: Philosphen zum Golfkrieg
■ Ein "gerechter" Krieg hat keine Legitimationsgrundlage
An den Unterschieden in der Einschätzung des Golfkrieges hat sich die bundesrepublikanische Linke schon jetzt in einem Ausmaß zerstritten, wie es vorher nur die Differenzen in der Beurteilung der deutschen Vereinigung mit sich gebracht haben; beide Streitpunkte zusammengenommen, werden diese Jahre im historischen Rückblick als der Augenblick gelten, in dem sich die politischen Lager in der Bundesrepublik Deutschland vollkommen neu zusammengesetzt haben. Wer wie ich der Überzeugung ist, daß der Vorrat an unproblematisierten, dogmatisch tradierten Übereinstimmungen innerhalb der Linken schon immer zu groß war, wird das mit einer gewissen Beruhigung erleben; umso penibler muß heute aber die Prüfung sein, der die sachlichen Argumente unterzogen werden, die die sich neu formierenden Gruppierungen angesichts des Golfkrieges vorzubringen haben. Bevor ich selber auf einige der gestellten Fragen antworte, scheint mir eine prinzipielle Vorbemerkung wichtig, die den Zeitpunkt der angefragten Stellungnahme berücksichtigt: Weil jeder Krieg die Tendenz einer schrittweisen Demaskierung der Interessen und Einstellungen der beteiligten Parteien hat, unterliegt derjenige einer fatalen Abstraktion, der sich in seiner normativen Beurteilung des Golfkrieges heute noch auf die politischen Rahmenbedingungen seiner Eröffnung bezieht. Zumindest drei Sachverhalte sind es, über die wir inzwischen infolge der demaskierenden Wirkung des Krieges gesichertes Wissen haben können, während darüber noch vor einigen Wochen nur hypothetische Vermutungen angestellt werden konnten:
1. Saddam Hussein ist zu den von ihm immer wieder angekündigten Völkerrechtsverletzungen zwar militärisch vielleicht nicht in der Lage, aber seiner ganzen Einstellung nach unter allen Umständen bereit. Über diese Bereitschaft zu einer aggressiven Expansionspolitik hätten wahrscheinlich schon nach dem Einsatz von Giftgas gegen die Kurden und der Kriegsführung gegen den Iran keine Zweifel mehr bestehen dürfen, aber angesichts der ganz und gar nicht harmlosen Abschießung von Scud-Raketen auf das unbeteiligte Israel, der öffentlichen Zurschaustellung von gefolterten Kriegsgefangenen und den mit Recht „Ökoterrorismus“ genannten Kriegshandlungen muß darüber Sicherheit bestehen. Zur Erklärung der destruktiven Einstellungen Husseins bedarf es nicht unbedingt des historisch problematischen Vergleichs mit Htiler, aber jeder unmißverständliche Hinweis auf das schwer kontrollierbare internationale Gefahrenpotential des irakischen Diktators hat den selben richtigen Effekt, den die öffentliche und drastische Offenlegung der Vernichtungsabsichten des deutschen Diktators Mitte der dreißiger Jahre gehabt hätte.
2. Wenn es vorher eine kollektive Identität der arabischen Bevölkerung in ersten Umrissen auch gegeben haben mag, so wird sie inzwischen durch die frontenschaffende Logik des Krieges als ein sozialer Tatbestand geradezu tagtäglich verstärkt. Nicht mehr zu übersehen ist heute, daß große Teile der Bevölkerung in den arabischen Ländern in dem wahrscheinlich hoch ambivalent besetzten Saddam Hussein auch ein Symbol der entschlossenen Vergeltung für den politischen Ausschluß ihrer ökonomisch inzwischen zu Weltgeltung gelangten Staaten sehen; der Krieg wird daher nicht nur Hunderttausende von Menschenleben kosten, sondern auch den „Preis“ einer kollektiven Vergeltungsmentalität fordern, der schon jetzt in jedem Plan einer Nachkriegsregelung miteinbezogen werden muß.
3. Der internationale Rechtfertigungsdruck, unter dem die Kriegshandlungen der alliierten Truppen nicht nur von seiten der Friedensbewegung, sondern auch von seiten verbündeter Staaten wie der Sowjetunion und einiger arabischer Länder stehen, erzeugt bei deren politischen Eliten offenbar anstatt des gewünschten Effekts einer Drosselung oder Aussetzung der Kriegshandlungen eine inflationäre Produktion neuer Legitimationsideen: So hat sich die Fiktion des amerikanischen Präsidenten, wie Christoph Berger Waldenegg in der FAZ überzeugend aufgezeigt hat, von der Berufung auf die „ultima ratio“ eines notwendigen Krieges zur Proklamation eines „gerechten“ Krieges gesteigert, wodurch den militärischen Operationen die gefährliche Auslegung einer durch höhere Werte gerechtfertigten Handlung verliehen wird.
