Kondome? — »Frauen sind viel lockerer«

■ Der erste und bisher einzige Kondomladen in der Ex-DDR, an der Prenzlauer Allee, fristet ein klägliches Dasein

Prenzlauer Berg. Der britische Premier Winston Churchill erklärte seinerzeit die Franzosen zur Kulturnation, weil sie über 250 Sorten Käse kennen. In Prenzlauer Berg bietet seit Oktober ein Laden 70 verschiedene Sorten Kondome an. Eine späte Bestätigung für den Briten: »Casanova«, der erste Verhüterliladen im ehemaligen Osten, sieht aus wie eine Kulturstätte.

Chrom, Plexiglas und vornehme Leere verleihen der Plaste und Elaste-Boutique eher Galerieambiente als Sexsho-Atmosphäre. Hier werden Latexschlüpfer in edler Einfalt und stiller Größe präsentiert, heißen sie nun »Black Jack«, »Okaido«, »Wild Banana« oder einfach »Rund um sicher«. Furcht und Grauen erzeugen in der bunten Vielfalt aller Größen und Aromen nur wenige der Gummiwülste. Die allerdings haben Noppen, Zacken, Riffel und Knubbel und lassen ihre Bestimmung als grobes Rubbelwerkzeug erkennen.

Doch das ist angesichts der gestylten Gepflegtheit des Ladens leicht zu übersehen. So schön eingerichtet das neue Geschäft ist, seinem jungen und schönen Besitzer Marko Eschler bringt er keinen Gewinn. Zur Zeit denkt Eschler mehr an Konto und Konkurs als an Kondome. »Jeder Frisör verkauft ja jetzt schon nebenbei Erdbeerkondome, und die Geldsorgen der Leute sind so groß hier im Osten, daß sie kein Kondom zuviel kaufen«, klagt er.

Vom Sexboom, wie ihn die Boulevardpresse immer wieder verkündet hat, will der Gummiverkäufer nichts wissen: »Der Kondomverbrauch ist nicht gestiegen.« Leider ist nun kürzlich auch die Verkehrsanbindung seines Ladens durch die Straßenbahn weggefallen. Ihre Trasse wird gerade rundum erneuert. Da helfen auch niedrige Preise nichts, wenn nur wenige Leute am Laden vorbeikommen.

Doch damit nicht genug: Seitdem die alten Ostkondome nicht mehr geliefert werden, bleiben Kunden aus. »Ostkondome sind auch gut«, hat ein offensichtlicher Vertreter der DDR- Identität Marko Eschler schon empört auf die Scheibe gekritzelt. Beim Präservativ ist eben so mancher konservativ.

Die gängigen Sexshops sind nach Meinung des geplagten Unternehmers nur deshalb so erfolgreich, weil sie mit ihrem Porno-Sortiment bisher keine Konkurrenz haben. Umsteigen möchte er trotzdem nicht. Solche Läden sind nicht sein Ding. Sein Ding ist, daß viele Männer im Zeitalter von Aids nach wie vor ihr Ding nicht umhüllen wollen. »Ich habe eigentlich keine Kunden unter zwanzig. Die benutzen oft einfach kein Kondom. Ich glaube die Aufklärung, auch was Aids betrifft, ist hier im Osten einfach noch nicht soweit wie im Westen.«

Erstaunlicherweise sind 30 bis 40 Prozent von Marko Eschlers Kunden Frauen. Ihre Männer haben, so vermutet er, vor dem Kondomkauf im Laden Hemmungen, oder kümmern sich einfach nicht um Verhütung. »Manche Männer sind auch so richtig etepetete, von wegen ihres Allerbesten und so. Frauen sind da viel lockerer, die packen das Kondom auch mal aus oder fassen es an«, meint der Kondomverkäufer zum Reporter, der trotz aller Neugierde bisher noch nicht das Bedürfnis hatte, mal einen der unbekannten Exoten auszupacken oder zu beriechen.

Dafür bietet er dem Besucher ganz locker einen grünen, wollenen »Herrenbikini« an, eine Art gestrickter Genital-Handschuh mit Messingglöckchen unten dran. Nach Eschlers Erkenntnissen finden Frauen so etwas sehr lustig. Kein Zweifel, dieser einfingrige Beutel ist ein Gag, ob mit oder ohne Glöckchen. Da es ihn aber nur in zwei Ausführungen gibt, sei die Vermutung gewagt, daß nicht jeder, der ihn anlegt, gleich ein Kulturträger ist. Gunnar Tausch