Hundeherz und Hatikwa

■ Eine Aktion zur russisch-sowjetischen Kunst in der Volksbühne

Drei Tage widmete die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz am Wochenende der russisch-sowjetischen Dramatik und Literatur. Gleichzeitig sollte in Berlin lebenden sowjetisch- jüdischen Künstlern Gelegenheit gegeben werden, sich und ihre Arbeiten vorzustellen. Die Volksbühne hat dazu einige Stücke früherer Spielzeiten wieder aufgenommen, unter anderem »Hundeherz« nach Michael Bulgakow von Alexander Tscherwinksi, geschrieben schon 1925. Gemeinsam mit der Eröffnung einer Ausstellung von Bildern jüdischer sowjetischer Künstler, die in den letzten Jahren emigrierten, einem Konzert von ebenfalls emigrierten Musikern und Diskussionen mit solchen Titeln wie »Perestroika oder Katastroika« ergab sich die Aktion »Hilfe gegen Hilfe«, aber auch ein detaillierter Eindruck von russischer Kultur, Literatur und (natürlich) Politik.

Eine gelungene Verbindung von Theorie und Praxis: Während sich Vertreter des »Komitees Freies Baltikum« und der Korrespondent der Iswestija bei einer Diskussion über die Nationalitätenfrage erhitzten, wurden im Foyer alte Kinderbücher gegen Spenden »verkauft«. Der Erlös geht an die Friedländer-Sprachschule Prenzlauer Berg, die speziell für jüdische Emigranten aus Rußland, Opfer des wiedererwachten Nationalismus, eingerichtet wurde. Professor Vera Friedländer, bis vor einigen Jahren an der Humboldt-Universität tätig, erläuterte die Schwierigkeiten, in denen die 1990 gegründete Friedländer-Sprachschule steckt: »Die Finanzierung ist nicht gesichert. Wir hoffen, daß das Arbeitsamt für die meisten der sowjetischen Juden die Kosten übernimmt, aber es gibt immer einige, die durch die Maschen fallen, weil sie zum Beispiel zu alt sind. Die müssen mitgezogen werden.«

Ein eingeschworenes Slawistenpublikum lauschte dem Vortrag des Literaturwissenschaftlers Ralf Schröder über das Scheitern der Perestroika, das Schröder darauf zurückführte, daß »Perestroika in einem Land« ebenso wie der Stalinsche »Sozialismus in einem Land« unmöglich sei. Schröder würzte seinen Vortrag mit geistreichen Zitaten aus der russischen Literatur, zum Beispiel aus dem utopischen Roman Wojnowitschs »Im Jahr 2042 in Moskau« von 1982, in dem folgende Vision entworfen wird: »Der Reformer wird in einen Sputnik verbannt und ist für die sowjetische Außenpolitik äußerst wichtig, aber in der Innenpolitik regiert Berija Illitsch. Und dann marschiert Solschenizyn als Zar ein.«

Allerdings war Schröders Begriff von Perestroika reichlich schwammig — so zählte er unter »vier historische Phasen von Perestroika in der UdSSR« neben Chruschtschow und Gorbatschow auch den antifaschistischen Kampf in Spanien und das Eintreten der Sozialistischen Internationale 1912 gegen den Krieg. Mit Gorbatschows Friedensinitiative am Golf sei der langjährige Widerstand gegen den Krieg wieder einmal gescheitert. Was er sich unter »Internationaler Perestroika« vorstellt, konnte Schröder, der »privat mit der Linken Liste/ PDS, mit Betonung Linke Liste« sympathisiert, nur wenig konkretisieren: »die Internationale der Kriegsgegner und Ökologen...«

Wie andere Beiträge auch setzte sich Schröders Referat kritisch mit der DDR-Geschichte auseinander. Auch die Inszenierung der Theaterstücke »Hundeherz«, »Der Meister und Margarita« nach Bulgakow von Czechowski; »Der Rattenfänger« von Marina Swetajewa und eine Lesung von Lyrik der Anna Achmatowa, in dem sie den ermordeten Dichtergefährten ein Denkmal setzt, war damals, 1988, noch gar nicht offiziell erschienen — weder auf russisch noch auf deutsch. Der Übersetzer Martin Remané hatte seit Jahren eine deutsche Fassung in der Schublade, und der Regisseur Otto Fritz Hayner hat ihn tagelang bekniet, bis er sie rausgerückt hat. Im »Hundeherz« will ein russischer Genetikprofessor den neuen Menschen erschaffen. Aus der Kreuzung eines Hundes mit einer Leiche soll eine neue, bessere Gattung Mensch entstehen. Aber das Ergebnis ist leider ein Unmensch mit Hundeherz, und so muß der Professor schließlich seine Schöpfung beseitigen. Übrig bleibt nur der Hund.

