Prostitution als Alternative zum Putzjob

■ Seit elf Jahren kämpft die Selbsthilfeorganisation Hydra für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen von Prostituierten/ Neben der gesellschaftlichen Diskriminierung schränken vor allem die Gesetze die Arbeitsmöglichkeiten von Prostituierten ein

Berlin. Prostitution ist nach Auffassung von Stefanie Klee ein Beruf wie jeder andere auch. »Wir arbeiten im Dienstleistungsgewerbe und warum sollen wir schlechter dastehen als andere, die in diesem Metier arbeiten?« meint die Mitarbeiterin der Selbsthilfeorganisation »Hydra«. Um ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, gründeten Berliner Prostituierte 1980 diesen Verein.

Prostituierte zahlen Steuern, doch damit erschöpft sich ihre Gleichstellung mit anderen »Dienst-Leistenden« auch schon. Da Prostitution als Beruf nicht anerkannt ist, können sie sich nicht bei den Krankenkassen pflichtversichern lassen. Auch der Rentenversicherung können sie nur freiwillig beitreten, müssen jedoch den vollen Beitrag bezahlen. Der Arbeitgeberanteil entfällt, da Arbeitsverträge zwischen BordellbesitzerInnen und Prostituierten sittenwidrig sind. Von der Unfall- und Arbeitslosenversicherung sind Prostituierte generell ausgeschlossen.

In vier Räumen in der Kantstraße 54 bieten die vier Hydra-Mitarbeiterinnen Ein- und Umstiegsberatungen für Prostituierte an. Frauen, die in den Job einsteigen wollen, werden über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt. Zum Beispiel, daß sie einerseits gegenüber dem Freier keinen Rechtsanspruch auf Bezahlung haben, sich andererseits wegen Betrugs schuldig machen, wenn sie ihm das Geld abnehmen, die Leistung aber verweigern. Anfängerinnen erfahren, welche Clubs die besten Arbeitsbedingungen haben, wie sie sich bei einer Razzia verhalten sollen, und was zu tun ist, wenn ein Freier ohne Kondom bumsen will.

Tips und Tricks, wie man mit Kunden umgeht, gehören ebenfalls dazu: »Wer im Domina-Bereich arbeiten will, braucht eine richtige Ausbildung«, sagt Stefanie Klee. Prostituierte müssen einiges an Fähigkeiten aufbieten, was über die sexuelle Leistung hinausgeht: »Das geht teilweise weit in den therapeutischen Bereich. Wichtig sind Fähigkeiten, die auch in anderen Berufen gefragt sind. Kommunikationsfähigkeit z.B. ist in unserem Job mindestens genauso gefragt, wie in der Werbung.«

Stefanie Klee kennt eine Menge Gründe, warum Frauen Prostituierte werden, doch von einem brutalen Zuhälter werde kaum eine dazu gezwungen. Viele Frauen, sagt sie, entschieden sich trotz Ausbildung oder Studium für die Prostitution. »Die einen machen es aus Neugier oder weil sie etwas über ihre Sexualität erfahren wollen. Andere wollen einfach Geld verdienen.« Für viele Frauen sei Prostitution eine echte Alternative zu einem miesen Putzjob oder öder Fabrikarbeit. Bei Gesprächen mit Prostituierten erfahre sie eigentlich immer dasselbe: »Nicht der Freier ist unser Problem, sondern das soziale Umfeld.« Die meisten Frauen wollen nach drei bis fünf Jahren wieder aussteigen. Sie haben einfach keine Lust mehr, sich jedesmal ein Märchen ausdenken zu müssen, wenn jemand fragt: »Was machst du denn?«

