Der Fall Korea — ein Lehrbeispiel

Der Verlauf des Korea-Kriegs zeigt, daß die Versuchung groß ist, die Kriegsziele zu erweitern/ Es darf nicht den Militärs überlassen werden, über den Waffenstillstand zu verhandeln/ Manipulation mit den Kriegsgefangenen auf beiden Seiten/ Der Emir von Kuwait=Sygman Rhee?  ■ Von Jon Halliday

1950 in Korea führte der Westen das letzte — und einzige Mal — Krieg im Namen der Vereinten Nationen. Damals standen die USA an der Spitze einer Allianz von 18 Nationen aus fünf Kontinenten gegen eine kommunistische Dreier-Koalition in einem Krieg, der drei Jahre dauerte. Diese historische Erfahrung beeinhaltet wichtige Lehren für den Golfkrieg. Die erste davon bezieht sich auf die Frage der Kriegsziele. Sie wurden nicht definiert und es wurde innerhalb der Allianz kein Konsens über sie hergestellt. Dies macht es unmöglich, dem Krieg ein Ende zu setzen. In Korea änderten sich die Kriegsziele mit Fortgang des Krieges. Zudem hatte die US-Regierung während vieler Kriegsphasen nicht klar gesagt, was eigentlich ihre Kriegsziele sind.

In Korea bestand die von der UNO erklärte Absicht darin, den Status quo ante wieder herzustellen — also, die nordkoreanischen Streitkräfte aus Südkorea zu vertreiben und das entmachtete Regime von Syngman Rhee wieder einzusetzen. Die Parallelen zum Golfkonflikt sind offensichtlich.

Änderung der Kriegsziele

Binnen zweier Monate nach Kriegsbeginn hatten die USA sich dazu entschieden, das ursprüngliche, von der UNO sanktionierte Kriegsziel aufzugeben. Im August 1950 definierte US-Präsident Truman das Kriegsziel neu, indem die US-geführten Streitkräfte nach Nordkorea vorstießen, um die Regierung Kim Il-Sungs zu stürzen. Diese Entscheidung wurde allerdings nicht öffentlich gemacht. So stießen im September 1950, als die UNO-Truppen den Großteil der nordkoreanischen Armee bereits aus dem Süden gedrängt hatten, südkoreanische und US-Truppen direkt nach Nordkorea vor — ohne UNO- Mandat (dieses wurde erst nachträglich eingeholt).

Die Mechanismen, die dafür sorgten, daß sich die Kriegsziele im Verlauf des Korea-Kriegs änderten, könnten ohne weiteres auch am Golf einsetzen: Etliche davon sind psychologischer und militärischer sowie politischer Natur. Verstöße gegen die Genfer Kriegsgefangenenkonvention und schwere Kämpfe mit hohen Opferzahlen führen zwangsläufig zu mächtigen Rachegefühlen. Der Haß gegenüber Saddam Hussein und den irakischen Soldaten (nicht zuletzt bei den Kuwaitis) wird stark wachsen. Und es wird hehre Verlautbarungen darüber geben, wie eine „drohende Gefahr für den Weltfrieden beseitigt“ werden konnte.

Was in Korea geschah, zeigt, daß es schwierig sein könnte, einem Krieg auf seine orginären Ziele zu begrenzen — und daß Entscheidungen über die Ausweitung der Kriegsziele vielleicht im Geheimen gefällt werden (einiges deutet darauf hin, daß dies im Golfkrieg bereits der Fall ist).

In Korea intervenierten die Chinesen. UNO-Truppen und Südkoreaner wurden wiederum in jene Positionen zurückgedrängt, von denen aus der Krieg begann. Die Bodenkämpfe endeten in einer Pattsituation. Obwohl das anfängliche Kriegsziel errreicht war — die Vertereibung der Nordkoreaner aus dem Süden —, dauerte der Krieg noch weitere zwei Jahre an. Warum?

Wie kann der Krieg beendet werden?

Zum ersten hatte niemand folgende fundamentale Frage bedacht: Auf welche Weise ist der Krieg zu beenden — oder genauer: Wer wird ermächtigt, über das Kriegsende zu verhandeln? Zweitens spaltete sich die Allianz wegen der Kriegsziele. Und drittens weigerte sich Syngman Rhee, Kopf der Regierung, für die sich der Westen stark gemacht hatte, den Krieg überhaupt zu beenden.

In Korea begannen die Friedensgespräche im Juli 1951 und dauerten zwei Jahre bis schließlich im Juli 1953 ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wurde. Nach anfänglichen Meinungsverschiedenheiten über den Verlauf der Demarkationslinie verzögerten im wesentlichen zwei Dinge die Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens: Rhees Widerstand und die Instrumentalisierung der Kriegsgefangenen. Einer oder beide Gründe könnten sich in dieser oder jener Form am Golf wiederholen. Aber es bleibt auch die wichtige Frage, wer im Namen der Allianz mit dem Irak über einen Waffenstillstand verhandelt — oder über die Kapitulation.

