Eine Achterbahn für Rollstuhlfahrer

Behinderte sind auch nach der Wende benachteiligt wie eh/ Normale Dinge des Alltags werden für Rollstuhlfahrer zum Geschicklichkeitsakt/ Kaufhallen — schier uneinnehmbare Festungen  ■ Aus Berlin Ute Schnur

Eigentlich — so könnte man annehmen — müßte mir das Einkaufen als ehemalige DDR-Bürgerin nun mehr Freude bereiten. Der Mangelwirtschaft ist im großen und ganzen ein Ende gesetzt, und das „Horten“, beispielsweise von Tomatenketchup, ist vorbei [der gehört eh in den müll. sezza].Mein Problem ist aber jetzt ein anderes: Ich bin behindert und sitze in einem Rollstuhl. Die Anzahl der Kaufhallen, die vor der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in der damaligen DDR noch einigermaßen zugänglich für Rollstühle waren, nimmt rapide ab. Schuld daran sei — wurde mir von Verkäufern erklärt — das sehr viel größere Sortiment, das jetzt diese Kaufhallen bzw. -häuser anbieten können. Nun sind die vormals oft schon schlecht befahrbaren Gänge um einiges enger geworden. Wenn ich jetzt also von außen über die Rampen hereinkomme, ist noch lange nicht gesagt, daß ich mich in der Halle auch zurechtfinde.Nicht immer sind die Regalreihen enger zusammengerückt worden, um mehr Waren unterzubekommen. Nein. In der Mitte der Gänge wurden häufig kleine Stände aufgebaut, die wohl dazu dienen, den Käufer zu animieren, schnell einmal zu den attraktiv dargebotenen Kleinigkeiten zu greifen. Mir jedoch bereitet diese „gemütliche Enge“ einige Probleme. Während ich staune, wie es die nicht behinderten Käufer schaffen, mit ihren riesigen Einkaufswagen — kleine Wagen bzw. Körbe gibt es kaum noch — durch die engen Gassen zu lavieren, versuche ich mit meinem Rollstuhl, den großen schweren Einkaufswagen vor mir her bugsierend, unfallfrei an die gewünschten Waren heranzukommen. Mein Wendekreis ist sehr viel größer geworden. Beim Aussuchen von Artikeln, Herumfahren um die engen Kurven oder gar beim Wenden verursache ich dann mit meinen beiden Fahrzeugen einen erheblichen Stau, da ich ja in der Regel nicht der einzige Kunde in der Kaufhalle bin.Eine „Unsitte“ haben sich einige Verkaufsstellen im Osten Berlins von den westlichen Vorbildern abgeguckt, deren Sinn mir bis heute nicht klar ist: Es sind Drehkreuze im Eingangsbereich. Sie lassen sich zwar oftmals schnell zur Seite räumen, jedoch, wenn sich keiner vom Verkaufspersonal oder jemand, der damit vertraut ist, in der Nähe befindet, muß immer erst einer geholt werden, der den Rollstuhlfahrer hineinläßt. Dies bedeutet für den Behinderten unnötige Wartezeiten.Mir scheinen aber die oben genannten Probleme keine spezifisch Ostberliner Phänomene zu sein. Auch in Westberliner Kaufhäusern gibt es solche Gänge, in die ich nicht mit dem Rollstuhl hineinfahren kann — geschweige denn mit einem Einkaufswagen! Mit diesen Problemen stehe ich ja auch nicht allein da, denn sie betreffen viele Menschen mit Behinderungen.Der Berliner Behindertenverband e.V. hat sich in dieser Angelegenheit an die Senatorin für Gesundheit und Soziales, Frau Stahmer, gewandt, daß sie auf diese Probleme behinderter Menschen aufmerksam gemacht wird. Frau Stahmer leitete es an die Treuhandanstalt weiter. Wir von der Behindertenvereinigung im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg e.V. haben in der ersten Kontaktaufnahme zu den Ausschüssen „Stadtbezirksentwicklung“ und „Bauen und Wohnen“ auf diese Problematik hingewiesen. Hoffen wir, daß in beiden Fällen auf die Handelsketten Einfluß genommen werden kann, damit behinderte Menschen nicht überall auf Barrieren stoßen.