»Es wird allerhöchste Zeit!«

■ Ein Gespräch mit Walter Jens, dem Präsidenten der Akademie der Künste (West), über Zusammenlegung der Archive, Beratungsaufgaben und das Projekt des Präsidentenkollegen (Ost)

Wie berichtet hatte Walter Jens — bisher vehementer Gegner einer Vereinigung der beiden in Berlin ansässigen Akademien der Künste — Ende der letzten Woche angekündigt, er wolle nunmehr die Zusammenlegung der beiden Archive zügig vorantreiben. Im übrigen gebe es in Zukunft in Berlin nur noch eine Akademie, und zwar die im Westen. Seinen Standpunkt erklärte er

Gabriele Riedle.

taz: Herr Jens, der neue Kultursenator Ulrich Roloff-Momin hatte in einem Interview mit der taz angekündigt, er wolle demnächst ein Gespräch mit Ihnen führen und Sie bitten Ihren im Akademie-Gesetz vorgesehenen kulturpolitischen Beratungsauftrag wahrzunehmen. Dieses Gespräch hat mittlerweile stattgefunden. Was haben Sie besprochen?

Walter Jens: Wir haben uns unterhalten erstens über die Tatsache, daß es laut Koalitionsvereinbarungen in Berlin nur noch eine Akademie geben kann. Das ist die unsere. Wir haben uns zweitens darüber unterhalten, daß wir es beide sehr begrüßen würden, wenn in der ehemaligen DDR die Heiner Müllersche europäische Künstlersozietät, die mit der alten Akademie gar nichts mehr zu tun hat, irgendwann — fraglich der Träger und der Geldgeber — installiert werden kann. Wir haben uns drittens darüber unterhalten, daß — laut Koalitionsvertrag — die beiden Archive in allerkürzester Zeit zusammengeführt werden müssen. Geschieht das nicht — und die Hinhaltepolitik von Mitgliedern der Leitung der Akademie der Künste der ehemaligen DDR erschwert dies momentan sehr —, dann ist die Gefahr, daß Brecht in Yokohama und Seghers in Mainz usw. landen. Das hat nichts mit Abwicklung oder Übernahme zu tun, sondern die Archivmitarbeiter beider Akademien wünschen dies aufs innigste. Und wir halten die Politik, die zum Teil in der Akademie der ehemaligen DDR praktiziert wird, nämlich das Archiv als Faustpfand zu benutzen, für verhängisvoll. Man hat uns einen Vertrag zugeschickt, den wir nur als Zumutung empfinden können, weil alle Rechte drüben und alle Pflichten hüben liegen. Aber der Koalitionsvertrag sagt ja ganz klar aus: Die Archive sind zu vereinigen. Und es ist unsere Aufgabe, treuhänderisch tätig zu werden und dafür zu sorgen, daß das kulturelle Erbe der DDR in der ganzen Spannbreite zwischen Anpassung und Widerstand nicht verschleudert wird.

Was schließlich die Beratung angeht, so haben der Kultursenator und ich vereinbart, in allen wichtigen Punkten — vom Städtebau bis zum Tanz über die Vereinigung von Orchestergruppen bis hin zu der Frage, ob die Mitglieder unserer Abteilung Literatur sich Gedanken machen können über ein anderes, demokratisch- republikanisches Lesebuch für Berlin, anknüpfend an Überlegungen aus den zwanziger Jahren — ihm, entsprechend der Tradition unseres Hauses, gern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Wie sieht die Beratung praktisch aus? haben Sie regelmäßige Konsultationen vereinbart?

Wir haben zunächst einmal uns darüber verständigt, daß wir auch Feuerwehr spielen sollen. Und daß ich Herrn Roloff-Momin ohne Einschaltung weiterer Instanzen hier zur Verfügung stehe. Wir werden unsere Autonomie wechselseitig respektieren — es ist selbstverständlich, daß wir kein Ausführungsorgan sind. Aber wir denken uns: Wenn Hauptstadt Berlin, dann nicht mit Pickelhaube, sondern als Kulturhauptstadt, als Austauschort zwischen West und Ost.

Sie stehen dann ausgerechnet einem schwarz-roten Senat zur Seite...

Ich gehe aus von dem Grundgedanken: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, und Kultur ist ein lebensnotwendiges Elixir, ohne das eine humane Gesellschaft nicht existieren kann. Ob ich das nun der einen oder anderen Partei vortrage, ist mir — im Sinne der Aufgabe — egal. Natürlich habe ich Herrn Roloff-Momin auch gesagt, daß wir jetzt, wo wir hier die kulturellen Aufgaben von zwei Akademien wahrnehmen, nicht weniger, sondern erheblich mehr Geld bekommen sollten. Im übrigen habe ich mit Nachdruck gesagt: Es zeigt sich, daß dort, wo Menschen vernichtet werden — im Krieg —, sofort die Gelder da sind. Dort, wo es um die Aufgabe geht, Menschen miteinander zu versöhnen, aber keines da ist.