In Korea wurden Verhandlungen mit den Kommunisten ausschließlich von den USA geführt — und dies durch Militärs. Die Alliierten (und die UNO) waren von den Gesprächen rigoros ausgeschlossen. Als Churchills konservative Regierung an den Gesprächen beteiligt werden wollte, lehnten die USA ab. Die Amerikaner waren in der Lage, die Friedensgespräche über Monate hinweg auf einen Zeitpunkt zu verschieben, der ihnen genehm war. 22 Monate nachdem die Verhandlungen begonnen hatten, wurde US-Staatsminister John Foster Dulles zu einer möglichen Feuerpause befragt: „Tut uns leid“, sagte er, „für uns kann bei einer Friedensregelung solange nichts herauskommen, bis wir ganz Asien unsere Überlegenheit gezeigt haben. Wir werden den Teufel tun und China durch Einlenken einen Gefallen erweisen.“ Churchill setzte seine konträre Auffasung markig dagegen: „Wenn ich Amerikaner wäre, was ja durchaus hätte passieren können, würde ich Rhee in die Hölle wünschen und Korea mit ihm.“

Genauso wie Saddam Hussein sich bereit zeigte, völlig rücksichtslos Geiseln für seine Ziele einzusetzen, hat er jetzt mit einer Instrumentalisierung der Kriegsgefangenen begonnen. Daß gefangene Piloten sich über Fernsehsender gegen den Krieg aussprechen ist das, was seinerzeit in Korea geschah, insbesondere mit gefangenen US-Piloten.

Es gibt eine ideologische und psychologische Seite in jeden Krieg. Im Falle Koreas schifften sich die USA zu einem Kreuzzug gegen den Kommunismus ein. Aber ihr Verbündeter vor Ort, Syngman Rhee, war dermaßen unpopulär, daß ihm in der Öffentlichkeit unmöglich ein Mandat erteilt werden konnte. Deshalb wandten sich die USA ihren Kriegsgefangenen zu, die einzige Gruppe, die zu einer Art Plebisizit legitimiert schien. Die USA begannen mit dem, was sie „freiwillige Rückkehr in die Heimat“ nannten. De facto beeinhaltete das zweierlei: Kriegsgefangene mit antikommunistischer Gesinnung durften gegen ihren Willen nicht nach Nordkorea zurückgeschickt werden. Zum zweiten wurden viele — ein weitaus weniger ehrenhaftes Verfahren — durch Drohung und Gewalt gezwungen, einschließlich Folter und Mord, nicht nach Nordkorea zurückzukehren. Durch das Bestreben der USA, genügend „Abtrünnige“ zu sammeln, konnte der Frieden fast zwei Jahre lang verhindert werden. Könnte etwas derartiges am Golf passieren? Der Westen möchte beweisen, daß Saddam von seinem eigenen Volk gehaßt wird. Wie ließe sich das anstellen?

Zur Zeit des Korea-Krieges fehlte es den USA an Personen, um eine neue Regierung in Nordkorea einzusetzen. Die Kriesgefangenen stellten angesichts dessen ein Reservoir potentieller Anwärter dar. Der US-General, der das Kriegsgefangenenlager 1952 kommandierte, schrieb später, daß die „Indoktrination“ der Gefangenen eine übliche amerikanische Praxis war. Er wies darauf hin, daß in den frühen 60er Jahren mindestens 120 Mitglieder des westdeutschen Bundestages zuvor amerikanische Gefangene aus dem Zweiten Weltkrieg gewesen waren. Also „unsere Leute“, wie er anmerkte.

Die Amerikaner haben offenbar kein „zusammengezimmertes Kabinett“ für den Irak bereitstehen, wenn — was immer wahrscheinlicher wird — der Sturz von Saddam Hussein gelingt. Werden sie wiederholen, was sie mit deutschen und nordkoreanischen Kriegsgefangenen versuchten?

In Korea war Syngman Rhees ablehnende Haltung gegen einen Waffenstillstand eines der Haupthindernisse für den Frieden. Es ist eher unwahrscheinlich, daß der Emir von Kuwait das gleiche tun könnte. Was aber geschieht, wenn Israel, das der Allianz formal nicht angehört, es ablehnt, einen Waffenstillstand zu akzeptieren? In Korea endete es damit, daß die USA als eher unsicherer Garant für die Einwilligung Rhees zum Waffenstillstand agierten. Dies war eine höchst unbefriedigende Lösung, die unter anderem zur Folge hatte, daß nach auch nach 38 Jahren der Konflikt nicht beigelegt ist.

Ein anderes Problem, derzeit auf der Tageordnung nach unten gesetzt, sind die Kriegsverbrechen. In Korea wollten die Alliierten Kim Il-Sung zunächst den Prozeß machen, verzichteten dann aber darauf (sie hätten ihn sowieso nie erwischt). Aber das Beispiel Japans im Jahr 1945 zeigt, wie eine solche Absicht — moralisch wie auch immer gerechfertigt — den Friedenschluß hinauszögern kann. In jedem Fall könnte das einflußreiche Iraker in ihren Entscheidungen darüber beeinflussen, ob sie dem Krieg ein Ende machen wollen und gegen Saddam putschen.

In Korea bestanden die USA darauf, die Waffenstillstandsverhandlungen nur von Armeeangehörigen führen zu lassen. Sie sollten sich nur um militärische Anglegenheiten drehen. Als Folge blieb der Hinweis auf eine politische Konfliktregelung nur vage — mit tragischen Langzeitwirkungen. Eine internationale Konferenz über Korea endete 1954 mit einem Fehlschlag. 37 Jahre später stehen US-Truppen immer noch in Südkorea, mit Atomwaffen. Und Korea ist immer noch geteilt.

aus: 'New Statesman‘, 1. Februar 1991

Übersetzt von Thomas Worm