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Die heimliche Friedensbewegung in den Betrieben

■ Weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit finden in vielen Betrieben Aktionen und Aktivitäten gegen den Krieg am Golf statt/ Mahnwachen und Schweigeminuten, Flugblätter und Diskussionen stören das heile Betriebsklima/ Politik im Betrieb ist unerwünscht/ Gespräch mit Berliner Betriebsräten

Die Reaktion der Menschen in Deutschland auf den Ausbruch des Golfkrieges war spontan und, für deutsche Verhältnisse, heftig. Auch in vielen Betrieben haben spontane Aktionen stattgefunden, und die Diskussion über den Krieg ist bis heute nicht abgebrochen. Neben den großen Demonstrationen und anderen öffentlichen Aktionen der Friedensbewegung nehmen sich diese betrieblichen Aktivitäten eher bescheiden aus. Der Betrieb ist nach herrschender Rechtsprechung immer noch ein politikfreier Raum. Politische Aktivitäten sind durch das Arbeitsrecht nur in ganz begrenztem Maße abgedeckt. Dennoch haben nach gewerkschaftlichen Schätzungen in einem Drittel bis der Hälfte aller Betriebe in Westdeutschland verschiedenste Aktionen gegen den Golfkrieg stattgefunden. Die taz hat sich mit drei Berliner BetriebsrätInnen über die verborgene Friedensbewegung in den Betrieben unterhalten. Brigitte Ziegler ist Betriebsrätin bei der Firma Dr. Lange (Labortechnik und Medizin, zirka 300 Beschäftigte), Ahmet Beyazkaya ist Betriebsrat beim Berliner Ford Zweigwerk (zirka 1.200 Beschäftigte) und Norbert Samberg ist Betriebsrat bei der Deutschen Vergasergesellschaft DVG (früher Solex, zirka 1.500 Beschäftigte). Alle drei sind Mitglied der Industriegewerkschaft Metall.

taz: Ahmed Beyaskaya, wie haben deine Kolleginnen und Kollegen auf den Ausbruch des Golfkrieges reagiert?

Ahmet Beyazkaya: In den ersten Tagen war die Betroffenheit sehr groß. Mittlerweile ist das nicht mehr so. Der Krieg findet irgendwo ganz weit entfernt statt.

Was habt ihr gemacht?

Beyazkaya: Wir haben Mahnwachen organisiert im Versandbereich. Um zwölf Uhr sind die Kollegen zum Versandbereich gegangen, und ich habe eine kleine Rede gehalten über die Situation. Anschließend haben wir zwei Schweigeminuten abgehalten. Da war aus den Facharbeiterbereichen, wo viele Deutsche tätig sind, die Beteiligung nicht so groß wie im Produktionsbereich, wo mehr ausländische Kollegen arbeiten.

Gibt es einen Unterschied in der Reaktion zwischen den deutschen und den ausländischen, speziell den türkischen Kolleginnen und Kollegen?

Beyazkaya: Für mich ist das schwer zu sagen, weil ich die Reaktion der deutschen Kollegen nicht so mitbekomme. So wie ich es sehe, sind die Reaktionen bei den türkischen oder ausländischen Kollegen etwas intensiver als bei den deutschen Kollegen. Das hat sich auch bei unseren betrieblichen Aktionen gezeigt. Die Kollegen, die aus dem Grenzgebiet kommen, waren unser Nachrichtendienst aus erster Hand. Die haben andauernd in der Türkei angerufen und wollten sich informieren, was dort vorgeht. Und sie haben auch immer in den Pausen erzählt, welche Situation dort herrscht. Dazu kommt noch: Falls die Kollegen zum Kriegsdienst gerufen werden, wissen sie nicht, wie sie reagieren sollen. Ich höre auch von vielen, daß sie nicht bereit sind, dort hinzugehen. Das ist natürlich mit sehr viel Problemen verbunden. Sie werden aus der Staatsangehörigkeit rausgeschmissen. Und wie wird dann hier ihre Lage? Darüber sollte man noch Gedanken entwickeln, wobei wir natürlich hoffen, daß es nicht dazu kommt.

Norbert Samberg, was habt ihr bei Euch im Betrieb gemacht?

Norbert Samberg: Wir haben als erstes ein Flugblatt gedruckt, haben das dann bei den Kollegen verteilt und zu den Mahnminuten aufgerufen. Wir haben eine längere Mahnminute gemacht und die Kollegen aufgefordert, den Arbeitsplatz zu verlassen und den Hof aufzusuchen. Dort wurde eine Rede zu diesem schrecklichen Krieg gehalten. Eine Schweigeminute wurde danach abgehalten, und es wurde auf weitere Aktionen hingewiesen.

Wie groß war die Beteiligung?

Samberg: Es haben sich rund 200 bis 300 Kolleginnen und Kollegen beteiligt. Das liegt teilweise darin, daß die DVG inzwischen zu einem Schichtbetrieb geworden ist, und daher nur ein Teil der Belegschaft im Betrieb war. Es haben sich sowohl Deutsche wie Ausländer daran beteiligt, wobei die Betroffenheit unterschiedlich gewesen ist. Die Meinungen gingen vom typischen „Schlagt ihn tot“ bis zu „Wir haben Angst“.

