Abzählreim als Gegenwehr

■ „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh“, ARD, 16.03 Uhr

Ach, waren das herrliche Zeiten. Als der Pfarrer noch mit wehendem Talar auf dem Motorroller zum sonntäglichen Gottesdienst in die Kirche fuhr. Als das Presbyterium noch die Einnahmen aus der Kollekte am Nierentisch zusammenrechnete. Und als es fast an Feminismus grenzte, wenn die Frau des Pfarrers während der Zusammenkunft der Frauenhilfe nicht häkelte, sondern Strohsterne bastelte und sich einfach die Frechheit herausnahm, nicht kochen zu können. Eine Frau, die am Herd nur mißratenen Braten zuwege bringt, galt in jenen fernen Tagen schon fast als nicht heiratsfähig — und so eine ist dann auch noch die Frau des Herrn Pfarrers.

Der WDR hat es auf die deutsche Spießigkeit schlechthin abgesehen, und da heute eine Pfarrerserie allein kaum jeden vor den Altar der Fernsehpastoren lockt, kamen Elke Loew (Buch) und Sigrun Koeppe (Regie) — wahrscheinlich dank göttlicher Fügung — auf die Idee, die Wurstigkeit der fünfziger Jahre mit den Segnungen des christlichen Glaubens zu kombinieren.

Da fügt sich dann eins ins andere: Gottesfürchtigkeit und die sattgemütlichen Jahre des ersten Wohlstands nach den mühevollen Jahren des Wiederaufbaus. Die wahre Wirkungsstätte der Adenauer-Ära — so zeigt es uns diese Serie — ist die Kanzel in der Kirche. Und es entbehrt nicht einer gehörigen Portion Ironie, daß die Rolle des Pfaffen niemand anderes als Willy Brandts Sohn Matthias spielt.

Wahrscheinlich hat die Redaktion des ARD-Vorabendprogramms zu viele Briefe von ihrer Hauptklientel, den rüstigen Kukident-Trägern, bekommen, denn anders ist dieser biedere Blick auf Pastoren, Pferdeschwänze und Petticoats nicht zu erklären. Schön war es, gemütlich war es und so richtig sentimental.

Die fünfziger Jahre, das war auch die Zeit, in der man in jeder Eckkneipe Männer finden konnte, die von Hitlers Leistungen beim Autobahnbau fabulierten, und davon, wie der „Führer“ fast den Iwan geschafft hätte. Aber wir wollen die Kirche ja im Dorf lassen. So etwas gehört nicht in eine Vorabendserie. Wem das nicht paßt, der kann ja den Filmtitel zum vollständigen Abzählreim ergänzen: Pfarrers Kinder, Müllers Vieh — geraten selten oder nie. Manchmal gilt so etwas auch für Fernsehserien. Christof Boy