Der Krieg furzt, das Fernsehen stinkt

■ Satire zu Kriegszeiten

Frauen leben länger. Zum Beispiel Bertha. Bertha Krupp von Bohlen und Halbach, Enkelin von Friedrich Krupp, des Gründers jener Essener Kanonendynastie, war Namenspatin für das Spitzenprodukt des Hauses, eine Kanone, mit der 1918 bis Paris geschossen werden konnte. Seit dem 17. Januar schießt sie nun von dort aus, mit satirischen Granaten, gegen den neuen Krieg. Eine weitreichende Kanone, wie sie sich Saddam Hussein immer erträumt hat? — 'La grosse Bertha‘ zielt eher auf die einheimischen Politiker und Massenmedien. Da allerdings wird scharf geschossen. „100.000 Tote oder gar nichts“ hieß eine Überschrift in der ersten Nummer, frei nach der bekannten Reklame eines bekannten Pastis. „Der Krieg furzt, das Fernsehen stinkt!“ war die Schlagzeile der Nummer zwei.

Auch die zahlreichen Karikaturen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ob Saddam, Bush oder Präsident Mitterrand, niemand wird verschont, am wenigsten die Militärs, die sich auf allen Fernsehkanälen als Experten feiern lassen. In einem Artikel über die Kriegsgewinnler und Börsenspekulanten („Die [Geld]börse oder das Leben“) heißt es am Schluß: „Sie stehen im Gegensatz zu allen Werten, die die Gesellschaft zu verteidigen vorgibt: Solidarität, Brüderlichkeit, Ehrlichkeit, Freundschaft zwischen den Völkern. Und dennoch werden sie mit kostenloser Werbung in den Medien verwöhnt, haben nach einigen Aufregungen noch mehr Macht. Unsere liebe dicke Bertha hingegen, ein hübsches pausbäckiges Baby, das mit all seinem Zahnfeisch lächelt, hat schon Medienverbot: ,So redet man nicht über den Krieg. — Warum? — Das ist obszön. — Wie bitte? — Sie sind obszön. — Ah ja, obszön...‘“

Satire und Krieg, das verträgt sich nicht. Der größte Feind der Satire, die Intoleranz, schwingt sich in Kriegszeiten zur letzten Instanz auf: Sie wird zur Zensurbehörde. Der Krieg ist eine ernste Sache, es geht viel kaputt, es gibt Verwundete, es gibt Tote, wer wagt es da zu lachen? — Natürlich kann man sich über den Feind lustig machen, das soll man sogar. So zum Beispiel: „Und den Deutschen ihr Brauch ist: Immer feste nach vorn! Und dem Joffre sein Bauch ist schon schlanker gewor'n. ... Und ich fühl's, wie's geschwind geht, wenn ich sing' oder schieß': wenn im Frühjahr der Wind geht, Dann geht's auf Paris!“ So stand's 1914 im 'Simplicissimus‘. Auf der französischen Seite wurde von Kindern berichtet, die mit Kanonen aus Ofenrohrattrappen deutsche Soldaten zur Aufgabe bewegt haben. Ein lustiger Krieg. Wer aber über den Krieg selbst oder die eigene Regierung spottet, hat nichts zu lachen. Die Schere des Zensors mäht alles nieder, was der Vaterlandsliebe abträglich ist, wenn das Satireblatt nicht gleich verboten und der Redakteur auf das Feld der Ehre geschickt wird. (Haben Sie überhaupt gedient, Mann?) Dennoch, manchmal ist es möglich, trotz Zensur und Heldenklau eine nonkonformistische Satirezeitung herauszubringen; der französische 'Canard enchaîné‘ ist 1915 entstanden, und es gibt ihn bis heute. Das ist jedoch die Ausnahme, welche die Regel bestätigt.

Der Zweite Weltkrieg war noch humorloser als der Erste. In Frankreich stand im 'Canard‘ im März 1939 zu lesen: „Wenn der Krieg näherkommt, sondern alle Wesen einen neuen Schweiß ab, alle Ereignisse werden mit einem neuen Lack bestrichen, der Lüge heißt. Alle lügen.“ Mit dem Einmarsch der Deutschen mußten sich die Franzosen mit dem Flüsterwitz begnügen, der in Großdeutschland schon seit 1933 die einzige satirische Währung war. Selbst auf den Schlachtfeldern wurde nicht mehr gelacht, möglicherweise wegen der neuen beweglichen Kriegführung, es gab ja keine monatelangen Stellungskriege, in denen mit Witzblättern Langeweile bekämpft werden mußte. Etwas lustiger war der Koreakrieg. Frei nach einer Likörreklame sang man unbekümmert: „Ei, Ei, Ei, Korea, der Krieg kommt imma neha.“

Die Toleranz wächst mit der Distanz. Je weiter der Krieg weg ist, desto ungenierter darf man sich darüber mokieren. Vor allem, wenn „wir“ nicht darin verwickelt sind. Beim ersten Golfkrieg zum Beispiel. Beim zweiten ist das anders. Das hat auch der Berliner Kabarettist Martin Buchholz zu spüren bekommen, seine lästerlichen Radioauftritte wurden unterbunden, nach dem Krieg darf er bestimmt wieder. Auch die Franzosen müssen zur Zeit auf die allabendlichen zehn Minuten der Bébéte-Show verzichten: das beliebte Spektakel, bei dem tierische Stoffpuppen Politiker nachäffen, entspricht nicht der Würde des schweren Amtes. Mitterrand wird durch einen Frosch dargestellt, wo er doch so mutig ist ...

Tucholsky, der so gerne zitiert wird, wenn es um Satire geht (Was darf sie? — Alles!), schrieb in nämlichem Artikel: „Satire ist eine durchaus negative Sache. Sie sagt: ,Nein!‘ Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechttrommel gegen alles, was stockt und träge ist.“ Also die grenzenlose Satire? — Schon ohne Krieg bekommt sie Schwierigkeiten, wenn sie sich wirklich austobt. Nicht daß man keinen Spaß verstände, man habe gewiß Humor, aber das ginge zu weit, das sei geschmacklos, antwortet man ihr schon in Friedenszeiten. Im Krieg jedoch wird Pietät verlangt, bei einer Beerdigung lacht man schließlich auch nicht. Auch der Pazifist hält sich an seiner strengen Moral fest und hißt das weiße Laken. Jeder Krieg treibt einen Schwall von Emotionen an die Oberfläche, die allemal hilflos bis heuchlerisch sind. Die Satire sieht sich gerade dann verpflichtet, den kalten, klaren Intellekt zu versprühen, sie fordert, um mit Henri Bergson zu sprechen, die momentane Anästhesie des Herzens. Etwa so: „Das Wunder von Bagdad: Unglaubliche Welle der Solidarität: Flugzeuge aus 29 verschiedenen Ländern lösen sich seit acht Tagen ab, um Alissa Zyad, einer kleinen neunjährigen Irakerin, Opfer einer genetischen Krankheit, ein seltenes Medikament zu bringen. Seien sie dafür bedankt. Der Mensch ist gut.“

Ob 'La grosse Bertha‘ ihr Feuer wohl einstellt, wenn der Golf pazifiziert ist? — Übrigens, die echte Bertha starb 1957. C. Kazper