„Gorbatschows Ruf kaum zu retten“

■ Der sowjetische Journalist Michail Mojsejewitsch analysiert Gorbatschows Friedenskalkül INTERVIEW

Michail Mojsejewitsch Kobrin war einst Redakteur der renommierten, in Prag herausgegebenen Zeitschrift 'Probleme des Sozialismus und des Friedens‘. Heute arbeitet er freiberuflich als Journalist in Moskau und ist Mitglied der „Republikanischen Partei“ — vormals „Demokratische Plattform in der KPdSU“.

taz: Wird die sowjetische Friedensinitiative die Reputation Gorbatschows wiederherstellen können?

Michail Mojsejewitsch: Wohl kaum. Es zeichnet sich schon ab, daß der Rückzug der Iraker aus Kuwait keineswegs so bedingungslos erfolgen soll, wie es zuerst schien. Der Krieg im Irak hat die neue sowjetische Außenpolitik auf eine harte Probe gestellt. Er bedroht den Kurs der Abkehr vom Kalten Krieg, den Schewardnadse als Motor und Inspirator der außenpolitischen Perestroika durchgesetzt hatte. Der innenpolitische Rechtsruck Gorbatschows konnte langfristig nicht ohne Auswirkungen auf die Außenpolitik bleiben, und in dieser Situation wirkte der Krieg im Irak als eine Art Katalysator. Gorbatschow hat sich dabei in eine komplizierte Klemme manövriert. Er will die guten Beziehungen zum Westen wahren, gleichzeitig aber die Militärs nicht verprellen. Gorbatschow versucht sich in der Rolle des Friedensstifters, der gleichzeitig das alte Dogma der sowjetischen Präsenz auf allen Erdteilen hochhält.

Kann die SU auf eine Sonderrolle in einer neuen Friedensordnung des Nahen Ostens hoffen?

Durch den frühzeitigen Abbruch der Beziehungen zu Israel hat sich die SU einer der wichtigsten Einwirkungsmöglichkeiten in der Region selbst beraubt. Die jüngste Annäherung an Israel wird durch das aktuelle Zusammenwirken mit dem Irak wieder gestört. Auch das Zusammengehen der Sowjetunion mit der UN-Weltgemeinschaft erhöhte ihre Chancen auf Einflußnahme im Nahen Osten. Diese Erfolge sind mit der veränderten Haltung zum Krieg jetzt wieder in Frage gestellt. Heute hat Präsidentenberater Primakow eine sehr schwerwiegende Andeutung gemacht: Die Sowjetunion habe in Bezug auf den Irak alles getan was sie könne, und die Verantwortung für eine weitere Verlängerung des Krieges läge nun allein bei „anderen Staaten“.

Also ein Rückzug?

Das ist nur ein Element des Rückzugs, dazu gehört auch der Stop der Wiener Verhandlungen über konventionelle Abrüstung. Die Sowjetunion hat hier ihren Vertrauenskredit verspielt, durch die Verlegung bedeutender militärischer Einheiten hinter den Ural.

Was hat denn der militärisch-industrielle Komplex von einer Außenpolitik, die die Mitwirkungsrechte der UdSSR beschränkt?

Traditionsgemäß stützt sich die sowjetische Außenpolitik auf eine einzige Ideologie und eine Vielzahl von Illusionen. Und im gegebenen Fall besteht die Illusion darin, daß sich eine ganze Reihe von arabischen Ländern dafür dankbar erweisen würden, wenn wir dem Irak jetzt aus der Patsche helfen.

Was bedeutet dieser Schachzug für die nach Unabhängigkeit strebenden Teile der Sowjetunion?

Das läßt sich schwer prophezeihen. Durch die jüngste Initiative ist eine Abkühlung der Beziehungen zum Westen denkbar. Unter diesen Bedingungen könnten es sich die westlichen Länder leisten, gewisse Hemmungen in Bezug auf die Unabhängigkeitsbestrebungen der baltischen Staaten endlich abzulegen. Interview: Barbara Kerneck