Auf der Spur des Elchdrachenvogels

■ „Ultraman“ Klaus Haetzel beschreitet „Wege auf Wasser und Feuer“/ 9,7 Kilometer Schwimmen, 400 Kilometer Radfahren, ein doppelter Marathon: Ultraman-Triathlon von Hawaii

Berlin (taz) — Es gibt ihn tatsächlich — den Elchdrachenvogel! Es gibt ihn auf dem Schreibtisch von Klaus Haetzel, als Skulptur, die seine Tochter geknetet, angemalt und gebrannt hat — und es gibt den Elchdrachenvogel in jedem von uns, als Ausdruck unseres dreifachen Wesens. Tjaja! Klaus Haetzel, das ist der Triathlet, der sich in Hawaii seine Sehnsucht erfüllte und beim „Ultraman“ mit 30 Stunden, 32 Minuten und 16 Sekunden Schwimmen, Radfahren und Laufen sich selbst dort fand, wo Kräfte freiwerden, die Unmögliches möglich machen.

30 Stunden, 32 Minuten und 16 Sekunden — das sind Zahlen; Zahlen, hinter denen sich eine dreitägige Odyssee von Qual, Tod, Wiedergeburt, Freude und Glück verbirgt. Fast 400 Kilometer Radfahren; 9,7 Kilometer Schwimmen und zweimal ein Marathon.

Was bringt einen Menschen dazu, sich derartiges zuzumuten, wie ist es überhaupt möglich, solche Strapazen durchzuhalten, was erlebt jemand, der sich auf dem Weg in die Unmöglichkeit befindet? Er erlebt, daß die Unmöglichkeit nur deswegen unmöglich ist, weil sie als solche gedacht wird. „Die Welt ist, was du meinst, das sie ist“ und „Es gibt keine Grenzen“ sind Klaus Haetzels Überzeugungen. „Was, außer dem eigenen Kopf, könnte es sein, daß uns die unendlichen Energiequellen verkleistert?“, gibt er in seinem Buch „Wege auf Wasser und Feuer“ (Econ Vlg., Düsseldorf 1990) zu bedenken. Sobald die vermeintlichen Grenzen überschritten werden, erweisen sie sich als bloße Hirngespinste.

32 Gleichgesinnte trauten sich in den Wahnsinn — den vermeintlichen; die jüngsten 26 Jahre alt, der älteste 59. „Es sind keineswegs die reinen Kraftmaschinen, die sich von diesem Wettkampf angezogen fühlen“, verrät Haetzel. „Gegen die Falken, die beim Ironman das große Preisgeld jagen, sind wir mit unserer Dreitagesrallye bunte Falter, die der Lyrik ihres Bewegungsablaufes lauschen.“

Der Ultraman ist kein Wettkampf, er ist ein „Way of life“. „Wenn der Ultraman nach Hause geht, dann nimmt er einen ganzen Mikrokosmos mit sich. Er lebt in Frieden mit der Erde und treibt keinen Raubbau mit den Kräften. Ultraman als Lebensschule, als Möglichkeit, sich mit der Umwelt in Harmonie zu begeben? Ultraman als Neugeburt, als Möglichkeit, leben und sterben zu lernen?“ Warum nicht?

Seine erste Neugeburt erfährt Klaus Haetzel, als er nach 9,7 Kilometern aus dem Pazifik gewankt kommt — krebsrot vom Schwimmen im Salzwasser, die Haut löst sich von den Fingern, wacklig auf den Beinen, aber überglücklich: „Nach überstandener Taufe im Pazifik ist mir so leicht und wohl, als sei der Ballast aller Sünde von mir abgefallen. Geschafft! Vorbei! Alles Schwere aus den vergangenen letzten Jahren weicht aus meinen Gliedern, Zehntausende von Trainingskilometern in Eis und Schnee, bis an die Schwelle von Hawaii, bin ich gefahren, Schweiß und Blut hat es gekostet, Nerven auch, und manchmal Tränen, Laufschuhe bergeweise verbraucht — vorbei!“

Aber 146 Kilometer Kletterei stehen bevor. „Die Kohala-Berge sind das Schicksal der Etappe. Hier wird der Tag und häufig auch der ganze Ultraman entschieden. ...Vom steifen Nacken über den kaputten Rücken bis zu den verbogenen Füßen, tut mir alles weh ... Ich habe kein Gewicht mehr, mir ist schwindlig, ich bin ausgepumpt, die Arme zittern. Gleich wird es krachen und ich liege auf der Straße und bleibe liegen und ich schlafe ein, und wenn ich wieder wach bin, kennt mich keiner mehr. Ich werde auf der Stelle hundert Jahre durchgeschlafen haben, wie im Märchen.“

Und dann kommt die Belohnung, die Abfahrt, die für alle Mühen entschädigt. „Der Tachometer zeigt mehrmals über siebzig Stundenkilometer an ... Jetzt kriegst du alles wieder, was du heute investiert hast, jubelt die Stimme in mir. Eine fünfgängiges Menü von Meisterhand.“ Leichtes Einrollen, ein knackiger Großkurs, die Hamakua-Küste für Langstreckler, der Aufstieg in die Kohala-Berge und „zum Dessert eine rauschende Abfahrt“.

Nach einem gescheiterten Versuch in der vierten Disziplin des Ultraman, dem Schlaf, beginnt der dritte Tag um sechs Uhr. Vor den Läufern liegt die Distanz eines doppelten Marathon, durch Lavawüste und Hitze von weit über vierzig Grad. Immer wieder füllen seine Helfer die Mütze mit Kristalleis aus der Thermosflasche. Auf den Schädel gestülpt, soll das dem Hitzschlag vorbeugen. 4:21 Stunden dauert der erste Marathon — und es folgt der zweite.

Noch einmal gilt es kurz vor dem Ende, einem Zusammenbruch zu widerstehen. „Wir rennen auf der letzten Meile ... Weiter Tempo! Nur noch ein paar Meter unter der Allee von Bayan-Bäumen bis zum weißen Transparent. Und immer Tempo! Ich höre meinen Namen, sehe grelles Blitzlicht, rieche nach drei Tagen wieder den betörenden Geruch des noch nicht faßbaren Mailua-Piers, schmecke Salz auf meinen Lippen, fühle neben mir das Mädchen, das mich stützt. Wir sind da.“

Es ist möglich, solches auszuhalten. Aber woher kommen diese Kräfte? Die Antwort sucht Haetzel in der Lehre der alten Huna-Priester. Danach verdankt der Mensch solche Kräfte drei verschiedenen Schichten seines Selbst, die mit den Begriffen vom Unterbewußtsein, Bewußtsein und Überbewußtsein nur unvollkommen wiedergegeben werden. Den drei Wesensschichten entsprechen drei Tiere. Dem „Es“ entspricht das Säugetier, dem „Ich“ der Fisch oder das Reptil, dem „Hohen Selbst“, sprich „Über-Ich“, das Federvieh. Für Klaus Haetzel symbolisiert diese Dreifaltigkeit die Skulptur auf seinem Schreibtisch: der Elchdrachenvogel. Ulrike Remmers