Biowaffen aus dem genetischen Baukasten

Der Krieg am Golf setzt die Debatte über den Sinn einer weitverzweigten transatlantischen Biowaffenforschung auf die Tagesordnung/ Eine neue Generation gentechnisch veränderter Erreger wird „nur“ für Verteidigungszwecke entwickelt  ■ Von Manuel Kiper

Zu den Unwägbarkeiten des Golfkrieges gehört die Frage nach dem Potential biologischer Waffen, über die Saddam Hussein verfügt. Doch was von Seiten des CIA über irakische B-Waffen-Aktivitäten in den letzten drei Jahren gestreut wurde, nimmt sich beinahe vorsintflutlich aus gegen das, was diesseits und jenseits des Atlantiks arbeitsteilig (und natürlich zu rein defensiven Zwecken) in den letzten zehn Jahren entwickelt wurde. Schrecklich wäre der Einsatz der den Irakis zugeschriebenen Milzbrand- und Botulismuswaffen dennoch.

Diese beiden konventionellen Erreger standen schon während des Zweiten Weltkriegs den USA optional zur direkten Vernichtung der Japaner beziehungsweise zur Vergiftung ihrer Lebensmittelvorräte und der Reisernten zur Verfügung. Milzbrand ist mit Penicillin zu behandeln. Seit langem verfügen die USA über einen Impfstoff. Die GIs am Golf wurden zwangsweise geimpft. Da Israel und die arabischen Staaten die B-Waffen-Konvention von 1972 nicht ratifiziert haben, die die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von B-Waffen verbietet, ist in der Tat nicht auszuschließen, daß es in dieser Region auch zum Einsatz dieser Massenvernichtungsmittel kommt.

Was aber — getrieben von der Furcht vor einer angeblichen Genlücke gegenüber sowjetischen genmanipulierten Waffen — innerhalb der Nato betrieben wurde, ist die Entwicklung eines Baukastensystems für neue maßgeschneiderte Milzbranderreger und binäre B-Waffen. Die potentiellen Genwaffen fielen gewissermaßen als Nebenprodukt einer trotz B-Waffen-Konvention erlaubten B-Waffenschutzrüstung und B-Waffenschutzforschung gewonnen. Vor deren mißbräuchlichem Einsatz bewahren uns die friedliche Absicht unserer Militärs und ein paar Tage oder Wochen, die benötigt würden, aus Reagenzglasmengen neuartiger Erreger die für den Einsatz notwendigen Mengen zu produzieren. Abfülleinrichtungen, Geschosse und so weiter stehen im Rahmen des auf Abschreckung und Vergeltung ausgelegten US-amerikanischen C-Waffenprogramms bereit.

Die bundesdeutschen Milzbrandforschungen, die für das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) seit zwei Jahrzehnten in Stuttgart-Hohenheim und in der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle der Bundeswehr für ABC-Schutz (WWDBw) in Munster in der Heide abgewickelt werden, sind Bestandteil des Gesamtprogramms. Über ein für die Öffentlichkeit und selbst den deutschen Bundestag nicht zugängliches Kooperationsabkommen wird die Zusammenarbeit im B-Waffenschutz mit den Vereinigten Staaten geregelt.

Bundesrepublik auf Milzbrand spezialisiert

Die Bundesrepublik ist in diesem Rahmen auf Milzbrandentseuchung, -detektion und -ausbreitung spezialisiert. Massenanzucht, Impfstoffentwicklung und neue Erreger werden in den USA bearbeitet.

Doch nicht nur Know-how und Erreger wechseln über den Atlantik, auch Personen. Zur Zeit arbeitet die Milzbrandexpertin der Bundeswehr, Hauptmann Dr. med. vet. Gabriele Kraatz-Wadsack, in der Pentagon- Milzbrand-Arbeitsgruppe in Fort Detrick. Vorher entwickelte sie mit Professor Böhm zusammen einen Schnellnachweistest auf Milzbrand. Böhm, die bundesdeutsche Milzbrandkoryphäe, war bis zum letzten Jahr in Munster für die Bundeswehr tätig und sitzt nun auf einem Lehrstuhl in Stuttgart-Hohenheim. Die von ihm und anderen entwickelten Schnellnachweissysteme auf C- und B-Waffen dienen nach offizieller Version der Kampfkrafterhöhung, weil mit Hilfe dieser Systeme kräftezehrender BC-Schutz auf reale Gefahrensituation beschränkt werden kann.

Prof. Wolfgang Müller vom Institut für Tiermedizin und Tierhygiene der Universität Stuttgart-Hohenheim beschäftigt die Frage, wie lange und unter welchen Bedingungen „luftgetragene Mikroorganismen“ wie Milzbrand infektiös bleiben.

Um „die Erprobung von Schutzvorkehrungen unter annähernd realistischen Bedingungen“ — wie es in einer vertraulichen Stellungnahme des BMVg heißt — vornehmen zu können, ist 1990 ein neu errichteter Hochsicherheitstrakt in der WWDBw in Munster fertiggestellt worden. In der dortigen riesigen Aerosolisierungskammer können nunmehr Ausbreitungsstudien „unter annähernd realistischen Bedingungen“ vorgenommen und Wüstenklima wie Arktis simuliert werden.