Beyazkaya: Ich möchte ausdrücklich hervorheben, daß sehr viele angestellte Kollegen, die sonst nie an gewerkschaftlichen Aktivitäten teilnehmen, bei diesen Aktionen beteiligt waren.

Samberg: Das war bei uns genauso.

Brigitte Ziegler, du arbeitest in einem kleineren, mittelständischen Betrieb. Ist bei euch die deutsche Verwicklung in den Krieg diskutiert worden?

Brigitte Ziegler: Wir haben bei Kriegsausbruch spontan eine Mahnwache gemacht, morgens von 6.30 bis 8.30 Uhr, während der Arbeitszeit vor dem Werkstor. Wir hatten mit der Geschäftsführung gesprochen, ob wir Mahnminuten im Betrieb abhalten können. Das wurde uns verboten. Also hatten wir zwei Wochen ständig jeden Morgen Mahnwachen vor dem Betrieb. Das waren Betriebsräte und Vertrauensleute. Wir mußten die Zeit reinarbeiten, hatten dadurch natürlich nicht mehr die Möglichkeit, das jeden Tag durchzuführen. Wir haben jetzt ständig jeden Donnerstag Mahnwachen vor dem Tor. Es sind auch türkische Kollegen von Ford gekommen, die uns unterstützt haben. Bei uns im Betrieb wird ständig diskutiert. Aber ich habe das Gefühl, daß in Bezug auf die Verwicklung der Deutschen in den Krieg durch die Rüstungsproduktion eine Abweisung stattfindet, daß man sagt: Es sind ja nicht nur wir Deutschen, warum werden wir Deutschen immer so schlecht gemacht? Man schiebt das einfach von sich. Man will es nicht wahrhaben. Am Anfang gab es eine große Bestürzung und ein Entsetzen über den Krieg. Jetzt wird es zum täglichen Alltag. Die Belegschaft denkt sich, es ist ja so weit weg, uns kann ja nichts passieren.

Die IG Metall hat jüngst eine Initiative zur Rüstungskonversion ergriffen und die Menschen aufgefordert, sich in ihren Betrieben für eine Umstellung auf zivile Produktionen einzusetzen.

Samberg: Die Deutsche Vergasergesellschaft Berlin ist ein Zulieferbetrieb der Autoindustrie. Darauf können wir uns selbstverständlich nicht ausruhen. Inzwischen gehören wir zum Konzern Rheinmetall Düsseldorf. Dort hat man über Jahrzehnte auf das größte Rüstungsgeschäft mit der Rüstungsproduktion gesetzt. Jetzt ist Abrüstung angesagt, und in Düsseldorf gehen die Lichter aus, weil man versäumt hat, Alternativen zur Rüstungsproduktion zu schaffen. Das war schon bei HDW so, die U-Boote gebaut und heute kaum noch Arbeitsplätze haben. Genauso geht es jetzt Rheinmetall. Rüstungsarbeitsplätze haben eben keine Perspektive.

Das sagst du als gut informierter Betriebsrat. Aber was sagen die Kollegen? Machen die sich Gedanken über so etwas?

Samberg: Die Kollegen, die — menschlich verständlich — ihre Arbeitsplätze verteidigt haben wie damals auch in der Atomindustrie, sind jetzt sehr betroffen und bedenklich geworden. Ob das in der Vergangenheit alles richtig gewesen ist. Ob es jetzt nicht schon fünf nach zwölf ist. Deshalb glaube ich, daß es gerade bei diesen Kollegen einen Umschwung gegeben hat, vor allem durch das Ende des Kalten Krieges. Da jetzt Arbeitsplätze en masse verlorengehen, werden sie sich sicherlich auch Gedanken gemacht haben, warum sie nicht schon früher Alternativen überlegt haben. Wer soll es sonst machen außer den abhängig Beschäftigten und Metallern.

Gibt es eine solche Diskussion auch in den Betrieben, die mit ziviler Produktion beschäftigt sind, wie etwa bei Ford?

Beyazkaya: Also bei uns gibt es diese Diskussion eigentlich nicht. Ich denke, vor diesem Krieg hatte es den Anschein, daß wir in Richtung auf Rüstungskonversion und alternativer Produktion etwas tun könnten. Aber auf Grund dieser Situation am Golf wird es uns bestimmt sehr schwerfallen, weil man jetzt zusätzliche Feindbilder geschaffen hat. Da kommen wir mit unserer Diskussion bei den Menschen schwer an.

Brigitte, hat Euer Betrieb was mit Rüstung zu tun?

Ziegler: Ich würde erst mal sagen, nein. Aber man muß sich doch mal Gedanken machen und auch mal hinterhaken: Was machen wir genau, und wo kommt es hin?

