»Ich lasse mich nicht in eine bestimmte Ecke drängen«

■ Die taz sprach mit dem neuen Innensenator Dieter Heckelmann (CDU-nah), acht Jahre lang FU-Präsident, über seine künftige Politik: Wie steht es um die Innere Sicherheit, wie geht es weiter im Verfassungsschutz und in der Ausländerpolitik

Seine Nominierung für das Schlüsselressort des Innensenators war eine Überraschung: Daß Eberhard Diepgen ausgerechnet den langjährigen Präsidenten der FU zum Hüter von Verfassungsschutz und Innerer Sicherheit kürte, verwunderte selbst CDU-Mitglieder. Bei der Senatswahl bekam der 53jährige Jurist mit Abstand das schlechteste Ergebnis. Auch etliche Mitglieder der Regierungsparteien CDU und SPD hatten offenbar nicht vergessen, mit welch obskuren Machenschaften der Mann sich 1983 zum Präsidenten wählen ließ: Wie sich erst Jahre später herausstellte, hatte Heckelmann anonym eine Schmähschrift über seinen Vorgänger Eberhard Lämmert verfaßt und in Umlauf gebracht. Erst 1987 kam heraus, daß er jegliche Aufklärung des Vorfalls vertuscht hatte, seine Karriere schien beendet. Heckelmann stellte sich dennoch erneut zur Wahl und wurde prompt bestätigt.

taz: Herr Heckelmann, es kursiert das Gerücht, Sie hätten sich einen Dienstwagen mit Blaulicht geordert. Wollen Sie in Zukunft als erster am Tatort sein?

Dieter Heckelmann: Das trifft nicht zu.

Die sozialen Konflikte werden in der nächsten Zeit in Berlin zunehmen und zum Teil wahrscheinlich auch auf der Straße ausgetragen. Die erste Straßenschlacht ist gewissermaßen immer die Feuerprobe für neue Innensenatoren. Sind Sie für diesen Tag schon vorbereitet?

Die Art der Fragestellung gefällt mir ganz und gar nicht. In der Tat ist eine gewisse Besorgnis vorhanden, daß sich die soziale Situation im Ostteil der Stadt und damit für die Stadt insgesamt zuspitzen wird. Das erste, an was man zu denken hat, ist gerade nicht der polizeiliche Aspekt. Vielmehr geht es darum, dafür Sorge zu tragen, daß die Verhältnisse drüben besser werden, und die sozialen Spannungen einen Abbau finden. Die Polizei ist kein Heilmittel, um soziale Konflikte zu lösen. Ich kann mir vorstellen, daß Sie mich gern auf die Schiene gelockt hätten. Die Polizei ist in einem Rechtsstaat das letzte Mittel, das eingesetzt werden darf, wenn der Rechtsfrieden gebrochen ist. Auch wenn wir in verschiedenen politischen Ecken stehen, sind wir uns doch sicher einig, daß jeder von uns als Hauptziel möglichst viel Liberalität will. Nun sind die Menschen untereinander aber keinesweg immer liberal und...

Wir sind nicht hier, um uns einen Grundsatzvortrag anzuhören.

Sie wollen mich mit Ihrer Frage in eine bestimmte Ecke drängen, deswegen müssen Sie mir schon erlauben, daß ich meine Position dazu erläutere.

Uns interessiert Ihr Sicherheitskonzept.

Darf ich den Gedanken zu Ende führen? Wer für mehr Liberalität ist, muß dafür sorgen, daß sie im Zweifelsfall, wenn andere sie brechen wollen, gesichert ist: durch eine starke Polizei, die nur als letztes Mittel eingesetzt werden darf, und die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten hat.

Wird es wieder eine neue Sondereinsatztruppe der Polizei geben, im Sinne der früheren Spezial-Einheit EbLT, — die Sie als FU-Präsident 1988/89 wegen eines Streiks vor die Uni riefen?

