Deutsches Deutschland: wirklich trist

■ Ulrike Ottinger im Forum

In allen deutschen Dokumentarfilmen des diesjährigen Forums begeben sich die RegisseurInnen auf Spurensuche in West und Ost. Mal ist es die Mauer, mal die eigene Vergangenheit, die filmisch untersucht und aufbereitet wird. Auch Ulrike Ottinger zieht es mit der Kamera auf der Schulter zu diesem Thema und den entsprechenden Orten. Countdown protokolliert die Zeit vom 21. Juni bis 1. Juli 1990, den letzten Tagen vor der Währungsunion — hüben wie drüben.

Ulrike Ottinger unterteilt ihren Countdown in zehn Kapitel: für jeden Tag eine Episode, der ein Motto vorangestellt ist. Zur Einstimmung und Reminiszenz an (unbewältigte) deutsche Restvergangenheit gibt es Bilder vom jüdischen Friedhof in Weissensee, untermalt von traurigen Gesängen. An den Folgetagen wird abgegrast, was entfernt mit Wiedervereinigung und Einführung der D-Mark zu tun haben könnte. Unter dem Motto „Neue Durchlässigkeit“ geht es auf die dampferbefahrenen Wasserwege in und um Berlin, am nächsten Tag zu den „Wirtschaftsnomaden“ am Bahnhof Zoo und den Aldi-Schlangen, später an die Mauer.

Die Kamera bleibt den Menschen fern, fängt sie mit touristischem Blick im Vorbeistreifen ein, genau wie die verfallenen Häuser oder die verfallenen S-Bahnhöfe. Die Bilder sind wie gewohnt deutsch-bleich und längst gesehen. Weil häufig aus fahrenden Fahrzeugen gefilmt wird, wackelt es sichtbar und strapaziert die Augen.

Erst als Ulrike Ottinger am sechsten Tag das Berliner Umland bereist und mit den Leuten vor der Kamera spricht, kommt für Momente Leben in die Bilder. Kinder plappern fröhlich-altklug über das bevorstehende Währungsereignis und singen kurz darauf ein Lied. Anschließend plaudert die Regisseurin mit zwei Damen im Garten über Geld, Politik und die Zukunft. Nach diesem kurzfristigen Höhepunkt muß man zurück ins unausweichliche Berlin zum Polenmarkt und zu den leeren Schaufenstern im Ostteil, um schließlich am Tage X die endlosen Währungsschlangen vor den Bankfilialen zu betrachten.

Um diesem filmischen Countdown beizuwohnen, braucht es 188 Minuten lang Geduld und starke Sehnerven. Dafür darf man sich exzessiv an konventionellen Bildern sattsehen. Als Fazit bleibt, daß das deutsche Deutschland wirklich trist ist. Und daß es hier kein Licht gibt. Oh, man möchte auswandern, irgendwohin, wo vielleicht sogar Schwarzweißfilme bunt sein können. Michaela Lechner

Countdown. Regie, Buch, Kamera: Ulrike Ottinger, BRD 1990, Farbe, 188 Min.

25.2., Delphi, 15.30 Uhr

25.2., Kongreßhalle, 19 Uhr

26.2., Arsenal, 19 Uhr