Meine Antworten auf einige der gestellten Fragen will ich nun auf eine Erläuterung der Schlußfolgerungen verteilen, die sich gegenwärtig aus diesen drei genannten Tatbeständen ziehen lassen:
1. Die unzweideutige Bereitschaft Saddam Husseins zur Vernichtung seiner machtpolitisch, nicht religiös definierten Feinde gibt rückwirkend dem Beschluß der Alliierten, die von der UNO erteilte Erlaubnis zum Einsatz militärischer Mittel in die Tat umzusetzen, eine erhöhte Legitimationsgrundlage. Von Anfang an hatte die Eröffnung des Krieges die doppelte Bedeutung einerseits der gewaltsamen Durchsetzung eines an Irak ergangenen Ultimatums zur Räumung Kuwaits und andererseits der vorbeugenden Abwendung größeren Übels für die bedrohten Länder; mit den irakischen Angriffen auf Israel hat dieses zweite Kriegsziel ein weitaus stärkeres Gewicht gewonnen, das den alliierten Militäroperationen den Charakter von „polizeilichen“ Schutzaktionen im Auftrag der UNO verleiht. Freilich können die alliierten Truppen nur so lange im normativen Horizont eines solchen Selbstverständnisses operieren, wie sie sich nicht nur kontinuierlich der anhaltenden Rückendeckung durch die UNO versichern und sensibel auf die Verhältnismäßigkeit ihres Einsatzes militärischer Mittel achten, sondern auch untereinander in der vor allem von Mitterrand proklamierten Deutung übereinstimmen, daß es sich um eine „wertneutrale“ Sanktions- und Schutzmaßnahme zur Verteidigung des Völkerrechts handelt; wenn George Bush sich inzwischen auf einen „gerechten Krieg“ zu berufen müssen glaubt, so verläßt er diese schmale, aber solide Legitimationsgrundlage und gibt abenteuerlichen Interpretationen Raum, wie sie in der Frage nach der „Aufklärung durch Waffen“ auftauchen.
2. Der Krieg darf auf keinen Fall einer militärischen Durchsetzung von „westlichen“, sagen wir einmal, demokratischen Werten verstanden werden, weil er dann genau jenen Charakter einer brutalen Mißachtung von kulturellen Differenzen annähme, den einige Vertreter der Friedensbewegung ihnen schon heute vorschnell anlasten; umgekehrt aber ist, anders als durch eine international legitimierte, notfalls auch militärische Durchsetzung des Völkerrechts, ein solches Recht auf kulturelle Identität, das natürlich nicht nur wenigen arabischen Staaten, sondern auch dem Scheichtum Kuwait und dem demokratischen Staat Israel zukommt, überhaupt nicht ernsthaft zu schützen. Politische Veränderungen in Staaten ohne Demokratie und rechtsstaatliche Verfassung sind nicht von außen militärisch zu erzeugen, sondern nur von innen durch demokratische Oppositionsbewegungen in Gang zu bringen; in diesem internationalen Rahmen kann das Völkerrecht, wenn es einmal durch eine demokratisch verfahrene UNO mit der Exekutivgewalt von starken Polizeitruppen repräsentiert würde, nur die negativen Funktionen des Schutzes und der Sicherheitsgewährung übernehmen. Von einer „Aufklärung mit anderen Mitteln“ ist im übrigen schon deswegen nicht zu sprechen, weil die arabische Kultur zur Entstehung dieser Aufklärung einen entscheidenden Beitrag geleistet hat und durch ihre nicht fundamentalistischen Vertreter bis heute einen entscheidenden Platz im Pluralismus ihrer Auslegungen hat.
3. Angesichts der schmalen Legitimationsgrundlage der alliierten Streitkräfte hätte eine Friedensbewegung die vordringliche Aufgabe, die kriegsführenden Staaten des Westens ständig an die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu gemahnen und auf die Einräumung eines Waffenstillstands zu drängen, wo immer die Gegenseite auch nur ein schwaches Signal in Richtung eines Einlenkens gibt; daß die deutsche Friedensbewegung hingegen undifferenziert auf die Vermeidbarkeit dieses Krieges hinweist, ansonsten einem schwelenden Antiamerikanismus Raum gibt und für massive Bedrohung Israels wenig Sensibilität aufbringt, zeigt nur den ganzen Dogmatismus auf, mit dem sie sich der drängenden Frage nach den normativen Bedingungen eines gerechtfertigten Krieges bislang entzogen hat. Allerdings sind im Hinblick auf die nach außen geschlossene Front der Friedensbewegung auch Differenzierungen vorzunehmen, die mit der Zugehörigkeit zu Alterklassen und damit generationsspezifischen Erfahrungen zu tun haben: Die vielen Schüler und alten Menschen, die in den Reihen der Demonstranten zu finden sind, lassen sich ganz offenbar von Motiven leiten, die aus dem rational begründeten Gefühl einer Angst vor den katastrophalen Folgen eines Krieges und der emphatischen Einfühlung in die Lage der betroffenen Zivilbevölkerung stammen; ohne das massive Auftreten dieser Gruppen würde der letzte Schutzwall brechen, der die kriegsführenden Staaten überhaupt noch am Verlassen ihres legitimierten Weges hindert. Jenen linken Gruppierungen aber, die noch gestern Geld für die militärische Aufrüstung verschiedenster nationaler Befreiungsarmeen sammelten, heute jedoch ihren radikalen Pazifismus entdecken, ist die Sanktionswürdigkeit des Völkerrechts bis heute verschlossen geblieben, obwohl sie der Einmarsch der Sowjetunion in die Tschechoslowakei und der Einfall der USA in Panama eines Besseren hätte belehren müssen. Wenn sich zum ersten Mal in der internationalen Staatsgemeinschaft ein Konsens abzeichnet, daß solche Verbrechen nicht widerstandslos zu dulden sind, dann sollte er auch deswegen Unterstützung finden, weil er die Großmächte künftig unter erhöhten Legitimationsdruck setzt.
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