Wenn Sie nun die Aufgabe von zwei Akademien übernehmen: Wie wollen Sie den Osten ensprechend beteiligen?

Wir sind ein freies und ein offenes Haus, und wir werden sehen, daß auch die Ost-Deutschen eine freundliche Heimat bei uns finden. Wenn ich übrigens nur an die Klasse denke, der ich zugehöre: Da sind ordentliche Mitglieder Christa Wolf, Günther de Bruyn, Heiner Müller, Stefan Hermlin, Volker Braun und Christoph Hein. Dann sollte man sich vielleicht auch einmal überlegen, daß es ja in der ehemaligen DDR auch sehr viel jüngere Künstler gibt, die nicht in der Akademie gewesen sind. Die sollte man vielleicht hier aufnehmen. Denn unser Problem ist in erster Linie kein regionales, sondern — wenn es nach mir ginge — ein bißchen mehr Jüngere, ein bißchen mehr Frauen, in der Akademie zu haben.

Da Sie nun gedenken, eine kulturpolitische Beratungsfunktion wahrzunehmen, werden Sie auch Heiner Müllers Projekt einer europäischen Künstlersozietät tatkräftig unterstützen? Die Chance, daß irgendwer hierfür Geld übrig hat, stehen ja schlecht.

Da bin ich mir nicht so sicher. Es kommt auf die Plausiblität des Unternehmens an. Es ist ursprünglich gestartet worden, um mit der Hilfe der korrespondierenden Mitglieder in aller Welt — zu denen ich übrigens auch gehöre — eine neue Konzeption zu entwickeln und auf die lästigen, von SEDs Gnaden aufgenommenen Mitglieder zu verzichten, damit ein Prozeß der Selbstreinigung gelingen kann. Allerdings ist man hier konzeptionell in den letzten Monaten nicht sehr viel weiter gekommen. Es fehlt da auch ein bißchen an Basis-Demokratie. Wenn man mit Mitarbeitern oder Mitgliedern spricht, sagen die, sie wüßten auch nicht, was ihr Präsident denkt. Da gibt es auf der einen Seite den genialischen Stern und auf der anderen Seite eine ganze Reihe von Mitgliedern, die Hilfe von außen oder von oben erwarten. Sprich: vom Präsidenten oder von Bonn. Ich wünsche mir da schon etwas mehr Transparenz und offene Diskussion. Dennoch halte ich diese europäische Künstlerakademie, im Sinne einer Werkstatt, wo ältere mit jüngeren diskutieren, wo französische von polnischen Bildhauern der Meisterklasse lernen, für sehr interessant. Ich hielte es für nützlich und schön, wenn zum Beispiel in Schloß Rheinsberg Pierre Boulez und Hans Werner Henze Meisterkurse für Komposition abhielten.

Offensichtlich ist man sich — sie deuteten es auch hinsichtlich des Archivs an — in der Akademie der ehemaligen DDR nicht ganz einig, auch was das Müllersche Projekt betrifft.

Es gibt große Auseinandersetzungen. Einige möchten in neuen Formen eine Akademie der DDR weiterführen, während Heiner Müller eine europäische Konzeption hat. Aber auf jeden Fall paßt das Archiv zu dieser europäischen Konzeption in gar keiner Weise, kann deshalb auch nie Faustpfand sein. Denn es bewahrt deutsche, preußische Geschichte auf. Und ich fände es skandalös, wenn, wegen der Binnenauseinandersetzungen in der Akadamie dort, am Ende zum Schaden von Berlin Kostbarkeiten verspielt würden. Und es ist sehr merkwürdig, daß jetzt die Aufhebung der DDR-Kultur von Westberlin vorangetrieben werden muß, aber es gibt da im Augenblick keine andere Wahl.

Worin bestand das Angebot der Ost-Akademie betreffs des Archivs?

Wenn Bestandteile der Akademie- Ost verkauft werden sollten, dann würden wir diese zuerst angeboten bekommen. Der Altmeister der deutschen Archivare, Professor Bernhard Zeller in Marbach, hat dazu gesagt: Eine Geschäftsführung, die überhaupt den Gedanken eines Verkaufs des Archivs in Betracht zieht, sollte sofort aufhören.

Werden Sie auch die Mitarbeiter des Archivs übernehmen?

Mein Ziel ist, so viele qualifizierte Kräfte wie möglich zu halten. Es wird mir nicht gelingen, alle zu übernehmen, aber Arbeit wird es genug geben. Am Freitag habe ich erfahren, daß in der Akademie der Künste der DDR ein gewaltiges Tagebuch aus dem Kriege von Heinrich Mann liegt. Unveröffentlicht. Man wußte nichts davon. Es liegen dort Hunderte von Briefen Heinrich Manns. Auch davon wußte man nichts. Es wird die allerhöchste Zeit, daß dieses endlich ans Licht kommt und auch publiziert wird. Wobei übrigens die Schätze durchaus am Robert-Koch-Platz bleiben sollen — so weit ist der Weg ja nun wirklich nicht. Aber es müssen eine einheitliche Konzeption, eine Linie, Prioritäten geschaffen werden.