Ökologischer Deichverband politisch unerwünscht?

■ Innensenator Sakuth drückt neue Wahlordnung durch / Deichverband am rechten Weserufer: „Nazirecht“

Rund 120.000 Bremer Familien, die ein Haus ihr eigen nennen, werden einmal im Jahr daran erinnert, daß Bremen auf Sand gebaut ist: Wenn das Finanzamt nämlich gleichzeitig mit dem Grundsteuerbescheid den Deichbeitrag einfordert. Dann erfahren die Haus- und GrundstückseigentümerInnen schwarz auf weiß, daß es Geld und Arbeit kostet, Deiche zu bauen, zu pflegen und zu unterhalten.

Rund 50 bis 60 Mark sind dies jedes Jahr für ein durchschnittliches Bremer Häuschen, 1,3 Promille des Einheitswertes. Früher mußten die Anrainer die Deiche selber bauen, heute wird dies an Deichverbände delegiert, an Körperschaften öffentlichen Rechts — in Bremen auf jeder Weseruferseite einer. Ihr oberstes Beschlußorgan, die Deichämter, werden alle fünf Jahre neu gewählt.

Rechts der Weser profitieren von Engagement und Politik ihres Verbandes rund doppelt so viele Mitglieder wie auf dem linken Weserufer. Der Deichverband am rechten Weserufer war es auch, der unter dem jetzigen Deichhauptmann Gerold Janssen seit gut vier Jahren eine neue Politik versucht: ökologischer, wirtschaftlicher und transparenter für die Mitglieder.

In diese Entwicklung mischte sich jetzt, als Aufsichtsbehörde, der Innensenator ein: Er verfügte eine neue Wahlordnung. Am 15. Februar ließ er sie, gegen den Willen des mitgliederstärksten Deichverbandes, von SPD und CDU, gegen Grüne und FDP, in der Innendeputation absegnen — Hals über Kopf: Denn am 1. Mai tritt bundesweit das neue Wasserverbandsgesetz in Kraft. Damit wird u.a. auch die Satzungshoheit in die Hände der Verbände gelegt. Nach dem 1. Mai hätte Sakuth die Satzung dann nur „aus Gründen öffentlichen Interesses“ ändern können. Die Verordnung, mit der Sakuth die Satzungsänderung durchdrückt, stammt von 1937 und ist altes Nazirecht, das den „Reichsnährstand“ sichern und die Landwirtschaft unterstützen sollte (die alte Wasserverbandsordnung war also eines der Ermächtigungsgesetze, die jetzt abgeschafft und zum 1. Mai ersetzt wird.)

Der Deichhauptmann am rechten Weserufer, Gerold Janssen, erläutert im Gespräch mit der taz die Hintergründe.

taz: Sie haben gegen die neue Wahlordnung, die die generelle Briefwahl vorsieht, protestiert. Was wollen Sie tun?

Gerold Janssen: Wir haben einen Rechtsanwalt eingeschaltet und wollen per gerichtlicher Anordnung gegen die Briefwahl vorgehen.

Sie sagen, die geplante Briefwahl sei undemokratisch. Wie wurde denn bisher das Deichamt gewählt?

Vor 1986 waren die Wahlen tatsächlich eine Farce. Das damalige Establishment hatte kein Interesse daran, diese Wahlen hinreichend öffentlich zu machen. Damals sind wirklich in Kneipen und an entlegenen Stellen für ein oder zwei Stunden die Wahlen durchgeführt worden an Werktagen. Kaum jemand wußte etwas davon. Das konnte man den Deichverbänden wirklich vorwerfen. Bis 1986 waren die Wahlen auch nur klein in den amtlichen Bekanntmachungen angekündigt worden.

Dann, 1986, haben wir auf dem rechten Weserufer versucht, dieses Establishment zu beseitigen: Weil wir eine verantwortliche Naturschonung bewirken wollten und weil manches in der Ausgabenpolitik zu Lasten der Mitglieder im argen lag. Diese Auseinandersetzung, die hier auf dem rechten Weserufer zum sog. „Umsturz“ geführt hatte, hat bereits zu einer stärkeren Wahlbeteiligung geführt, in einigen großen Wahlbezirken über 10, insgesamt immerhin 5 Prozent. Am linken Weserufer waren es nur 2,5 Prozent.

Mit der Briefwahl wird diese Tendenz einfach abgewürgt. Da besteht die Gefahr, daß sie nicht in ausreichendem Maße geheim abläuft und daß sie beeinflußbar ist. Bei politischen Wahlen hat das Bundesverfassungsgericht deshalb Bedenken und fordert, daß der Gesetzgeber Mißbrauch vorbeugen muß.

Unser Vorstand will, daß künftig jedes Mitglied eine Wahlbenachrichtigung bekommt und auch weiß, wann und wo es zu wählen hat.

Wir schreiben inzwischen die Mitglieder jedes Jahr an und berichten über unsere Arbeit. Wir haben Führungen im Deichverbandsgebiet gemacht, haben bei der großen Ausstellung in der Rathaushalle eine riesige Resonanz erhalten, haben ein Buch herausgegeben...

Welche Wahlordnung wäre korrekt?

Eine Urnenwahl, verbunden mit einer Briefwahl und Wahlbenachrichtigung. — Ich fürchte aber, daß die Wahl nicht zustandekommen wird, wie wir sie für Ende Mai/Anfang Juni vorgesehen hatten.

Weshalb ist Ihrer Meinung nach Briefwahl undemokratisch?

Wir brauchen unabhängige Personen, die sich vor Ort auskennen, die voll motiviert dieses Amt ausüben. Ich sehe kommen, daß z.B. die Parteien in das Feld des Deichverbandes einsteigen, um ihre Leute reinzubringen. Das kann man auch schon an der Satzung der neuen Wahlordnung erkennen: „Dem Wahlvorschlag kann eine Kurzbezeichnung (Kennwort) beigefügt werden, die bis zu drei Wörter umfassen darf.“ Soll da künftig hinein: SPD? Oder auch: CDU? Daß dann ein Abklatsch der Bürgerschaft daraus wird? Und daß Leute, die unabhängig in dieses Deichamt streben, außen vor bleiben?

Mir ist eine Aussage des früheren Innensenators Bernd Meyer bewußt geworden, der 1987 zu uns vom Vorstand des Deichverbandes am rechten Weserufer gesagt hat: „Wartet nur ab bis zur nächsten Wahl, dann seid Ihr weg vom Fenster. Dann machen wir die Briefwahl.“ Das paßt wunderbar dazu.

Fragen: Birgitt Rambalski

P.S. Innensenator Sakuth hat unterdessen veröffentlicht, daß er rechtlichen Schritten des Deichverbandes gegen seine Wahlordnung „gelassen“ entgegensieht. Er habe sogar die Möglichkeit, „den Deichvorstand abzusetzen und kommissarisch“ leiten zu lassen.