Von Macht und Recht

■ In der Turnhalle von Tampico, Ronald Reagans Geburtsort, wird der Soldiers am Golf gedacht

Tampico, Illinois (taz) — Wer hätte diesem Schild an der Autobahn I-80 auf halbem Wege zwischen Chicago und Detroit widerstehen können? „Tampico, Ronald Reagans Geburtsort, 14 Meilen“. Die nächste Abfahrt und dann schnurstracks durch die Getreidefelder mit den zugefrorenen Bewässerungsgräben mündet der Überlandweg am Ortsschild der 900-Seelen-Gemeinde in eine 200 Meter lange Hauptstraße.

„Geschlossen“ baumelt das Schild hinter der Eingangstür von Ronald Reagans Geburtshaus, einem einstöckigen Ziegelbau gleich neben „Garland's Funeral Home“. Heute ist dort, wo einst Ronnies Krippe stand, die Filiale der Ortssparkasse untergebracht. In diesem Flecken von Illinois also hat er bis zu seinem neunten Lebensjahr gelebt, der Mann, ohne dessen vorausschauende Rüstungspolitik das gegenwärtige Feuerwerk am Golf überhaupt nicht möglich gewesen wäre.

Die Main Street gleicht dem verlassenen Drehort eines Films aus den vierziger Jahren. Nur die frischen blau-weiß-roten Fähnchen und gelben Rosetten an den Häuserfronten und Laternenpfählen weisen auf menschliches Leben hin.

Dieses Leben spielt sich am heutigen Sonntag nachmittag ausschließlich in der Turnhalle der High School ab, wo gerade jener 26 Männer und Frauen aus Tampico und Umgebung gedacht wird, die an den Persischen Golf ausrücken mußten. Mit der Hand auf dem Herzen lauschen die rund 300 versammelten Bürger dem Star Spangled Banner, zu dessen Klängen vier ältere Herren von der „American Legion, Posten 574“ in zögerlichem Stechschritt einmarschieren, die Knarre über die Schulter geworfen.

Der Chef der Freiwilligen Feuerwehr (33 Mitglieder) übernimmt die Rolle des Conferenciers. Der Pastor betet um Gottes Segen für Amerikas Streitmacht. Die Blasmusik versucht sich an nationalen Harmonien, und ein High-School- Mädchen mit einer ganz unbeschreiblichen Haartolle trällert auf noch unbeschreiblichere Weise die inoffizielle Pop-Hymne für „Operation Wüstensturm“: Bette Midlers From a distance, da schaut uns Gott zu, Uhuuhuu, from a distance.

Ehe die schrägen Harmonien das Holzdach zum Einsturz bringen können, springt der Feuerwehrmann wieder auf und liest aus der Lokalzeitung 24 Regeln vor, die Amerika in diesen schweren Zeiten das Zusammenfinden an der Heimatfront erleichtert sollen: ...„Regel sechs: Sag Deinen Eltern, daß Du sie liebst!... Regel 14: Bringen Sie Ihren Nachbarn doch eine Dose mit Keksen hinüber, auch wenn Sie sie noch nicht kennen sollten!... Regel 24: Lesen Sie ein Buch über Religion, und versuchen Sie es zu verstehen!“

Dem folgt der Auftritt des gemischten Gesangvereins. Amerika, deine patriotischen Träume sind so wunderschön, hallt es vierstimmig durch den Turnsaal, und Born to be free, nicht zu verwechseln mit dem ähnlich lautenden Titelsong aus Easy Rider.

Und schließlich tritt Colonel Jim Crowbull von der Marines-Reserve ans Mikrofon. Als ehemaligem Lehrer an dieser Schule ist er von dem Déjà vu in der Turnhalle überwältigt. „Diese wundervolle Architektur“, er zeigt auf die geschwungene Holzdecke, „das ist Amerika.“ „Diese Schrittgeräusche auf dem Hallenboden“, ein Dreikäsehoch hat sich gerade von seiner Mutter losgerissen und trippelt zwischen den Stuhlreihen einher, „das ist unser Land.“

Aber dann schweifen seine Gedanken aus der Turnhalle von Tampico in die fernen Länder, „wo wir für diejenigen kämpfen, deren Freiheit unterdrückt wird. In dem Gefühl, daß uns die Macht das Recht gibt, äh Entschuldigung, meine Damen und Herrn, das Recht die Macht gibt, muß das selbstverständlich heißen.“

Doch niemand nimmt ihm diesen Freudschen Versprecher übel. Alle wissen ja, was er meint. Es lebe die „manifest destiny“ des 19. Jahrhunderts. Auch Woodrow Wilsons missionarische außenpolitische Vision läßt grüßen. Hoch lebe Ronald Reagan. Aufs nächste Jahrhundert der Pax Americana. And God Bless America. Rolf Paasch