitzen in den Führungspositionen des SABC durchweg Mitglieder der Nationalpartei und des „Broderbondes“, einer Art Geheimloge der Buren. SABC kontrolliert sich selbst und natürlich alles andere. Fort Knox total. Dennoch gelang es dem Privatkanal M-Net, den ungefähr eine halbe Million SüdafrikanerInnen abonnieren, seit Mitte der achtziger Jahre zur bedrohlichen Konkurrenz zu werden. Monopolist gegen Monpolisten: Der Kanal, den die vier größten Zeitungsgruppen des Landes in Murdoch-Manier starteten, zeigt anspruchsvolle, relativ neue internationale Filme und bringt mit seinem Programm Carte blanche und den australischen 60 Minutes Themen wie Aids oder Vergewaltigung in die zumeist reichen weißen Haushalte. Eine Lizenz für Nachrichten wurde M-Net nur nach langem Ringen erteilt, doch dürfen diese nicht zur gleichen Zeit wie die des SABC gezeigt werden, da dies „sensationlastige Berichterstattung im emotionalen Stil“ (Innenminister Gene Louw) begünstige.

Auch Bop-TV, das Fernsehen des sog. „unabhängigen“ Homelands Bophutatswana, wird an der kurzen Leine gehalten. Bop-TV, das auch britisches Material anbietet, das aufgrund des Kulturboykotts nicht nach Südafrika darf, erhielt zwar die Lizenz für den Großraum Johannesburg, doch verhindert der dortige SABC-Fernsehturm, daß „Bop“ sein Programm neben Soweto eben auch in weiße Stadtteile beamt.

Privatisierung

Größten Druck erhielt der SABC- Komplex bisher allerdings im Rundfunkbereich von BBC-Afrika-Service, der via Mittelwelle aus Lesotho strahlt und seinen Fernsehdienst ab 1993 auch für Südafrika anbietet. Und durch „Radio 702“, eine der wenigen unabhängigen Stationen, bei dessen nächtlicher HörerInnendiskussion Talk at Ten erstmals Schwarz und Weiß „ohne Filter“ den Dialog üben. „702“ schaffte es, an einem Abend eine Million Rand (ca. 600.000 DM) für eine Waisenorganisation in Johannesburg zu sammeln. Während SABC 1 nur ein Spendenkonto für halbverhungerte Schweine im rassistischen Welkom (Transvaal) auf die Beine brachte — was Zyniker in ihrer Meinung bestätigt, daß in diesem Land Natur- und Tierschutz über dem menschlichen Leben stehen ...

Schon im März 1990 gab Innenminister Louw bekannt, daß der SABC umstrukturiert werde und man eine spezielle „Task force“ damit beauftragt habe, einen Untersuchungsbericht bis Juni 1991 vorzulegen. Die Mitglieder sind weiß, männlich, sie sprechen zu 90 Prozent Afrikaans und kommen aus dem Partei- und Sicherheitsapparat. Seither mehren sich Gerüchte, die Regierung plane, den SABC-Moloch zu privatisieren, um eine Übernahme durch eine schwarze Mehrheitsregierung zu verhindern. Bis zu 30 Prozent der 6.000 MitarbeiterInnen sollen demnach entlassen werden und nur ein Fernsehkanal (Englisch und Afrikaans) und drei Radiostationen (von bisher 24 in elf Sprachen) sollen übrigbleiben. Der Rest werde an kommerzielle Betreiber verkauft. SABC würde seine eigene Satellitenkommunikation starten und sich in Kultur-, Sport- und Bildungsprogramme einkaufen. „Ich bin absolut gegen diese Privatisierung“, so Michael Markowitz von der „Campaign for Open Media“ (COM), einem Zusammenschluß aller wichtigen Mediengewerkschaften in Südafrika. Markowitz will in einer „Bill of Rights“ das Recht der freien Meinungsäußerung mit besonderer Erwähnung eines „Rechts auf Senden“ verfassungsmäßig verankert sehen. Dafür gingen tausende Mitglieder politischer Gruppen, Gewerkschaften wie auch FAWO und COM am 25. August 1990 mit einem „langen Marsch zum SABC“ auf die Straße. „The people shall broadcast“, „Free the SABC“, „Don't privatize, democratize“ stand auf ihren Transparenten.

Auch Mark Newman, unabhängiger Filmemacher, ist sicher, daß kommerzielles TV kaum das erzieherische Potential des Mediums ausreizen könnte, welches das zerrissene Land zum Wiederaufbau einer lebbaren nationalen Identität so nötig brauche. Er hofft, daß mit einer „kohärenten Strategie“ der Post-Apartheit-Staat die Weichen sowohl für eine prosperierende und international konkurrenzfähige Film- und Fernsehindustrie als auch -kultur stelle.

Trotz jahrzehntelanger Repression und Zensur hat das Land innovatives Potentialgenug, denkt man an all die Videogruppen, Filmemacher, Stückeschreiber und Musiker, deren Arbeit im Ausland zur Genüge anerkannt wird. Der SABC, so FAWO in einem Briefwechsel mit Professor HC Viljoen, Chef der „Task force“, solle doch endlich das Verbot aller Filme und Videos progressiver Südafrikaner aufheben und diese Stücke ausstrahlen. Viljoens Antwort: „Wir wollen kein Material senden, das Gewalt oder Kontroverse erweckt. Denn das kann ethnische und kulturelle Gefühle verletzen und Gruppen gegeneinander aufhetzen, die doch nebeneinander leben sollen, in einem Land, das aufgrund seiner großen Bevölkerungsunterschiede in verschiedene Interessengruppen geteilt ist. Wir wollen Differenzen überbrücken und sie nicht größer machen.“

Das alles kann ANC-Mann und „Kulturoptimist“ Albie Sachs nicht erschüttern. „Diese Übergangsgesellschaft ist wie eine Komödie. Wir wollen Geschichten erzählt bekommen, wir wollen uns sehen, und wir wollen über uns lachen. Die Zeit ist also reif für Soap-operas. Aber südafrikanische, keine US-amerikanischen.“ Recht hat er. Denn Südafrika liegt doch in Afrika, oder?