Rückschlag in Albanien Alia unter Beschuß

 ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

Hunderttausende gingen am Wochenende in Albanien auf die Straße. In allen größeren Städten rief die alleinregierende KP zu Demonstrationsaufmärschen zum „Schutz des Vaterlandes“ und „zu Ehren Enver Hoxhas“ auf. Vielerorts erklangen Rufe wie „Verhaftet die Studenten von Tirana“, „Wir geben unser Blut für die Partei Envers“ und „Nieder mit den neuen finsteren Kräften“. Die blutige Bilanz: offiziell vier Tote vor der Heeresakademie in Tirana, wo am Freitag abend, nachdem angeblich ein Polizist von Demonstranten erschossen worden war, Sicherheitskräfte das Feuer auf die Demonstration eröffnet hatten. Dazu gewalttätige Zusammenstöße in Durres zwischen „Hooligans“ und „Vaterlandsfreunden“. Ansonsten „disziplinierte Kampfbereitschaft zum Erhalt der sozialistischen Demokratie“ (Radio Tirana). Unbestätigten Berichten zufolge sitzen bereits 50 Studentenführer hinter Gittern, und es beginnt eine landesweite Hetzjagd gegen kritische Intellektuelle. Staats- und Parteichef Ramiz Alia erklärte in einer Fernsehansprache, nicht an das Volk, sondern erstmals nur an „alle aufrichtigen Kommunisten“: „Haben wir noch die Möglichkeit, einen Brudermord zu vermeiden? Ich meine ja, wenn sich jeder im klaren ist, daß gegen uns ein grausamer Kampf von inneren und äußeren Feinden geführt wird, den wir nur dann gewinnen, wenn wir die vandalistischen und terroristischen Elemente isolieren.“

Immer lauter ertönt die Forderung, alle Enver-Hoxha-Denkmäler, die in den letzten Tagen unter Führung von Studenten in unzähligen Orten in spontanen Massenkundgebungen vom Sockel geholt wurden, wieder aufzurichten. In Gjirokastra, dem Geburtsort Hoxhas, und dem erst kürzlich in Kucovo umbenannten Stalingrad traten sogar Mittelschüler in einen Hungerstreik, angeblich, um die Verbundenheit mit der KP, der „Partei Envers“, zu bekunden. Radio Tirana, das in den letzten Tagen umfassend und kritisch über die Studentenproteste und die Aktivitäten der neuentstandenen Oppositionsparteien berichtet hatte, fand zum alten stalinistischen Ton zurück. Stündlich werden Telegramme und Briefe von Kolchosen und Betrieben verlesen, in denen es heißt: „Wir lassen nicht zu, daß vandalistische Haufen ihre Politik dem Volk aufzwingen wollen. Wir sind empört, wenn wir hören, Europa akzeptiere nicht die historische Gestalt Enver Hoxha. Doch wir stehen zu ihm und sind bereit, unser Blut zur Verteidigung gegenüber finsteren Kräften zu geben.“ So eine Petition von tausend Arbeitern aus Bajram Curri.

Es gibt jedoch auch Stimmen und Anzeichen, daß Ramiz Alia nur noch in letzter Minute am Freitag ein Eingreifen der Armee verhindern konnte, der der Reformprozeß schon lange ein Dorn im Auge ist. Alia hatte die Regierung Adil Carcani, die im Kreuzfeuer der demokratischen Kritik gestanden hatte, entlassen und einen neunköpfigen Präsidialrat gebildet, der bis zu den anstehenden Mehrparteienwahlen am 31. März als Übergangsregierung fungieren sollte. Für den Außenstehenden wirkt es, als seien alte Hardliner durch neue Dogmatiker ersetzt worden, und unabhängige Experten und Oppositionspolitiker blieben von den Regierungsgeschäften weiter ausgesperrt. Insider glauben aber, Alia sei es gelungen, militante Militärkreise zu isolieren und einen Putsch von deren Seite fürs erste zu verhindern. Für einen Preis allerdings, den vor allem Intellektuelle und Oppositionelle nicht bereit sind hinzunehmen. In der neuesten Ausgabe des Oppositionsblattes 'Rilindija demokratike‘ wird offen zu neuen Protesten aufgerufen: „Die erreichten Freiheiten dürfen wir uns nicht wieder nehmen lassen.“ Afrin Karagjosi von der Demokratischen Partei sagte am Samstag, es gebe wachsende Befürchtungen, wonach konservative Generale und andere Offiziere einen Umsturzversuch gegen Alia planten. Auf dem Land würden Offizierstreffen veranstaltet und Freiwilligentruppen zusammengestellt, die „die Ehre Enver Hoxhas verteidigen wollen“. Auf einigen dieser Treffen sei Ramiz Alia als Verräter bezeichnet worden.