Kein Pazifismus aus sicherer Entfernung

■ Günter Wallraff lebte während der vergangenen fünf Wochen in Israel INTERVIEW

taz: Mitte Januar stand der Ausbruch des Golfkrieges unmittelbar bevor. Warum sind Sie indieser Situation nach Israel gefahren?

Günter Wallraff: Mir war danach. Ich habe eine andere Arbeit unterbrochen, weil ich mich in jenen Tagen in Israel eher am Platz fühlte als hier. Man mußte damals mit allem rechnen, auch mit dem Einsatz von chemischen Waffen durch den irakischen Diktator. Es war wieder einmal von der „Endlösung der Judenfrage“ die Rede, wobei das Know- how für das Giftgas und die Reichweite der Raketen aus Deutschland stammte. Mir war in dieser Situation der Aufenthalt in Israel ein ganz persönliches Bedürfnis, eine — wenn auch hilflose — Geste der Solidarität.

Sie haben die irakischen Drohungen von Anfang an ernst genommen?

Man mußte Husseins Drohungen ernst nehmen, was die Israelis — im Gegensatz zu den westlichen Regierungen, die ihn hochgezüchtet haben — im übrigen immer getan haben.

Die Israelis haben den Krieg der Alliierten gegen Irak nahezu einhellig begrüßt, während in Deutschland und anderswo die Friedensbewegung gegen den Krieg demonstrierte. Auf welcher Seite haben Sie sich da befunden?

Ich war da auf der Seite derjenigen, mit denen ich im Schutzraum im Kibbuz Ramat Rachel zusammen saß; mit den Kindern, die beim ersten Rakentenangriff in Panik gerieten. Man war an die Gasmaske noch nicht gewöhnt und der seltsame, etwas ätzende Geruch des Gummis ließ uns befürchten, daß ein Gasangriff erfolgt sei. Man saß unter den Dingern, sah ältere Menschen, die nur mit Glück dem KZ entkommen waren, vor sich hin weinen, erlebte die Panik der aus dem Schlaf gerissenen kleinen Kinder, die ihre Eltern mit den Rüsseln vor dem Gesicht unter ihren Plastikplanen nicht mehr erkannten. Diesen Menschen, die nach dem ersten Schock die späteren Angriffe äußerlich ganz ruhig abwarteten, fühlte ich mich verbunden. Mit der deutschen Friedensbewegung habe ich dennoch nicht gebrochen. Ich habe allerdings eine Differenzierung vermißt. Hier bei uns scheint mir alles in einem unheimlich starren Blockdenken festgefahren. Hier findet sich ein ausgeprägtes Mitläufertum. Meine Reise nach Israel, also mein Entfernen von der „Friedenstruppe“ hier, stieß bei vielen auf völliges Unverständnis. Das Perverse war, daß ich mich wegen meiner Reise Freunden gegenüber rechtfertigen mußte. Israel sei selber schuld, lautete ein Argument.

So hat sich ja auch der grüne Vorstandssprecher Christian Ströbele geäußert.

Eine fatale Position, eine verhängsnisvoll falsche Schlußfolgerung, die ich von Ströbele, den ich sonst schätzte, nie erwartet hätte.

Haben Sie in Israel mitbekommen, daß sich viele Grüne, ja fast die gesamte Linke, gegen die Lieferung der Patriot-Raketen nach Israel ausgesprochen haben?

Ja. Für mich war das eine unfaßbare, gefühllose Reaktion, eine kalte, ungeheuerliche Prinzipienreiterei. Für Israel brachte die Patriot ein großes Stück Erleichterung. Man schlief wieder besser, fühlte sich nicht länger schutzlos. Den Israelis in dieser Situation die Abwehrwaffen zu verweigern, schien mir unfaßbar aber zugleich typisch, denn es gibt hier eine politische Tradition der „reinen Lehre“, die Prinzipien höher stellt als Menschenleben.

Sind Sie als Deutscher in Israel auf Ablehnung gestoßen?