Hältst du es für möglich aus deiner Erfahrung als Betriebsrätin, daß der Betriebsrat eines Rüstungsbetriebs nichts davon erfährt, was mit der Produktion passiert?

Ziegler: Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Betriebsrat gar nichts davon weiß. Er muß sehr nachhaken. Von allein wird es ihm nicht gesagt.

Weißt Du zum Beispiel über die Vertriebswege Eures Betriebes genau Bescheid?

Ziegler: Nein, genau weiß ich nicht Bescheid. Ich bin auch ein bißchen dabei, nachzuhaken, was läuft.

Welche Schwierigkeiten gibt es dabei?

Ziegler: Ich fange jetzt gerade damit an, weil ich mir auch Gedanken mache über andere Kleinbetriebe. Man hört ja immer nur von den Großbetrieben. Schwierigkeiten gibt es, wenn die Produkte in andere Länder gehen und man es dort nicht weiterverfolgen kann. Wenn zum Beispiel x-tausend Geräte an ein kleines Krankenhaus gehen oder große Posten Chemie an Labore, dann ist klar, daß kann nicht nur für das Krankenhaus sein kann. Es muß noch einen weiteren Vertrieb geben. Aber um das rauszukriegen, müssen die Betriebsräte international zusammenarbeiten. Das geht nicht auf nationaler Ebene.

Wie haben die Geschäftsleitungen in Euren Betrieben auf die Aktionen in den Betrieben reagiert?

Beyazkaya: Sie hat sich zuerst mit der Erlaubnis sehr schwer getan. Aber im Endeffekt hat sie es zugelassen, daß wir im Betrieb uns sammeln konnten.

Samberg: Während der Mahndemo kam der Werkleiter wutentbrannt herunter, erklärte sich allerdings mit dem Inhalt des dort gehaltenen Redebeitrags einverstanden. Er meinte aber dennoch, wir hätten sein Vertrauen mißbraucht, indem wir die Kollegen nicht nur einfach vom Arbeitsplatz haben aufstehen lassen, sondern sie auf den Hof hinausgebeten und es etwas länger gemacht haben. Dabei hatten wir den Personalchef vorher über diese Aktion informiert und keinen Widerspruch bekommen. Am nächsten Tag wurden Kollegen aus dem Betriebsrat zum Werkleiter zitiert. Sie mußten dort Rede und Antwort stehen. Wir hatten in drei Sprachen, in türkisch, serbo-kroatisch und in deutsch „Stopp den Krieg“ ins Fenster gemalt. Da haben wir die Auflage bekommen, das abzumachen, sonst würde es eine einstweilige Anordnung geben. Wir sind dem natürlich nicht nachgekommen und werden es auch weiterhin nicht tun.

Ziegler: Unsere Geschäftsführer gehen morgens an der Mahnwache vorbei und sagen guten Tag. Es wurde uns nicht verboten, vor dem Tor was zu machen, aber immer noch nicht innen im Betrieb. Es wurde gesagt, das sind politische Gründe, da will sich die Geschäftsleitung raushalten. Wir haben dagegengehalten, daß früher sogar Mahnminuten von der Geschäftsleitung abgehalten wurden, zum Beispiel am 13. August 1961 und 1962 als Protest gegen den Bau der Mauer, am 23. Oktober 1977 Arbeitsruhe von einer Minute gegen politischen Terrorismus im Zusammenhang mit der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Unser Anspruch war, es auch für den Frieden zu tun. Es wurde uns trotzdem nicht gestattet. Wir haben daraufhin ein Flugblatt gemacht und die Belegschaft informiert. Die Belegschaft hat großenteils Unverständnis für das Verbot geäußert, weil bei uns ja auch während der Arbeitszeit Adventsgebete stattfinden. Wie kommt es, daß man dann nicht für den Frieden zwei Minuten Zeit hat?

Ist in euren Betrieben die Stimmung gegen Saddam Hussein oder gegen die Alliierten?

Beyazkaya: Bei den türkischen Kollegen ist es unterschiedlich. Einige sagen, daß Saddam daran Schuld ist. Die Ursache ist Kuwait. Andere sagen, da geht es vielmehr um wirtschaftliche Interessen und daß der Krieg eigentlich verhinderbar, aber von den USA gewollt war.

Spielt es eine Rolle, daß die Türken Moslems sind?

Beyazkaya: Sehr wenig. Weil die meisten überwiegend jung und hier aufgewachsen sind, sehen sie es anders als vielleicht in der Türkei. Ich weiß ja nicht, wie es in der Türkei ist.

Samberg: Die unterschiedlichen Standpunkte gibt es bestimmt in jedem Betrieb. Aber die Frage ist, ob wir in der Lage sind, die Kollegen zu überzeugen. Und da haben wir die Mahnminuten abgehalten, um Moslems und Christen, Türken und Mitteleuropäer gemeinsam gegen diesen schrecklichen Krieg demonstrieren zu lassen. Das war ein wichtiges Ziel der Aktionen. Interview: Martin Kempe

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