Aber die Ausbreitungsstudien finden nicht nur im Saale statt. Die Stuttgarter Professorenriege läßt fürs Verteidigungsministerium auch Feldversuche ausführen. Für seine Aerosolausbreitungen unter dem Stichwort „Untersuchung an künstlichen Keimquellen“, die Franz Hartmann als Doktorrand bei W. Müller im Auftrag des BMVg ausführte, wurde ihm ein Gelände der französischen Truppenübungsplatzkommandatur Münsingen zur Verfügung gestellt. Keimwolken wurden mit einem Aerosolgenerator produziert und die in bis zu 500 Metern Entfernung resultierende Luftkeimkonzentration bestimmt. „Die aus diesen Messungen gewonnenen Linien gleicher Flächendosis“, stellt Hartmann befreidigend fest, „ergeben ein anschauliches Bild der Ausbreitung einer Keimwolke in und senkrecht zur Windrichtung.“ Solche Studien vermitteln allerdings nur Einblicke in die Ausbreitung feindlicher Keimwolken, wie uns Beteiligte Glauben machen wollen.

Das dritte bundesdeutsche Milzbrandprojekt ist das Reinigen von Leoparden, gepanzerten versteht sich. Spezialisten dafür sind die Professoren Reinhard Böhm und Dieter Strauch im Fachgebiet Tierhygiene am Institut für Tiermedizin und Tierhygiene der Universität Hohenheim. „Außenversuche zur Aerosoldesinfektion“ — so der Bericht der Stuttgarter Professoren an das BMVg — fanden zwischen dem 6. August 1981 und 8. November 1983 in der Heimatschutzbrigade 55 in Böblingen und der ABC- und Selbstschutzschule in Sonthofen statt. Sollen im B-Waffenkrieg Panzer sauber gemacht werden, dann — so die Empfehlung der Herren — ist es mit Formaldehyd, Glutaraldehyd, Wasserstoffperoxid und Peressigsäure zu probieren.

„Ein Schwerpunktmarkt im Nahen Osten“

Die aus den Forschungen resultierenden Materialien und Chemikalien gingen über die Alfred Kärcher GmbH an die Nato; besonderer Absatzmarkt waren die US-Streitkräfte und „ein Schwerpunktmarkt im Nahen Osten“. Damit dürfte gewährleistet sein, daß die Forschungen der Hohenheimer Professoren bei etwaigen Kriegshandlungen in aller Welt gute Dienste leisten.

Das alles sind aber nur Zahnrädchen zum US-amerikanischen Milzbrandprogramm. Seit 1980 läuft ein Pentagonprogramm zur Entwicklung verbesserter Impfstoffe gegen die Milzbranderreger. Beauftragt wurde ein Spezialist, der bis 1966 in Fort Detrick, dem US-amerikanischen B-Waffenforschungszentrum, noch mit der offensiven Milzbrandentwicklung befaßt war: Curtis B. Thorne. Inzwischen Professor für Mikrobiologie an der University of Massachusetts, hat Thorne für das Pentagon ein Baukastensystem der gefährlichen Milzbrandeigenschaften geschaffen. Er entwickelte ein genetisches Schnellübertragungssystem, um die Giftgene und die Verkapselungsgene des gefährlichen Sporenbildners auf andere Bazillen übertragen zu können. Gleichzeitig führte er in solche maßgeschneidertern Erreger noch Antibiotika-Resistenzen ein. Würden sie aus dem Labor entkommen oder als B-Waffe produziert und eingesetzt, müßte die bislang noch mögliche medizinische Therapie versagen. Das ist letztlich auch der Sinn der Sache.

„Solche Forschungen verstoßen gegen den Geist und vermutlich auch gegen den Wortlaut der UN-Konvention zur Ächtung der Biowaffen“, so der harsche Vorwurf von Jonathan King, Mikrobiologe am berühmten Massachusatts Institute of Technology. King bestreitet irgendeinen Nutzen der Forschungen von Thorne für das Gesundheitswesen.

Im Baukasten gibt es auch Erreger, die für sich genommen ungefährlich sind, die aber — einmal mit anderen ebenfalls harmlosen Erregern zusammengebracht — in hoher Ausbeute und mit großer Geschwindigkeit hochpathogene neuartige maßgeschneiderte Krankeitserreger zu liefern in der Lage sind.

Solche binären B-Kampfstoffe stellen eine Bedrohung für biotechnisch unterlegene Länder dar. Die Industrienationen können die Detektoren und die passenden Impfstoffe vorrätig halten. Ob Undercover- Operationen oder Low-Intensity- Konflikte: Mit maßgeschneiderten Pflanzen-, Tier- und Menschenseuchen könnten mißliebige Regimes unterminiert werden — Vorwürfe, die in den vergangenen Jahren immer wieder in Ländern der Dritten Welt erhoben wurden.

Manuel Kiper/J. Streich Biologische Waffen: Die geplanten Seuchen , rororo aktuell 12624, 1990