Auch vom »Rattenfänger« gab es damals nur eine Interlinearübersetzung der Slawistin Marieluise Bott, keine Publikation auf Russisch. Schade nur, daß Heide Kipp mit ihrem allzu zaghaften Stimmchen wenig von der Tragik, aber auch von der manchmal erstaunlichen Heiterkeit der Achmatowaschen Gedichte vermitteln konnte. Siegfried Höchst, Partner in der kargen und etwas langweiligen Inszenierug, wirkte dagegen fast zu gutgelaunt. Schade auch, daß die Lesung nicht sehr gut besucht war. Auseinandersetzung mit der Sowjetunion hat in der ehemaligen DDR nicht mehr die politische Brisanz wie früher.

Dagegen war das Publikum bei der Ausstellungseröffnung und beim Konzert größer [nicht unter 1,75 m, säzzer]. Winfried Wagner rief dazu auf, den sowjetischen Juden die Integration zu ermöglichen und Vorurteile abzubauen. Die aktuellen Ereignisse am Golf zeigten, so Wagner, daß Weltmachtbestrebungen von Ideologien nur Unheil anrichteten. Das bestätige Aktionen wie »Hilfe gegen Hilfe«, da offizielle Politik nur wenig ausrichten könne. Beim Konzert waren im Publikum viele sowjetische, aber auch israelische Juden. Viele der Musiker wurden mit Preisen ausgezeichnet, so zum Beispiel Jelena Margolina, die 1990 Preisträgerin des internationalen Pianistenwettbewerbs in Glasgow/Schottland war und für eine Etude von Prokofjew mächtig in die Tasten hieb. Das Konzert war eine eigenartige Mischung zwischen beliebten klassischen Stücken wie Liszts »Liebestraum«, Gesangseinlagen aus Puccini-Opern und jiddischer Folklore. Zum Schluß erhoben sich beim Singen der Hatikwa, der israelischen Nationalhymne, die Zuhörer von ihren Plätzen: eine pathetische Geste, auf dem Hintergrund der Bedrohung Israels durch den Irak zu aktueller Bedeutung gelangt.

Die Ausstellung versammelt Maler verschiedener Stilrichtungen, so die Ölbilder des Leningraders Nikolaj Slutzki mit Titeln wie »Toter Vogel« oder »Labyrinth«, Gemälde von Djakow Raffaell, der am Schwarzen Meer Vizepräsident des ökologischen Fonds ist und eine verwüstete Stadt mit einem toten Soldaten im Vordergrund zeigt, oder die Landschaftsbilder des Juri Zurkan, dessen knorrige Bäume seinem Porträt des Propheten Elia ähneln. Fast alle Maler sind in den letzten beiden Jahren nach Deutschland emigriert. Ihre Bilder sind teilweise düster und bedrückend — und sehenswert.

Geschichte der UdSSR, Nationalitätenfrage, die Jüdische Frage — Fragen, auf die es widersprüchliche Antworten gibt. Bei der letzten Diskussion um »Gorbatschow und kein Ende« quälten deutsche Hochschullehrer das Publikum mit ihren Ausführungen, während Wladimir Lawski von der Iswestija den Versuch unternahm, Gorbatschow zu verteidigen (eine russische Zuhörerin: »Grauenhaft«) und Richard Wollenhaupt vom Komitee Freies Baltikum forderte, die Teilrepubliken bei ihren Autonomiebewegungen zu unterstützen und finanzielle Hilfe für die UdSSR von der versprochenen Demokratisierung abhängig zu machen. Der Historiker Karl Stöbel von der Uni Konstanz bezeichnete das Auseinanderbrechen der Sowjetunion als »Naturereignis«. Ist der Sowjetunion noch zu helfen? Diese Frage konnte keiner beantworten. Ayale Goldmann