Rücktritt von Stroebele

■ Betr.: "Mit erhobenem Haupt bestehen", "Joschka Fischer über Ströbeles Position zu Israel entsetzt", taz vom 21.2.91, "Grünes Fiasko in Israel - Rücktritt von Ströbele", taz vom 21.2.91

betr.: „Mit erhobenem Haupt bestehen“ (Hans-Christian Ströbele erklärt Henryk M.Broder, was er in Israel will), „Joschka Fischer über Ströbeles Position zu Israel entsetzt“, taz vom 21.2.91, „Grünes Fiasko in Israel — Rücktritt von Ströbele“ taz vom 221.2.91

Ich bedauere den Rücktritt von Ströbele schon, denn er war wirklich eine Integrationsfigur bei den Grünen.

Nicht verstehen kann ich diese typisch, „grüne“ Solidarisierungs- und Distanzierungsmache, die sich nun wieder um seine Äußerungen rankt. Jeder vernünftige Mensch weiß doch, daß die bisherige palästinensische, arabische, europäische und amerikanische Politik zu keiner friedlichen Lösung der Probleme des Nahen Ostens führt. Das ist ja gerade der Grund, aus dem Despoten wie Saddam Hussein Kapital schlagen können.

Er instrumentalisiert die berechtigte Empörung der palästinensischen Bevölkerung der besetzten Gebiete mit der israelischen Politik für seine Großmachtziele. In der gegenwärtigen Situation — keine Veränderung der israelischen Position trotz monatelanger Intifada — ist die Verzweiflung in den besetzten Gebieten so groß, daß dem Rattenfänger Hussein hinterhergelaufen wird.

Gäbe es diesen Zusammenhang zwischen palästinensischer Verzweiflung und israelischer Politik nicht, entfiele die entscheidende mobilisierende Wirkung von Hussein gegenüber den Palästinensern.

Eigentlich müßte auch der PLO inzwischen klar sein, daß sie selbst den Schlüssel für die Lösung der Palästinafrage in der Hand hat. Sie muß ihren Anhängern deutlich machen, daß die Unterstützung für Hussein und die Weiterführung der Intifada ein Holzweg sind. Sie muß den Schritt auf Israel zugehen. Unsere Aufgabe als Europäer ist es dann, Israel von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der PLO (wie auch umgekehrt) zu überzeugen. Frieden zwischen Israel und Palästina gräbt Hussein sofort das Wasser ab.

Das ist zwar nur eine Hoffnung, Frieden mit Bomben und Granaten erreichen zu wollen, ist jedoch eine Illusion.

Macht weiter so in Eurer Berichterstattung. Da man nicht mehr fernsehen kann und andere Zeitungen unlesbar geworden sind, seid auch Ihr noch eine Hoffnung. Eugen Koch, West-Berlin

So ungeschickt es ist, vor einer Israelreise sich so dezidiert zu äußern, die Feststellungen von Ströbele selbst, die Raketenangriffe auf Israel seien eine logische Konsequenz der israelischen Politik, kann man ernsthaft nicht bestreiten. Israel hat 23 Jahre lang immer wieder durch Bombenangriffe bis 1973 auf Ägypten, Jordanien und Syrien, seit 1973 im Libanon, durch Bombardierungen 1981 im Irak, 1985 aufs PLO-Hauptquartier in Tunis die Völker der arabischen Staaten gedemütigt. Zu erwarten, daß es keine Racheakte geben würde, und auch weiterhin geben wird, ist wohl weltfremd.

Das ist damit keine Billigung, sondern nur kühle Analyse. Deswegen nützt Israel auch ein amerikanischer Sieg über Bagdad nichts. Wie will Israel verhindern, daß in fünf bis zehn Jahren ein anderer Gewaltherrscher eine brasilianische oder pakistanische Atombombe für schweres Ölgeld kaufen wird, um diese auf Israel anzusetzen. Waffenlieferungen und einseitige Unterstützungserklärungen werden Israel nur kurzfristig nützen, aber langfristig schaden. Ohne eine Friedensordnung nach einer allgemeinen Nahostkonferenz wird Israel keinen Frieden finden.

Es ist ein Jammer, daß Sozialdemokraten wie Lafontaine und Schröder diese Zusammenhänge erkennen, ähnlich wie auch bürgerliche Philosophen wie Tugendhat, aber manche aus der grünen Medienschickeria auf Kriegskurs gehen, um die „zivile Gesellschaft“ mit Waffengewalt durchzusetzen. Und es ist durchsichtige interne Machtpolitik von Joschka Fischer, Christian Ströbele wegen seines Interviews zu denunzieren. Wer glaubt, die Nato als demokratisches Bündnis von zivilen Gesellschaften zu rechtfertigen, gefährdet den grünen Mindestkonsens. Die letzten Monate haben gezeigt, daß die Nato uns immer tiefer in Dritte-Welt-Konflikte ziehen wird — und es wird nicht um den Kampf für Demokratie und Durchsetzung der Aufklärung gehen, sondern um die Sicherung von politischen Bastionen und ökonomischen Abhängigkeiten. Die Ablehnung unserer weltwirtschaftlichen Ordnung war bisher weitgehend einmütig bei den Grünen. Wer jetzt antiimperialistische Positionen minorisieren will, macht die Partei kaputt. Giselher Rüdiger,

Heigenbrücken

Christian Ströbele hat sich mit seinen Äußerungen im Gespräch mit Henryk M.Broder als Sprecher der Grünen gründlich desavouiert. Der von ihm in der öffentlichen Meinung Israels — immerhin wurde diese Interview auch dort veröffentlicht —, aber auch bei uns, in der Bundesrepublik angerichtete Schaden kann kaum ermessen werden. Um so wichtiger ist es, daß sofort durch andere Stimmen aus den Grünen, wie vom Bremer Landesvorstand und von Joschka Fischer aus Hessen, Schadensbegrenzung versuchte wurde.

