Stimmt! Meine Rede!

■ »Strategie eines Schweins« von Raymond Cousse im Berliner Ensemble

Daß vom Reden und Schreiben die am bequemsten leben, die mit möglichst vielen Worten möglichst wenig sagen, ist bekannt und bedarf eigentlich keiner weiteren Belege. Daß dies jemandem so eindrucksvoll gelingt wie Raymond Cousse, dem Autor des Einpersonenstücks »Strategie eines Schweins«, ist allerdings beachtlich und verdient etwas Aufmerksamkeit.

Die »Strategie eines Schweins« wurde 1978 geschrieben, gehört laut Programmzettel zu den meistgespielten französischen Stücken und hatte am Samstag auf der Probebühne des Berliner Ensembles Premiere. Es ist ein gut anderthalbstündiger Monolog eines Schlachtschweins über Gott und die Welt, über Metzger und Schweinestall. In diesen anderthalb Stunden ereignet sich nichts; und es wird nichts gesagt, was wir nicht alle immer schon wußten: daß Schweine menschlich- allzumenschlich sind, die Menschen hingegen schweinisch. Daß die Welt schlecht, schmutzig und eng ist. Daß der Sinn allen Lebens darin besteht, sich verwursten zu lassen und der höchste irdische Ehrgeiz allein der sein kann, eine gute Blutwurst abzugeben. Daß das Dasein ein ständiger Kampf mit dem Pfleger um die Position des Wassereimers im Stall ist, die permanente Revolution aber bloß »auf Kosten der Qualität von Schinken, Eisbein und Kotelett« geht.

Anders als dem Gründer des Berliner Ensembles, dessen Lieblingshoffnung es war, sein Publikum ernsthaft beunruhigen zu können, geht es Cousse bloß darum, zwischen sich, seinem Schwein und den Zuschauern von vornherein das größtmögliche Einverständnis herzustellen. Und das ist es, was seine Sprache so unendlich hohl klingen läßt. Wenn er, auf dem Programmzettel, sagt: »Für mich ist die tägliche Existenz in erster Linie ein Alptraum«, dann sagt er das nicht aus Erfahrung, sondern aus Bequemlichkeit, um sich tiefergehende Verstörungen zu ersparen. »Meine Art von Humor: auch wenn alles verloren ist, soll man singen, man soll singend sterben.« Cousse hat die Rolle des Schweins, das um die Güte seiner Blutwurst besorgt ist, nicht nur geschrieben, er hat sie nicht nur selbst gespielt, er ist dieses Schwein.

Man müsse die Dinge so sehen, wie sie sind, sagt er im selben Zusammenhang über sein Stück. Und wirklich: Jeder einzelne Satz will sagen, »wie es ist«. Jeder Satz will bestätigt werden, keiner will irgend etwas hervorrufen, das über »Stimmt!«, »Ist doch wahr!«, »Sag' ich ja!«, »Meine Rede!« hinausgeht. Von den billigen Wortspielen, die naheliegen, wenn ein Schwein über seinesgleichen spricht, werden wenige ausgelassen, und der ganze Text ist voll von vagen Anspielungen, mit denen Cousse nach Art einer Fliegenklatsche mal hierhin, mal dorthin ausschlägt, in der Zuversicht, schon irgendwann irgendwie zu treffen.

Jürgen Watzke spielt das Stück gerade so, wie es gemeint ist. Immer wieder blickt er fragend, beifallheischend ins Publikum, unterstreicht sein Reden durch zustimmendes Brummen und schließt einzelne Passagen seines Monologs gar durch kleine Verbeugungen ab. Sein Spiel bebildert den Text, zeigt das, wovon er spricht; es verselbständigt sich keinen Augenblick. Daß die Perspektive nicht stimmt und sich die Rolle nicht durchhalten läßt, daß sich statt eines Schweins immer nur ein schwergewichtiger Schauspieler mit Ringelschwanz auf den Bühnenbrettern wälzt, ist weder seine Schuld noch die des jungen Regisseurs Aljoscha Westermann. Sie haben alles getan, was das Stück ihnen abverlangt. Aber sie hätten ein anderes nehmen können. Anselm Bühling

»Strategie eines Schweins« von Raymond Cousse. Regie: Aljoscha Westermann, Ausstattung: Jochen Max, Darsteller: Jürgen Wutzke. Nächste Vorstellung am 28. Februar um 19.30 Uhr auf der Probebühne im Berliner Ensemble.