Der Ausstieg aus der Prostitution ist sauer. Es ist schwierig, einen Job zu finden, wenn der Lebenslauf eine mehrjährige Lücke hat. Da Prostitution nicht als Beruf anerkannt ist, bekommt eine Prostituierte kein Arbeitslosengeld und hat keinen Anspruch auf Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen. Seit März 1987 bietet Hydra ein Umstiegsprogramm an und vermittelt vom Senat und den Bezirken finanzierte ABM- Stellen. Da 1987 ein Anspruch auf Umschulungsmaßnahmen erst nach zwei Jahren Arbeit in einem anerkannten »Beruf« bestand, hatte der damalige Gesundheitssenator Fink zugestimmt, die normalerweise auf ein Jahr begrenzten ABM-Stellen um ein weiteres Jahr zu verlängern. Bis heute hat Hydra 219 Männer und Frauen durch dieses Programm geschleust. Dennoch ist der Erfolg nur bedingt. Inzwischen wurde das Bundesarbeitsförderungsgesetz geändert und heute sind drei Jahre Berufstätigkeit nötig, bevor man an einer Umschulung teilnehmen kann. »Das ganze Theater würde sich erübrigen, wenn Prostitution als Beruf anerkannt würde. So wie auch ein Knastaufenthalt oder Hausfrauenarbeit«, sagt Helga Bilitewski.

Die Opferrolle lehnen die Mitarbeiterinnen von Hydra ebenso ab, wie sie die Diskriminierung ihres Berufsstandes nicht akzeptieren wollen. Genauso wichtig, wie die Einzelberatungen ist für sie daher die politische Arbeit. Dazu gehören Kampagnen gegen Aids (Kondom Liebe Sünde sein?) ebenso, wie der alltägliche Kampf gegen die Doppelmoral einer Gesellschaft, die zwar in jeder Hinsicht von der Prostitution profitiert — als Freier, Steuereinnehmer, Vermieter, Zeitungskonzern — sich dennoch das Recht herausnimmt, diesen Frauen einen entwürdigenden Verschleierungskampf aufzuzwingen. Als Hydra in der 'BZ‘ eine Werbung für Kondombenutzung unterbringen wollte, lehnte die Springer- Zeitung das ab. Die Begründung: Die Anzeige, unterschrieben mit »Hydra, Treffpunkt und Beratung für Prostitution«, werbe für Prostitution. Was verboten ist. Erlaubt sind nur Anzeigen, die für »Hostessen«, »Modelle« oder »Gesellschafterinnen« werben. Erst nach einer Zusicherung der Senatsverwaltung, daß diese Anzeige nicht strafrechtlich verfolgt werde, war die 'BZ‘ zur Veröffentlichung der Hydra-Anzeige bereit.

Ein besonderes Gewicht hatte für Hydra die Mitarbeit am Antidiskriminierungsgesetz der Grünen. Darin sollte die Anerkennung der Prostitution als Beruf geregelt werden. Bei dieser Arbeit mußten sie aber auch wieder erfahren, daß sie keine automatischen Partner haben: »Ich kann nicht sagen, daß die Linke uns mehr unterstützt als andere«, meint Stefanie Klee. »Die müssen erst alles endlos diskutieren, bevor sie mal was für uns tun.« Der Gesetzentwurf sollte in Bonn eingebracht werden, doch nach einer Rotation wollten die neuen Parlamentarier gerade den Abschnitt über die Prostituierten neu diskutieren. »Dann sollte das Gesetz im Herbst eingebracht werden, aber mit der deutschen Einheit war das vom Tisch. Und jetzt sind die Grünen vom Tisch«, sagt Helga Bilitewski, die ebenfalls bei Hydra arbeitet.

Das größte Problem ist zur Zeit die drohende Kürzung der Mittel durch den Senat. Zwei der viereinhalb Stellen sollen gestrichen werden. »Und das in einer Zeit, wo wir auch vom Osten her mit Anfragen und Beratungswünschen eingedeckt sind«, sagt Stefanie Klee. Andererseits kann sie sich durchaus vorstellen, Hydra aufzulösen: »Wenn Prostitution als Beruf anerkannt würde, wäre ein großer Teil unserer Arbeit überflüssig.« Dann könnte sich Hydra auflösen, eine Gewerkschaft gründen, Tarife aushandeln und die Arbeitsbedingungen verbessern. Anja Seeliger