: Spaltpilz in Prag
■ Rechter Flügel des Bürgerforums will Liberale übertölpeln
Prag (taz) — Nur fünf Wochen nach dem letzten Kongreß des Bürgerforums (OF), bei dem es noch einmal gelungen zu sein schien, eine gemeinsame Plattform für die verschiedenen Strömungen der größten politischen Kraft der Tschechoslowakei zu finden, wird an diesem Wochenende eine endgültige Spaltung nicht mehr zu verhindern sein. Verhindert wird voraussichtlich jedoch die von einigen „rechten Jakobinern“ immer deutlicher angestrebte vollständige Zerschlagung des Bürgerforums.
Dies hätte für das ganze Land unabsehbare Folgen. Schon heute haben einige Abgeordnete der Oppositionsparteien angedeutet, daß sie bei einer Auflösung des Bürgerforums aus „rein juristischen Gründen“ Neuwahlen fordern würden.
Zu einer Verschärfung der Auseinandersetzungen zwischen den „Klausovci“, den Anhängern des monetaristischen Finanzministers Vaclav Klaus, und den Liberalen um Außenminister Jiri Dienstbier war es Ende Januar gekommen. Während der Vorbereitungen zu einem Kongreß, bei dem über die Statuten der aus dem Bürgerforum zu bildenden Partei abgestimmt werden sollte, fällte die rechte Mehrheit des obersten Gremiums eine Entscheidung, die die Gegner einer Parteigründung eindeutig benachteiligte: An diesem „1. Parteitag“ sollten nur noch diejenigen Delegierten teilnehmen dürfen, die auch zum Eintritt in die neue Organisation bereit gewesen wären. Im Klartext: Bevor die endgültige Form der Partei feststeht, muß die Beitrittserklärung unterzeichnet werden. Nur zu verständlich, daß sich die Liberalen wehrten.
Einen Ausweg aus der scheinbar aussichtslosen Situation fanden die führenden Vertreter des Bürgerforums schließlich bei einem Treffen mit Staatspräsident Vaclav Havel: Unter dem gemeinsamen Dach des Forums sollten sich zwei, im übrigen völlig selbständige, politische Gruppierungen — eine rechte Bürgerpartei und eine linke Bürgerbewegung — bilden. Ein paritätisch besetzter Koordinationsausschuß erhält die Aufgabe, die politische Arbeit bis zu den nächsten Parlamentswahlen im Frühjahr 1992 zu sichern.
Die sogenannte „Einigung von Lany“ hatte nur einen Fehler. Sowohl die liberale als auch die rechte Basis fühlte sich von ihren führenden Vertretern übergangen. Während die einen nun weiterhin auf ihrer inzwischen gänzlich unrealistischen Forderung nach einem Erhalt der „Bewegung“ ohne jede Spaltung beharren, bestehen die anderen auf der Einhaltung der Beschlüsse des letzten Kongresses. Die Gründung „nur einer Partei“ sei beschlossene Sache, wer ihr nicht beitreten wolle, müsse das Bürgerforum verlassen. Vaclav Klaus hat unterdessen seine widerspenstigen Anhänger zur Disziplin gemahnt und gedroht, zurückzutreten, falls die Beschlüsse von Lany nicht mehr respektiert würden. Sabine Herre
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