Nein, im Gegenteil. Ich war zum ersten Mal in Israel, bin dort nicht bekannt und kann sagen, daß ich selten so herzlich aufgenommen worden bin. In Israel differenziert man sehr genau. Man war wütend auf die deutsche Regierung, die Hussein jahrelang unterstützt hat, man war empört über die Waffenschieber, aber ich bin nirgenwo auf Deutschfeindlichkeit gestoßen. In den Kibbuzimen, die ich besucht habe, leben viele jüngere Deutsche — z.T. auch solche, die hier in der Friedensbewegung aktiv waren. Die haben dort als Volontäre begonnen, sind geblieben und genießen ein großes Ansehen.

Haben Sie auch mit Palästinensern, die sich ja offenbar über jede in Israel einschlagende Rakete gefreut haben, gesprochen?

Ja, ich hoffte solche zu treffen, die dieser entsetzlichen Einschätzung — trotz Okkupation und eigener Bedrängnis — nicht anhingen. Fast alle, die ich traf, verteidigten Hussein, manche feierten ihn sogar als Held. Ich habe dann das privat organisierte Modell „Neve Shalom“, in dem schon vom Kindergarten an Araber und Juden zusammenleben, angesprochen. Es hieß daraufhin, die Zeit sei dafür noch nicht reif. Allerdings, auch in Israel wird dieses Modell weitgehend abgetan oder sogar verleumdet.

Die Friedensbewegung, Grüne und SPD haben schon kurz nach Kriegsbeginn zum Waffenstillstand aufgefordert. Eine Einstellung der Kampfhandlungen ohne vorherige Zerstörung des irakischen Militärpotentials schien dagegen nicht nur den Israelis unakzeptabel. Was ist Ihre Position?

Lebte ich in Israel, würde ich mir wahrscheinlich die Auffassung zu eigen machen, daß ohne Ausschaltung des irakischen Aggressionspotentials die Sicherheit für Israel nicht hätte gewährleistet werden können.

Gab es eine Alternative zum Kriegsausbruch?

Es hätte eine geben müssen. Es hätten Wege gefunden werden müssen, Saddam Hussein zu beseitigen.

Ein Tyrannenmord?

Ja.

Hat die mangelnde Bereitschaft der Friedensbewegung und der westdeutschen Linken, sich mit der angedrohten Vernichtung Israels tatsächlich auseinanderzusetzen und Solidarität zu üben, einen antisemitischen Ursprung?

Das glaube ich nicht. Die Bedrohung Israels wurde allerdings extrem verdrängt. Vielleicht auch deshalb, weil die Linken zwar ein Schuldgefühl gegenüber dem jüdischen Volk empfinden, dies aber tatsächlich öffentlich nicht ausprechen, sondern wegen der Palästinenserfrage eher als störend betrachten. Ich muß mir im übrigen selbst vorwerfen, daß ich die Bedrohung Israels in der Vergangenheit nur sehr vergröbert wahrgenommen habe.

Sie haben selbst den Kriegsdienst verweigert, sich pazifistisch engagiert. Bewerten Sie den Pazifismus heute anders?

Ich habe meine pazifistische Haltung nie verabsolutiert sondern schon früher den Standpunkt vertreten, daß es Formen der Unterdrückung geben kann, die auch bewaffneten Widerstand unumgänglich machen können. Die Revolution in Nicaragua habe ich z.B. immer verteidigt, denn ohne diesen Aufstand wäre Nicaragua wahrscheinlich heute noch eine Folterdiktatur. Langfristig gesehen geht es dennoch nur über einen weltweiten Pazifismus. Dieser Keim muß am Leben gehalten werden, muß Blöcke und Landesgrenzen überspringen. Man muß für das Prinzip werben, aber man kann nicht aus gesicherter Entfernung in einer bestimmten Bedrohungssituation anderen Gewaltlosigkeit vorschreiben. Wir müssen in solchen Situationen kleinere Schritte machen, vertrauensstiftende Maßnahmen fördern. Das ist auch jetzt unsere aktuelle Aufgabe. Interview: Walter Jakobs