Jordanien vor Zerreißprobe

Flammende Rhetorik gegen die Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung  ■ Aus Amman Karim El Gawhary

„Möge Gott den Irak schützen und seinen heldenhaften Söhnen in diesem Augenblick die Fähigkeit verleihen, dieser Agression zu widerstehen.“ Dieses Statement des Sprechers der jordanischen Regierung faßt die Hoffnung zusammen, die die meisten Jordanier seit Beginn des Landkrieges begleitet.

Die Menschen in der jordanischen Hauptstadt durchleben seit Beginn des Landkrieges heftige Stimmungswechsel: zwischen totaler Frustation über die Lage einerseits und Hoffnung auf einen militärischen Erfolg des Iraks andererseits. Noch am Nachmittag des ersten Landkriegstages zogen Hunderte von Demonstranten proirakische und antiamerikanische Parolen rufend durch die Innenstadt der Hauptstadt Amman. Vor der amerikanischen Botschaft fand am Abend eine Frauendemonstration statt. In ihrer Wut bewarfen die Frauen das Botschaftsgebäude mit ihren Schuhen. Für die nächsten Tage werden weitere und größere Demonstrationen erwartet.

Viele Jordanier fühlen sich ohnmächtig gegenüber den Ereignissen, bei denen sie die Rolle des Zuschauers übernehmen müssen. „Ich würde jetzt alles geben, um den Irak zu unterstützen“, ist eine oft zu hörende Meinung. Die Zukunft sehen viele schwarz. Man wisse überhaupt nicht, wie es weitergehen solle, sagt ein Taxifahrer, aber es werde nie wieder so sein wie zuvor. Seiner Meinung nach wird der Westen in diesem ehemals prowestlichsten Land der Region niemals mehr willkommen sein.

Die jordanische Regierung hatte bereits Sonntag mittag in einer ersten offiziellen Erklärung ihren „Schmerz, ihren Ärger und die Verurteilung des Angriffes“ zum Ausdruck gebracht. Der Präsident des jordanischen Parlaments, Abdul Latif Arabiyat, gab vor seiner Abreise zu einem Treffen der Arabischen Parlamentsunion in Algerien der Hoffnung Ausdruck, daß sich die arabischen und islamischen Völker in Bewegung setzten, um die brutale Aggression gegen den Irak einzudämmen.

„Die Gläubigen in der arabischen und muslimischen Welt müssen sich versammeln und dieser Aggression, diesen teuflischen Kräften, die die Region den Zionisten und Imperialisten ausliefern wollen, widerstehen“, erklärte der Parlamentspräsident vollmundig.

Auch für den Sprecher der islamischen Bewegung, die einen großen Teil der Abgeordneten im Parlament stellt, ist dies „eine Gelegenheit für jeden Muslim, seine Ehre zu beweisen und den Kreuzzüglern und den modernen Tataren zu begegnen“. Es gehe in diesem Krieg nicht nur um die Zerstörung des Iraks, „sondern auch um die Zerstörung jeglichen Hoffnungsschimmers für alle muslimischen Länder und alle Muslime“.

Den Vereinten Nationen wird in der jordanischen Presse vorgeworfen, völlig versagt zu haben. Die UNO sei unfähig, einen Krieg zu kontrollieren, den sie selbst autorisiert habe, heißt es in der englischsprachigen 'Jordan Times‘.

Auch wenn die Zukunft des Königreichs unklar ist, eines läßt sich mit Sicherheit sagen: die wirtschaftlichen Perspektiven sind düster. Dem kleinen Land am Jordan wurden nach Angaben des Ministerpräsidenten Badran bisher Kosten von acht Milliarden Dollar aufgebürdet. „Die siebenmonatige Krise hat jeden Bereich unserer Wirtschaft getroffen“, ließ der Ministerpräsident am Sonntag verlauten. Der Tourismus ist völlig zum Erliegen gekommen, und die Überweisungen der im Ausland arbeitenden Jordanier sind stark zurückgegangen. Die Produktionsraten der ohnehin kaum vorhandenen Industrie sind gefallen. Der Hafen von Aqaba ist nur noch zu einem Zehntel ausgelastet.

Zu dieser verheerenden Lage kommt noch der Flüchtlingsstrom von über einer Million Menschen hinzu, der sich seit Beginn des Golfkrieges in das Land ergießt. Und mit diesem Problem fühlen sich die Jordanier derzeit völlig alleingelassen. Die ausländische Hilfe, die dann noch meist an die Bedingung geknüpft ist, daß sich die Jordanier nicht allzu proirakisch äußern dürfen, ist in dieser Situation nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.