Sofortiger Waffenstillstand, um Saddam Hussein politisch zu besiegen

■ Golfkrieg-Zensur in der taz?/ Antwort von Vera Wollenberger (Bündnis 90/Grüne) auf eine „Infamie von Klaus Wolschner“ in der taz vom 8.2.1991

Berlin. Seit dem Beginn des Golfkrieges steht auch die Friedensbewegung heftig unter Beschuß. [...] Wer trotz Hussein gegen diesen Krieg ist, setzt sich leicht dem Vorwurf aus, er sei für den Diktator, und das Existenzrecht Israels wäre ihm mindestens gleichgültig. Tatsächlich werden diese Vorwürfe immer wieder in den verschiedensten Variationen, Abstufungen und mit wechselnder Intensität wiederholt.

Neu, aber nur auf den ersten Blick überraschend, ist, daß Angriffe auf die Friedensbewegung, und ich meine jetzt ihren Teil, der an seiner Ablehnung des Krieges als Mittel der Politik, an seiner Ablehnung des Abschreckungsdenkens, der Waffenexporte, kurz am Pazifismus festhält, aus den ehemals eigenen Reihen kommt.

Die Welt des Golfkrieges läßt sich nicht mehr in Gut und Böse einteilen. Die Golfkrieg-Situation zeigt drastisch, daß die klassischen Ideologieschemata nicht mehr greifen, daß ein Schwarz-Weiß-Weltbild, will man der Komplexität und Diffizilität der Lage gerecht werden, nicht mehr greift. [...] Wie keine andere Zeitung hat die taz in den letzten Wochen die Zerrissenheit in der Auseinandersetzung mit dem alten Denken widergespiegelt. [...]

Bei Herrn Wolschners Artikel handelt es sich aber von der Überschrift bis zum letzten Satz um eine Diffamierung, wie ich sie nicht für möglich halten würde, wäre sie nicht schwarz auf weiß in der taz abgedruckt. Seine Anschuldigungen sind kein Diskussionsbeitrag, nicht einmal eine Provokation, sondern eine Obszönität. Es wird der Eindruck erzeugt, ich sei eine Anhängerin von Saddam Hussein, und um diese Gehässigkeit nicht allein dastehen zu lassen, werde ich am Schluß noch als Verräterin bezeichnet. Verräter verfallen der Feme oder werden in Kriegszeiten an die Wand gestellt. Ich weiß gar nicht, vor welcher Vorstellung mir mehr graut: daß Herr Wolschner wußte, was er da schreibt oder daß er es nicht wußte. Wenn die taz über meine Reden zum Golfkrieg im Bundestag berichtet hätte, statt sie wegzuzensieren, wenn sie — wie wir es angeboten haben — meine Rede auf der Sondersitzung zum Golfkrieg auf der Meinungsseite abgedruckt hätte, wäre auch der taz-Redaktion klargewesen, daß ich mich sowohl zum Giftgaseinsatz gegen die Kurden, als auch zum irakisch-iranischen Krieg geäußert habe, und das nicht nur in einem Wort, sondern eindringlich und immer wieder. Ebenso habe ich immer wieder klargestellt, daß die Friedensbewegung die Invasion gegen Kuwait nicht hinnimmt, und das nicht nur im Bundestag und auf zahllosen Anti-Golfkrieg-Veranstaltungen und in unseren Gesprächen mit syrischen und jordanischen Regierungspolitikern, sondern auch gegenüber dem irakischen Botschafter in Amman. [...]

Ich habe entschiedene Gegnerschaft zur Politik Husseins nicht erst seit der Golfkrise formuliert, sondern schon unter dem SED-Regime dagegen protestiert, daß die DDR Kriegsmaterial an den Iran und den Irak lieferte. Ich habe nicht erst jetzt gegen den Giftgaseinsatz gegen die Kurden protestiert, sondern schon damals, als er stattfand. Ich brauchte nicht die „demokratische Bundesrepublik, wo man frei reden darf“; ich habe das schon vorher getan. Ich hätte mich allerdings nie getraut, die Demonstration in Jordanien mit Massenaufmärschen der Nazizeit zu vergleichen, weil das eine Lüge gewesen wäre. [...]

