Religiöse Gefühle und Potenzprobleme

Kühe gelten bei den Hindus als heilige Tiere, ihr Fleisch darf in Indien nicht verkauft werden. Die religiösen Gefühle der Inder interessierten das Fünf-Sterne-Hotel „Le Meridien“ in Neu Delhi scheinbar einen Dreck, als sie letzte Woche ihr „Festival britischer Spezialitäten“ feiern wollten. In großen Anzeigen warben sie für die Freßwoche und kündigten frech an, daß zu den Schlemmereien neben Yorkshirepudding auch massenhaft Rinderfilet gehören würde. Diese Blasphemie war zuviel für die indischen Gläubigen. Eine aufgebrachte fundamentalistische Hindugruppe drohte das Festival zu sprengen. Das Management des Hotels trat einen schnellen Rückzug an und griff zu einem Trick. Die toten Kühe, so behaupteten sie, seien gar keine Rinder, sondern Büffel. Sie schworen hoch und heilig, im Restaurant sei niemals Rindfleisch angeboten worden und werde es auch in Zukunft nicht. Auf die Frage, warum dann in der Anzeige Rinderfilet genannt worden sei, verteigte sich einer der Manager: „Wenn wir es Büffelfilet genannt hätten, glauben Sie, irgend jemand hätte es gegessen?“

Das Nashorn ist zwar kein heiliges, dafür aber ein vom Aussterben bedrohtes Tier und deshalb in Afrika und Asien nicht weniger geschützt als die Kühe in Indien. Von 1970 bis 1987 ging der Nashornbestand von 70.000 auf 11.000 Tiere zurück. Es war also höchste Zeit, etwas zur Rettung der Kolosse zu unternehmen. Die internationalen Schutzvorschriften haben jedoch in China verrückte Nebenwirkungen. Wie ein Fachmann des Rhinozeroshorn- und Elfenbeinhandels in Nairobi berichtete, werden aus Nashorn gefertigte Kunstschätze in China pulverisiert, um zu Arzneien und potenzsteigernden Mitteln verarbeitet zu werden. Die chinesischen Bestände bestehen zu einem großen Teil aus Dolchgriffen aus dem Jemen sowie aus wertvollen Antiquitäten aus den Ming- und Chingdynastien von 1368 bis 1911. Die heilende Wirkung des Nashornpulvers ist keineswegs sicher, trotzdem haben sich die Chinesen gegen die Kunst und für die Potenz entschieden. Für ein Kilo Rhinozeroshorn werden inzwischen, je nach Ursprung, zwischen 3.000 und 27.000 Mark gezahlt.

Esmond Bradley Martin, der im Auftrag des World Wildlife Fund die chinesischen Lagerbestände an Nashorn besichtigte, spricht von einer „Kulturtragödie“. Es sei, als ob man „einen Renoir nimmt und das Porträt herausreißt, um den Rahmen zu bekommen, oder eine russische Ikone kleinschlägt, um daraus Zahnstocher zu machen“. Karl Wegmann