Koalition schröpft oben und unten ungleich

■ Lohn- und Einkommensteuer werden für ein Jahr um 7,5 Prozent erhöht/ Benzin- und andere Verbrauchssteuern steigen ebenfalls/ Steuerentlastungen für Unternehmer nicht aufgehoben/ Opposition kritisiert Unausgewogenheit

Berlin (taz) — Jetzt steht fest, wer wieviel für die deutsche Einheit und für den Golfkrieg zur Kasse gebeten wird. Die Bonner Regierungskoalition gab gestern nach über fünfstündiger Sitzung im Kanzleramt ihre Steuererhöhungspläne bekannt. Das wichtigste Steuerpaket wurde auf ein Jahr befristet: auf die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftssteuer soll ein Zuschlag von 7,5 Prozent erhoben werden. Das ergibt nach Berechnungen der Finanzexperten eine Mehreinnahme von rund 18 Milliarden Mark. Diese zusätzlichen Einnahmen fließen allein dem Bundeshaushalt zu, weil es sich nicht um eine Steuererhöhung handelt, sondern zum eine „Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftssteuer“, die nach Artikel 106 des Grundgesetztes nicht dem normalen Verteilungsmodus zwischen Bund, Ländern und Gemeinden unterliegt. Unbefristet werden folgende Steuern angehoben: Die Mineralölsteuer um 25 Pfennig pro Liter, die Heizölsteuer von 5,6 auf acht Pfennig pro Liter, die Erdgassteuer von 2,6 auf 3,6 Pfennig pro zehn Kilowattstunden, die Tabak- und die Versicherungssteuer.

Die Beschlüsse der Koalition bedürfen nicht der Zustimmung des Bundesrates. Insofern kann die Koalition ihre Beschlüsse allein mit ihrer Bundestagsmehrheit durchsetzen und ist nicht auf die Kooperation mit den oppositionellen Sozialdemokraten oder der kleinen Oppositionsparteien PDS und Grüne/Bündnis 90 angewiesen. Nach wie vor liegt kein Konzept der Koalition vor, wie die Steuermehreinnahmen verwendet werden sollen. Nachdem die Regierung den Wahlkampf damit bestritten hatte, es werde wegen der deutschen Einheit keine Steuererhöhungen geben, begründete sie vor wenigen Wochen die Notwendigkeit von Steuererhöhungen zunächst mit den Kosten des Golfskriegs. Inzwischen wird offen eingeräumt, daß die Kosten der deutschen Einheit ohne kräftige Griffe in die Tasche der Steuerzahler nicht zu finanzieren ist.

Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel sprach in Bonn vom „größten und unverfrorensten Täuschungsmanöver seit Beginn der Bundesrepublik“. Die Regierung, an ihrer Spitze Bundeskanzler Kohl (CDU) und Finanzminister Waigel (CSU) müßten sich bei den Wählern dafür entschuldigen, daß ihr Vertrauen so grob mißbracht worden sei. Inhaltlich sieht Vogel allerdings in dem Zuschlag auf die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftssteuer einen „Schritt in die richtige Richtung“. Die Sozialdemokraten hatten eine Ergänzungsabgabe nur für die Besserverdienenden gefordert. Die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Meier und ihr Fraktionskollege Joachim Poß äußerten sich dagegen schärfer: Das Maßnahmenpaket der Bundesregierung sei „sozial völlig unausgewogen“. Die SPD fordert vor allem den Verzicht auf die von der Koalition geplante Abschaffung der Vermögens- und Gewerbekapitalsteuer, die fast ausschließlich den Spitzenverdienern und Großunternehmen zugute käme. Matthäus- Meier: Die Autofahrer müssen über die höhere Mineralölsteuer die Steuergeschenke für Spitzenverdiener und Großunternehmen bezahlen.

Die FDP räumt in Sachen Steuererhöhung ein „Glaubwürdigkeitsproblem“ ein. Die Gewerkschaften haben die Regierungsbeschlüsse ebenfalls als unsozial kritisiert. Der IG-Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler meinte, FDP und CDU/CSU hätten vor der Wahl die Stimmen der kleinen Leute mit unrealitischen Wahlversprechen eingesammelt, jetzt sammelten sie das Geld der kleinen Leute für die Finanzierung ihrer Irrtümer ein. Der DGB rechnete vor, daß ein Arbeitnehmer mit 40.000 Mark Jahreseinkommen mit rund 587 Mark belastet werde, während ein Selbständiger nur 287 Mark zu zahlen habe. Der stellvertretende Vorsitzende der Industriegewerkschaft Medien kündigte bereits an, die Verluste der Arbeitnehmer in der bevorstehenden Tarifrunde wieder hereinzuholen. marke