Die erste Frage beantworte ich mit nein. Der zweite Teil enthält eine Aussage, die falsch ist. Ich habe mich damals mit den innerpolizeilichen Organisationselementen nicht ausgekannt.

Im Ostteil der Stadt sind viele Häuser besetzt. Wird es demnächst zu Räumungen kommen?

Dazu will ich mich nicht äußern. Aber Sie wissen, daß ich die Berliner Linie selbstverständlich vertrete.

Gesetzt den Fall, es würden wieder Molotowcocktails von Häuserdächern geworfen: Welche Weisung werden Sie der Polizei für solche Fälle erteilen?

Ich lehne es ab, solch abstrakte Fragen zu beantworten.

Kokreter geht es doch gar nicht.

Ich lehne es ab, abstrakte Fragen zu beantworten. Dies muß vor Ort entschieden werden. Herr des Einsatzes ist der Polizeipräsident in seiner eigenen Zuständigkeit. Der Innensenator hat hier eine Fachaufsichtskompetenz.

hr Vorgänger, Herr Pätzold, legte Wert darauf, daß junge Polizeibeamte ein paar Jahre Dienst auf dem Abschnitt versehen, bevor sie dem rauhen Klima in den Einsatzbereitschaften ausgesetzt werden. Sehen Sie das auch so?

Mit diesen Detailüberlegen habe ich mich noch nicht vertraut gemacht. Ich halte es aber für eine Selbstverständlichkeit, daß man unerfahrene, junge Menschen nicht in eine schwierige Situtation hineinjagt.

Laut Koalitionsvereinbarung soll den neuen Formen von Straßenkriminalität entschieden entgegengetreten werden. Sind Sie selbst ein Opfer der Hütchenspieler?

Ich bin kein Mensch, der auf Glücksspiel setzt, das geht gegen meine Mentalität. Aber Sie berühren ein ernstes Problem. Es gibt eine Reihe unerschiedlicher Gewaltformen, die beängstigend sind. Sie manifestieren sich in Einzel- oder Gruppentaten, in jugendlichen Gruppen, teilweise auch in ausländischen jugendlichen Gruppen. Die Rauschgiftszene hat damit zu tun, und auch der Alkohol im Übermaß. Das Problem muß von zwei Seiten angegangen werden. Zum einen durch die Polizei, aber vor allem durch Präventivmaßnahmen. Hier wurde bereits in der Vergangenheit gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Jugend ein 60-Seiten-Papier erstellt, in dem vor allem die Präventiv-Komponente ausgeprägt ist. Das bedeutet, daß das Streetworker-Programm der Jugendverwaltung erheblich verstärkt werden soll...

Ist dafür auch Geld da?

Das muß beantragt werden. Hier warte ich auf die nächsten Schritte von Herrn Krüger. Das zweite ist, daß es in der Polizei Gruppen gibt, die offensiv auf die Jugendgruppen zugehen und versuchen, sie aus dem Milieu der Bahnhöfe herauszuholen, indem sie mit ihnen Tischtennis oder Fußball spielen oder mit ihnen einen Kinobesuch machen. Ich glaube, mit dieser Doppelstrategie kann das Problem verbessert werden.

Nächstes Thema: Personalpolitik. Sie haben Herrn Lancelle zu Ihrem Staatssekretär gemacht. Er war ein sehr enger Mitarbeiter von Herrn Kewenig und verfügt über Insider-Kenntnisse im Verfassungsschutz-Skandal. Was hat Sie dazu bewogen, ihn zum Staatssekretär zu machen?

Sie unterstellen schon wieder. Herr Lancelle ist ein langjähriger Mitarbeiter dieser Verwaltung, er ist ein vorzüglicher und erfahrener Verwaltungsbeamter. Deswegen ist er auch ein guter Staatssekretär.

Sie wollen damit also nicht die Personalpolitik von Herrn Kewenig fortsetzen?