Seit Beginn des Krieges wird alles getan, um den Eindruck zu erwecken, bei den Irakern und nun auch den Menschen aus anderen arabischen Staaten handele es sich um eine fanatische kriegswütige Menge, die ihrem Führer mit Lust in den Heiligen Krieg folgt. Damit ist es natürlich leichter, das Bombardement gegen die irakische Bevölkerung akzeptabel zu machen. Als „Beweise“ sieht man Interviews mit irakischen Menschen, die vor den Trümmern ihrer Häuser sagen, daß sie nach wie vor die Politik Husseins unterstützen. Es wird nirgends die Frage gestellt, welchen Wert solche Interviews haben, die von einem Geheimdienst terrorisiert werden, der nicht davor zurückschreckt, Gegner des Regimes in Salzsäure aufzulösen oder Kinder vor den Augen ihrer Eltern zu foltern, wo jede öffentliche Äußerung gegen den Diktator den Tod bedeutet. Seit Jahren hat die irakische Opposition versucht, Politiker und die internationale Öffentlichkeit auf die Menschenrechtsverletzungen im Irak hinzuweisen und auf die Gefahr, die es für die Menschheit bedeutet, wenn Hussein aufgerüstet wird. Das hat weder die Politiker aus Ost und West, noch die Rüstungsindustrie beider Blöcke davon abgehalten, Hussein zu jener Bedrohung für die Welt zu machen, die er heute darstellt. Hussein ist ein Produkt des Versagens aller an der Weltpolitik beteiligten Politiker, das kann nicht oft genug wiederholt werden. Dr. Hermann Scheer hat in seinem glänzenden Artikel in der taz vom 6.2. den lückenlosen Nachweis für die Richtigkeit dieser These geliefert. Daß jetzt das Versagen der Politik mit dem Blut des irakischen Volkes verdeckt werden soll, ist unerträglich.

Nun zu der Stimmung in den arabischen Staaten. Beim syrischen Regierungssystem handelt es sich um eine Diktatur. Bis zum 15.Januar war die Stimmung in der syrischen Bevölkerung überwiegend stark antiirakisch und gegen Hussein. Das hat sich mit dem Ausbruch des Krieges radikal geändert. [...] Ja, es gibt antiisraelische Stimmungen; sie haben aber ihre Ursachen. Israel hat zum Beispiel einen beträchtlichen Teil der syrischen Golanhöhen okkupiert und jene UNO-Resolution, die zum Rückzug auffordert, ignoriert. Es gibt in Syrien den Ort Qneitra, der von den Israelis dem Erdboden gleichgemacht wurde, als er geräumt werden mußte. Es gibt in Syrien Palästinenser, die aus ihren angestammten Wohngebieten vertrieben worden sind. Schließlich hat Israel dem palästinensischen Volk gegenüber Menschenrechtsverletzungen begangen, die noch 1989 Gegenstand einer UNO-Resolution waren. Darüber wird nicht nur geschwiegen, sondern Israel wird auch noch mit Waffen unterstützt. Die Haltung des Westens, in der Politik mit zweierlei Maß zu messen, ist die Ursache der Verbitterung in der arabischen Welt, die sich auch in antiisraelischen Parolen äußert. Die Parolen würden verschwinden, wenn endlich mit der Lösung der Palästinenser-Frage begonnen würde. Wir haben in Syrien und Jordanien mit vielen, ganz unterschiedlichen Menschen auch über das Israel-Palästinenser-Problem gesprochen. [...] Die Invasion in Kuwait wird auch in Syrien und Jordanien nicht gebilligt. Es wird aber die richtige Forderung nach der Erfüllung aller UN-Resolutionen gestellt, nach dem Abzug aus allen okkupierten Territorien. Mit Recht wird auch darauf verwiesen, daß der Kuwait-Konflikt ein inneres arabisches Problem sei und von den arabischen Staaten allein gelöst werden müßte. Wie sehr die Stimmung in der arabischen Welt gegen diesen Krieg ist, kann man auch an den arabischen Friedensinitiativen ablesen, über die in unseren Medien berichtet wurde. Wie viele westliche Friedensinitiativen stehen dem gegenüber? Wenn ich Jordanien mit der DDR verglichen habe, dann meine ich damit den demokratischen Aufbruch, der sich derzeit im Lande vollzieht. Wenn man sich vor Augen führt, wie König Hussein noch vor 20 Jahren regiert hat, dann kann man ermessen, was es bedeutet, daß sich die öffentliche Meinung in Diskussionen und Demonstrationen artikulieren kann. Nun ist es richtig, daß die Stimmung mit jedem Tag zugunsten Saddam Husseins wächst. Bis zum 15.Januar wurde Hussein in Jordanien abgelehnt. Es ist auch heute keineswegs vergessen, daß er ein übler Diktator ist. Da dieser Krieg aber nicht nur als ein Krieg gegen Hussein, sondern als ein Krieg gegen die arabische welt empfunden wird, betrachtet man Hussein derzeit als das kleinere Übel. [...]

Mit jedem Tag, den dieser Krieg dauert, festigt sich Husseins Position in der arabischen Welt gegen die Hegemoniebestrebungen des Westens. Das war Husseins eigentliches Kriegsziel, und die Alliierten bombten es herbei. Von Anfang an war klar, daß dieser Krieg von Hussein nicht militärisch zu gewinnen war. Das braucht er auch nicht, denn er ist dabei, ihn politisch zu gewinnen. Mit jedem weiteren Kriegstag gibt man ihm die Möglichkeit, zu jeder bösen Konsequenz zu greifen, zu der er bereit ist. Einen Mann wie Hussein kann man nicht aus der Welt bomben. Um ihn politisch zu besiegen, ist ein sofortiger Waffenstillstand notwendig. Dann müßte zweierlei folgen: eine Ächtung Husseins als Politiker und eine Ächtung des Krieges als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Gleichzeitig muß an einer Lösung aller Konfliktfragen des Nahen Ostens gearbeitet werden. [...] Vera Wollenberger