Selbsthilfegruppen kassieren »zuviel«

■ Zuwendungen für Berliner Selbsthilfeprojekte sind laut Rechnungshof seit 1983 fünfmal stärker gestiegen als die restlichen Ausgaben des Landeshaushaltes/ Aus der Starthilfe wurde für jedes dritte Projekt eine regelmäßige Unterstützung

Berlin. Die vom Landeshaushalt gewährten Zuschüsse für West-berliner Selbsthilfeprojekte seien in den letzten Jahren immens gestiegen, außerdem würden die Projekte zu lange vom Senat gefördert. Das besagt ein der taz vorliegendes Gutachten des Berliner Rechnungshofes. Demnach wird eine »hohe Zahl der Selbsthilfegruppen auf Dauer mit immer höheren Zuschüssen gefördert, obwohl das Abgeordnetenhaus wiederholt beschlossen hatte, daß die Dauerförderung nicht zur Regelförderung werden darf«.

Von der Zielsetzung des 1982 erstmals beschlossenen Förderprogramms her sollte den Projekten lediglich eine Starthilfe (Anschubfinanzierung) gewährt werden, um sie dadurch auf Dauer von öffentlicher Hilfe unabhängig zu machen. Die dann frei werdenden Mittel sollten der Förderung neuer Projekte dienen. Dennoch, so weist der Bericht des Rechnungshofes nach, haben sich die Ausgaben seit Beginn des Förderungsprogramms im Jahre 1983 von rund 4,11 Millionen Mark auf rund 11,26 Millionen Mark im Jahre 1990 erhöht. Demnach sind die Zuwendungen jährlich um etwa 23,8 Prozent gestiegen — fünfmal stärker als die Ausgaben im Gesamt-Haushalt, dessen Steigerungsrate in diesen Jahren nur 4,8 Prozent betrug.

Dieser überproportionale Ausgabenanstieg [Blödsinn: Das Programm lief 1983 doch erst an! - d.K.] ist nach Ansicht des Rechnungshofes vor allem auf das nicht ausreichend konkretisierte Zuwendungsprogramm zurückzuführen. Förderungskriterien wie »Ausländergruppen bei der eigenen Bewältigung von Alltagsproblemen zu helfen« oder »Aktivitäten junger Menschen, ihren Lebensweg im Kontakt mit anderen selbst zu finden« seien so allgemein formuliert, daß »nahezu jede nur denkbare gesellschaftliche Aktivität« förderungsfähig sei. Daran ändere auch die Beteiligung des Selbsthilfebeirats nur wenig, da er in 90 Prozent aller Fälle den Vorschlägen der Senatsverwaltung folge.

Darüberhinaus seien die Verwaltungen auch von der ursprünglichen Konzeption hinsichtlich der Art der geförderten Ausgaben abgewichen: Vorrangig nämlich sollten die Projekte Mittel für Miete und andere notwendige Sachkosten erhalten, widersprochen habe es der damaligen Intention des Selbsthilfe-Förderungsprogramms, Personalstellen zu finanzieren. Daran hätten sich die Verwaltungen jedoch nur in den Jahren 1983 und 1989 gehalten; in der übrigen Zeit überwogen nach Angaben des Rechnungshofes stets die Personalkosten. Aus dieser »Not« wurde 1989 eine Tugend gemacht: Seitdem ist die Bezahlung nach Tarif bis zur Vergütungsgruppe V b BAT zugelassen. Dadurch, so der Rechnungshof, »dürfte das Verlangen nach einer Dauerförderung noch gesteigert worden sein«.

Einen weiteren Grund für den immensen Ausgabenzuwachs sieht der Rechnungshof in der Tatsache, daß seit 1986 »fachlich geeignete« Selbsthilfegruppen, »an deren Leistung ein fachlicher und regionaler Bedarf besteht und deren Angebot mit anderen Leistungsangeboten abgestimmt ist«, von der Anschub- in die Weiterförderung übernommen werden. Dies habe dazu geführt, daß nahezu jedes dritte Projekt auch weiterhin in den Senatssäckel greifen durfte. Ergebnis: Im Jahre 1989 lagen laut Rechnungshof die Ausgaben für die Weiterförderung mit rund 6,14 Millionen Mark erstmals über den Ausgaben für die Anschubfinanzierung (3,84 Millionen Mark).

Für ungerechtfertigt hält der Rechnungshof deshalb, daß seit 1990 die Projekte nach zwölf Monaten Förderungsdauer grundsätzlich nur noch 10 Prozent der Bewirtschaftungskosten mit Eigenmitteln finanzieren müssen. Die Förderkriterien 90 führten überdies zu einer Ausweitung förderungswürdiger Gruppen, zumal nun auch Projekte Zuwendungen erhielten, die mit Hilfe künstlerischer Aktivitäten versuchten, gesundheitliche oder soziale Probleme zu bewältigen.

Der Rechnungshof ist deshalb der Auffassung, »daß dieses Zuwendungsprogramm auszuufern droht und zu unvertretbaren Dauerbelastungen für den Landeshaushalt führt«, zumal die erwartete Reduzierung vergleichbarer Angebote bei Wohlfahrtsverbänden und öffentlichen Dienststellen ausgeblieben sei. Deshalb habe er die Senatsverwaltungen für Gesundheit und Soziales um eine Überprüfung des Zuwendungsprogramms mit dem Ziel der Kostenreduzierung gebeten. maz