Autobahnschneisen per Gesetz

■ Justizminister Kinkel will Trassenführung in Ostdeutschland im Bundestag beschließen lassen

Berlin (taz) — Über die Trassenführung neuer Autobahnen in Ostdeutschland soll künftig im Bonner Wasserwerk allein entschieden werden. Langwierige Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren beim Neu- und Ausbau des Fernstraßennetzes können entfallen, wenn der Bundestag per Gesetzbeschluß festlegt, wie eine Piste von A nach B geführt wird. Die dafür benötigten Grundstücke werden gegen Entschädigung enteignet und ins Eigentum des jeweiligen Landes überführt. Die ursprünglich von Bundesumweltminister Töpfer (CDU) vorgeschlagenen sogenannten „Maßnahmegesetze“ seien juristisch einwandfrei, erklärte gestern Justizminister Klaus Kinkel (FDP) in Bonn. Dies habe eine Überprüfung in seinem Hause ergeben.

Kinkel begründete seinen Vorstoß damit, daß die entsprechenden Verwaltungsverfahren und juristischen Auseinandersetzungen wegen der Proteste der Betroffenen in der Vergangenheit bis zu zwanzig Jahre in Anspruch genommen hätten. Angesichts des desolaten Verkehrssystems in den neuen Bundesländern müßten die Verwaltungsabläufe nun möglichst „drastisch auf wenige Monate“ verkürzt werden. Ein „modernes Fernstraßennetz“ sei die unabdingbare Voraussetzung für eine funktionsfähige Wirtschaft. Private Investoren könnten nur aktiviert werden, wenn die „Verwirklichung eines leistungsfähigen, für die Wirtschaft unverzichtbaren, Verkehrsnetzes gewährleistet“ sei. Von den Eisenbahntrassen, die Umweltminister Töpfer stets zur Begründung der Maßnahmegesetze in den Vordergrund gestellt hatte, ist in der Erklärung Kinkels nicht mehr ausdrücklich die Rede. Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Gesetzentwürfe — „einschließlich der detaillierten Trassenführung“ — liege in den Händen des Bonner Verkehrsministeriums, sagte Kinkel.

Der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland (VCD) geißelte Kinkels Vorstellungen gestern als „Fortsetzung der bekannten Politik aus SED-Zeiten“. Kaum hätten die Bürger in den neuen Ländern sich demokratische Rechte erkämpft, sollten sie nun „zum Wohle des Straßenbaus und der Autolobby wieder ausgehebelt“ werden. Ein liberaler Politiker, der „Enteignungsverfahren im Schnellverfahren“ anstrebe, sei als Justizminister nicht tragbar. Scharf wandte sich der VCD auch dagegen, daß Kinkel offenbar entschlossen sei, Natur und Bürger in Westdeutschland einen besseren Schutz vor den Auswirkungen des Autoverkehrs zuzugestehen als im Osten. Als „Schlag gegen die Planungsdemokratie“ und „Verkehrspolitisches Ermächtigungsgesetz für mehr Beton und Asphalt“ bezeichneten gestern die im Arbeitskreis Verkehr und Umwelt zusammengeschlossenen Verkehrsbürgerinitiativen den Vorschlag Kinkels. gero