Daß Christian Ströbele die irakischen Raketenangriffe auf Israel als „fast zwingend logische Konsequenz der Politik Israels“ bezeichnet, ist — da stimme ich Joschka Fischer zu — eine entsetzliche Rechtfertigung des irakischen Raketenterrors gegen Israel, unbegreiflich als Äußerung eines Sprechers der Grünen. Der rechtfertigende Charakter dieser Bewertung der irkakischen Raketenangriffe wird auch nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr bestätigt dadurch, daß Ströbele auf Nachfrage sagt, er billige nicht jede Konsequenz, dann aber nachsetzt, Israel habe mit seiner Politik diese vorhersehbare Folge provoziert.

[...] Anerkannte Rechtsgrundsätze, nämlich die des Völkerrechts, spielen in diesem Golfkrieg und in der Auseinandersetzung darüber eine wichtige Rolle: völkerrechtswidrige Besetzung, Recht auf Notwehr und Selbstverteidigung. Leider ist es so, daß das Völkerrecht seine historische Herkunft, den Krieg und die schrecklichen Erfahrungen in Kriegen, in seiner derzeitigen Geltung noch nicht überwunden hat. Deswegen gibt es darin Widersprüche, nämlich die Ächtung und sogar den Ausschluß der Legitimität des Krieges und zugleich die Rechte, die im Kriegsfall gelten, wie das der Selbstverteidigung und Notwehr. Dieser Widersprüche muß man sich bewußt sein, wenn man mit Grundsätzen des Völkerrechts argumentiert.

Die politische Folge darf aber nicht sein, daß Völkerrecht als Instrument der Zivilsierung der zwischenstaatlichen Beziehungen aufzugeben. Dafür ist es unverzichtbar. Unverzichtbar ist auch, die Voraussetzungen für seine friedensstiftende, zivilisierende Wirkung und Geltung zu schaffen, die außerhalb des Völkerrechts liegen. Viele sind der Meinung, auch ich, daß der gegenwärtig geführte Krieg am Golf das Gegenteil bewirkt.

Aber — von einem grünen Sprecher, der der israelischen Friedensbewegung was erklären will, darf man erwarten, daß er mit den Grundsätzen des Völkerrechts nicht unbedacht, erst recht nicht in so abenteuerlicher Weise hantiert, wie in diesem Interview. Die israelische Besatzungspolitik bezeichnet er als „vom Grundsatz her ähnliches Unrecht wie die Besetzung Kuwaits“, obwohl er den Unterschied, daß Israel einem Krieg durch seine Nachbarstaaten ausgesetzt war, konzediert. Seine Schlußfolgerung ist aber nicht etwa eine unterschiedliche Bewertung des jeweiligen Verstoßes gegen das Völkerrecht, sondern jene entsetzliche Rechtfertigung der irakischen Raketenangriffe. Beim Recht auf Notwehr will Ströbele dagegen aufgrund der Vorgeschichte den Unterschied zwischen „reiner“ und „provozierter“ Notwehr angewendet wissen, mit der absurden Konsequenz, daß Israels Notwehrrecht sich beschränken müsse auf die Forderung nach Waffenstillstand.

Wenn man Israel das Recht auf Notwehr und Selbstverteidigung zuerkennt — und dies ist nichts anderes als geltendes Völkerrecht —, dann heißt dies in der jetzigen Situation und erst recht auf dem Hintergrund historischer Schuld und Verantwortung Deutschlands, die sich auch auf das Nichtverhinderthaben (können?) deutscher Todesbeihilfe bei Giftgas und Waffentechnologie bezieht, daß man die von Israel erbetene Unterstützung zur Stärkung seiner Selbstverteidigungsfähigkeit nicht abschlagen kann — sprich: nicht gegen die Lieferung von Patriot-Abwehrraketen und Giftgasspürpanzern protestieren darf, bei aller Sorge um deren auch aggressive Einsetzbarkeit. Über diese Sorge wäre selbstverständlich mit der israelischen Friedensbewegung zu sprechen.

Abenteuerlich — mir fällt kein treffenderer Ausdruck ein — ist aber bei Ströbeles Argumentation zur „provozierten Notwehr“, daß er suggeriert, Israel habe den Irak gereizt, seiner Rechte beraubt, bedrängt... und zu einem Angriff veranlaßt. Wohlmeinende können dies als mißverständlcih bewerten — ich tue dies nicht! —, aber auch solche Mißverständlichkeiten dürfen einfach nicht vorkommen in einem Interview des grünen Sprechers über die Ziele seines Israelbesuchs. [...] Imma Hillerich, Grüne,

Duisburg