Auch diese Frage akzeptiere ich nicht. Ich stehe weder in Herrn Kewenigs noch Herrn Pätzolds Kontinuität.

Ihr Vorgänger hat beim Verfassungsschutz gründlich aufgeräumt...

Das haben Sie gesagt.

... und etliche leitende Beamte in andere Bereiche der Innenverwaltung versetzt. Bricht für diese Leute jetzt eine Morgenröte an, indem sie zurückgeholt werden?

Ich orientiere mich weder an Morgen- noch an Abendröten. Ich orientiere mich nur an der jeweiligen sachlichen Aufgabe und daran, dafür die besten Frauen und Männer zu haben. Ihre Frage unterstellt, daß Herr Pätzold seine Personalpolitik nach dem Aufräumprinzip betrieben hat.

Nein. Es wird Ihnen wohl nicht verborgen geblieben sein, daß es im Berliner Verfassungsschutz etliche Skandale gegeben hat, von Bespitzelungen von Journalisten und Politikern über den Schmücker-Prozeß bis hin zur Stasi-Connection von Herrn Lummer. Herr Pätzold hatte also sehr wohl Grund, beim Verfassungsschutz aufzuräumen.

Ich äußere mich zu Ihren Bewertungen nicht.

Werden Sie personelle Umstrukturierungen im Verfassungsschutz vornehmen?

Das ist eine völlig verfehlte Frage. Sie versuchen pausenlos, mich in eine bestimmte Ecke zu stellen. Es gibt in bestimmten Behörden bestimmte Aufgaben, und dafür müssen Personen gesucht werden.

Definieren Sie uns doch bitte einmal die Aufgaben des Verfassungsschutzes.

Ich bin nicht hier, um ein Seminar zu halten. Sie wissen, daß das gesetzlich alles festgelegt ist — da bedarf es keiner zusätzlichen Erläuterung.

Eine der rot-grünen Errungenschaften war die Auskunftspflicht des Verfassungsschutz gegenüber erfaßten Bürgern. Werden Sie dieses Recht beibehalten?

Ich konzediere Ihnen das Recht, das als rot-grüne Errungenschaft zu bezeichnen. Meinerseits behalte ich mir das Recht vor, nicht alles als wie auch immer bunte Errungenschaft zu betrachten.

Wie steht es nun mit der Auskunftspflicht?

Das wird im Einzelfall zu prüfen sein, dafür gibt es ja auch gesetzliche Grundlagen. Die Koalitionsvereinbarung sieht ein neues Verfassungsschutzgesetz vor.

Gegen eine Reihe von früheren Mitarbeitern des LAV sind noch Disziplinarverfahren anhängig wegen ihrer Verstrickung etwa in die Schmücker- und Lummer-Affären. Als Namen nennen wir nur Natusch (ehemaliger Chef des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, d. Red.), Möllenbrock (unter Kewenig Staatssekretär, vorher P-Staatsanwalt, d. Red.) und Przytarski (ehemaliger stellvertretender Chef des Berliner Verfassungsschutzes, d. Red.). Wann ist mit einem Ergebnis zu rechnen?

Ich werde mich nicht öffentlich dazu äußern, ob überhaupt und gegen wen Disziplinarverfahren anhängig sind.

Werden Sie dennoch diese Verfahren zügig betreiben?

Anhängige Verfahren werden immer von Verwaltungen zügig vorangetrieben.

Stichwort Ausländerpolitik: Werden Sie sich an Niedersachsen und Saarland ein Beispiel nehmen und nicht mehr in Krisen- oder Kriegsgebiete abschieben — konkret heißt das derzeit auch in die Türkei?

Wir nehmen natürlich keine Abschiebungen in solche Gebiete vor. Zu konkreten Ländern werde ich mich nicht äußern.

