Militärs demonstrieren für eine heile Welt

■ Konservative Kräfte forderten in Moskau „Ende der Anarchie“/ Zuspruch unter der Bevölkerung schwächer als erwartet

Moskau (taz) — Der Moskauer Rundfunk spielte schon am frühen Morgen Marschmusik. Das muß nicht beunruhigen, denn der 23.Februar ist seit Gründung der Roten Armee vor 73 Jahren ein Feiertag. Doch die ständige Wiederholung der Parole „Die Armee und das Volk sind eins“ zwischen den Märschen — das war neu.

Zur Großdemonstration auf dem Manegeplatz unweit des Kreml hatte ursprünglich der Stab der Moskauer Garnison gerufen. Später schlossen sich ihm noch die Veteranen, Arbeitskollektive und der kommunistische Jugendverband an. Ein eindrucksvolles „Massenmeeting“ wollten die konservativen Kräfte auf die Beine stellen, um gegen den „Zerfall der UdSSR und für einen neuen Unionsvertag“ zu demonstrieren. Trotz generalstabsmäßiger Vorbereitung und dem Versuch, ganze Einheiten und Kollektive zu verpflichten, kamen dann um die 100.000. Mit 300.000 hatten Armeesprecher gerechnet. Viele von ihnen waren den Wünschen der Militärs gefolgt und hatten Zivil angelegt. Man wollte den Eindruck erwecken, das „zivile“ Moskau stünde geschlossen hinter der Armee und ihrer Forderung, den Demokraten der russischen Föderation den Garaus zu machen. Bessere Kleidung, strammere Haltung und ein mißtrauischer Blick verrieten sie dennoch als Angehörige der Streitkräfte.

„Perestroika — ja, Anarchie — nein“, war überall zu lesen, und der Militärbarde Michail Noschkin brüllte, was alle dachten: „Es herrscht Anarchie, wir haben begriffen, daß die Armee der einzige stabilisierende Faktor ist.“ Die Stimmung war aggressiv. Die Redner vor dem Hotel Moskau heizten der Menge ein. „Faschismus nein, Stärkung der Armee ja“, skandierten sie, und das Volk schrie aus voller Kehle mit. Kompakte Demagogie, die jede Nachdenklichkeit verkleisterte. Auf einer Tribüne am Rande genoß die Nomenklatura, vertreten durch den Innenminister Boris Pugow, Verteidigungsminister Jasow und den KGB-Chef Krjutschkow, die Neuauflage einer bekannten Seifenoper. Sie meldeten sich aber nicht selbst zu Wort. Das überließ man lieber den geifernden Wasserträgern, die außer wüsten Beschimpfungen nichts zu sagen hatten. Schuld sind immer die anderen: Die Spekulanten, die Massenmedien, die Juden und die Ausländer. Daher empfahl auch ein Transparent die heilbringende Lösung: „Ein Schicksal — für alle Völker der Sowjetunion.“ Geradezu widerlich war der Antisemitismus, der aus allen Löchern hervorkroch und über den sich niemand empörte. Zwar tauchte er nicht in den offiziellen Reden auf, aber dafür auf zahlreichen Postern: „Rußland im Block mit den Arabern im 21.Jahrhundert gegen den globalen Zionismus.“ Man war gekommen, um dem „Internationalismus“ zu huldigen, in dem Juden und Ausländer keinen Platz finden: „Jelzin, Schluß mit dem Ausverkauf Rußlands an die Ausländer“, gehörte auch zum Standardrepertoire. Klaus-Helge Donath