„Der Fortschrittliche“ aus Wisconsin

■ Die RedakteurInnen des linken Monatsmagazins 'The Progressive‘ schreiben gegen den Krieg an

Madison, Wisconsin (taz) — Erwin Knoll war von Beginn an gegen diesen Krieg. Als langjähriger Chefredakteur des Monatsmagazins 'The Progressive‘ hatte er schon in seinem ersten Leitartikel nach dem 2. August die Rückkehr der an den Golf geschickten US-Truppen gefordert. „Ich war immer der festen Überzeugung, daß die USA diesen Krieg wollten“, sagt Knoll, der als Sohn österreichischer Juden nach dem „Anschluß“ in die USA emigrieren mußte. „Wer heute die Rolle einer Supermacht spielen will, der einzigen in dieser Welt, der muß halt Freund und Feind immer wieder seine Bereitschaft demonstrieren, seine Macht auch militärisch einzusetzen.“

Der 1909 aus der pazifistischen Tradition des Bundesstaates Wisconsin heraus gegründete 'Progressive‘ ist eines jener Handvoll respektabler linker Wochen- und Monatszeitschriften, die in dem Land mit 240 Millionen Einwohnern eine Leserschaft von vielleicht 300.000 auf sich vereinen. Mit 40.000 verkauften Exemplaren routiniert am Rande des wirtschaftlichen Ruins operierend, hat dem Blatt die Abgelegenheit seines Standorts gutgetan. In der Universitätsstadt Madison und der liberalen Luft Wisconsins lasse sich weitaus unbeschwerter arbeiten, so erklärt der Chefredakteur, als in der künstlichen Politblase Washingtons; oder gar an einem Ort, an dem die Antikriegsplakate an den Fensterscheiben des Redaktionsbüros schon längst Ziel eines Ziegelsteins geworden wären.

Während sich die Redaktionen vor allem jener Magazine, die von und für US-amerikanische Juden produziert werden, an der Golfkriegsfrage gespalten haben, ist die Logik der Ereignisse am Golf für die Belegschaft des 'Progressive‘ völlig unumstritten: dies ist kein Krieg gegen einen neuen „Hitler“, auch kein Krieg der UNO, der Republikaner oder des George Bush. Für sie ist dies ein durch und durch „amerikanischer Krieg“. Schließlich sei es nicht etwa Ronald Reagan, sondern Jimmy Carter gewesen, so erinnert Erwin Knoll an die überparteilichen Ursprünge des Konfliktes, von dem die Interventionsdoktrin am Persischen Golf stamme.

Diese Sichtweise schlägt sich auch in der innenpolitischen Stoßrichtung des Magazins nieder. Parteipolitik ist für Knoll in den USA nur Zeitvergeudung, in der auch linke Politaktivisten alle vier Jahre ihre wertvolle Arbeit an den Graswurzeln drangeben, um „irgendeinem Idioten in das Weiße Haus zu verhelfen“.

Worum es dem 'Progressive‘ in erster Linie geht, ist dagegen die Aufrechterhaltung und Stärkung einer „Kultur des Dissens“. Denn was Erwin Knoll und seine Mitstreiter als Folge dieses Krieges und einer danach unangefochtenen Supermachtspolitik der USA befürchten, ist eine tendenzielle Entwicklung der USA zum Garnisonsstaat. Im Deutschen, so Knoll, gebe es dafür ein sehr passendes Wort: „Gleichschaltung“.

Dagegen redet und schreibt Erwin Knoll — nicht zum ersten Mal in seinem Leben — an: in Fernsehdiskussionen (wenn sie ihn denn mal gelegentlich einladen), in seiner Kommentarsendung des Lokalradios von Madison und in Vorträgen vor Universitäts- und High-School-Klassen.

In einer Zeit, in der beim Magazin 'Progressive‘ mehr oder minder ratlos darüber diskutiert wird, wie sich angesichts der vom Staat kontrollierten Kriegspropaganda überhaupt noch eine alternative Berichterstattung realisieren lasse, scheint die Stärkung einer „Bewegung von Dissidenten“ in der Tat nur noch vor Ort möglich zu sein.

Dort und auf den Seiten des 'Progressive‘ versucht Erwin Knoll seinem Publikum beizubringen, daß dieser Krieg nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch dumm und ökonomisch kontraproduktiv ist. Die derzeitige militärische Vormachtstellung der Vereinigten Staaten sei auf einer Reihe innenpolitischer Prämissen aufgebaut, die nicht mehr durchzuhalten seien, „wie zum Beispiel der traditionellen Annahme, daß es unseren Kindern wirtschaftlich besser gehen wird als uns“. Auch das amerikanische Empire werde einmal vorbei sein, warnt Knoll. „Aber versuchen sie das mal den Amerikanern klarzumachen.“ Rolf Paasch