Sie haben in Ihrer kurzen Amtszeit bisher mehrfach betont, daß Sie Wert auf ein gutes Verhältnis zwischen AusländerInnen und Deutschen legen. Wäre es nicht möglich, in der Ausländerbehörde am Friedrich-Krause-Ufer nicht wenigstens einen beheizten Warteraum und warme Getränke anzubieten?

In den zwei Wochen meiner Amtszeit ist auf zwei Ebenen Sorge getragen worden: Die erste Maßnahme ist, wegen der unerträglichen räunlichen Verhältnisse in Ostberlin ein Gebäude zu finden. Ein Teil der Einwohnerbehörde wird nach Hohenschönhausen ziehen, um bessere Verhältnisse zu schaffen. Dies bedarf jetzt noch der Prüfung der Bauverwaltung. Das Instandsetzen wird dann noch etwa drei Monate in Anspruch nehmen. Derzeit gibt es bei den widrigen Witterungsverhältnissen eine unerträgliche Situation, die aber dennoch mit Sofortmaßnahmen kaum zu beseitigen ist. Wir haben deshalb folgende Maßnahmen beschlossen: Die Antragstellerflut soll dadurch verringert werden, daß die Rückmeldfristen auf drei Monate verlängert werden. Ein weiteres Stück Entlastung kommt dadurch, daß die Ausländerbehörde in Absprache mit dem Personalrat beschlossen hat, am Mittwoch zu öffnen. Als dritte Maßnahme werden Schwangere, Behinderte und ältere Menschen in der Schlange bevorzugt. Außerdem wurde die Öffnungszeit nach vorne verlegt, wir machen jetzt bereits um sechs Uhr morgens auf.

Warum verfährt man nicht anders und lädt die Betroffenen einfach schriftlich zu bestimmten Terminen vor?

Die Frage ist in aller Unkundigkeit des Sachvorgangs gestellt. Das ist Stammtischdenken.

Es wird aber von verschiedenen Gruppen und Parteien gefordert.

Ja, aber wissen Sie, welchen Verwaltungsaufwand das erfordert? Das ist von uns unmöglich zu leisten, täglich etwa tausend zu behandelnde Personen schriftlich vorzuladen.

Her Heckelmann, was befähigt Sie eigentlich zum Innensenator?

Das müssen andere beurteilen. Sie erwarten doch nicht von mir, daß ich mir selber auf die Schulter klopfe.

Ihre Nominierung kam doch etwas überraschend — selbst für CDU-Mitglieder.

Für mich auch. Herr Diepgen hat den Vorschlag unterbreitet, und ich nehme an, daß er sich etwas dabei gedacht hat. Er hat sich ja auch schon öffentlich geäußert. Er hat Verwaltungserfahrung genannt; dies ist sicher nach acht Jahren Leitung der Freien Universität der Fall. Und das zweite Element ist auch eine gewisse Erfahrung mit Krisensituationen, da hat es doch an der FU einige gegeben..

Meinen Sie damit auch die skandalösen Umstände, mit der Sie sich 1983 haben zum FU-Präsidenten wählen lassen?

Nein, das war sicherlich nicht damit gemeint. Damit wird Ruhe und Gelassenheit gemeint gewesen sein.

Wie steht es bei dem neuen Innensenator mit der Liebe zur Wahrheit?

Ich weiß nicht, was Sie mit dieser Frage bezwecken wollen.

Wir spielen auf den Skandal um ihre Wahl an.

Der Vorgang liegt jetzt acht Jahre zurück. Das wurde vor vier Jahren im Akademischen Senat ausgiebigst erörtert. Er hat mir mit einer deutlichen Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen.

Warum haben Sie die Angelegenheit vier Jahre lang vertuscht und gelogen: Ist das ein Qualitätsmerkmal für einen Innensenator?

Ich gehe auf Einzelheiten nicht mehr ein, weil das ein abgeschlossener Vorgang ist.

Wie soll man einem Innensenator glauben, der einmal gelogen hat?

Das ist Ihre Angelegenheit. Interview: Kordula Doerfler/ Plutonia Plarre