Europas Eigenbrödler

■ Sind die Briten nur weniger heuchlerisch?

Noch nicht einmal drei Monate sind vergangen, seit sich die EG-Regierungschefs in Rom trafen, um die Debatte über eine politische Union einschließlich der Außen- und Sicherheitspolitik zu eröffnen. Doch die Ereignisse der letzten drei Monate haben diesen Einigungsprozeß ernsthaft in Frage gestellt. Der Hauptgrund für die Destabilisierung ist offensichtlich der Golfkrieg. Er hat weitreichende Mängel im europäischen Integrationsprozeß offengelegt, die vorher im Lichte allgemeiner Selbstzufriedenheit nach dem Ende des Kalten Kriegs ignoriert worden waren.

Eine gängige Reaktion auf die Kuwaitkrise ist die Beobachtung, die europäischen Staat würden auf nationale Verhaltensweisen zurückfallen: Deutschland zögere noch, sich festzulegen; Frankreich giere danach, eine halbautonome Rolle spielen zu können; Großbritannien sei hoffnungslos unterwürfig gegenüber den USA; aber auch andere Länder wie Irland, Belgien oder Italien reagierten auf Basis ihrer traditionellen nationalen Interessen.

Dies ist allerdings nur zum Teil wahr, wird aber von den immer noch unversöhnlichen Europagegnern um Margret Thatcher weidlich ausgebeutet. Es ist jedoch ein Fehler, die Unterschiedlichkeit der Wege zu übertreiben, die die westeuropäischen Staaten über den Golfkrieg eingeschlagen haben. Es wäre richtiger zu sagen, daß diese Länder trotz der vorhersagbaren Unterschiede bemerkenswert nachgiebig waren, als es darum ging, den USA zu folgen.

Großbritanniens Rolle als US-amerikanischer Flugzeugträger in Europa ist eine alte Geschichte, die im Mittelpunkt der derzeitigen Krise britischer Außenpolitik steht. Überraschend ist dabei, daß Großbritannien nun das enthusiastischste in der langen Reihe von europäischen Länder ist, die fast alle die USA tatkräftig unterstützen. Der einzige Unterschied zwischen Großbritannien und diesen anderen Ländern ist vielleicht, daß die Briten dabei weniger heuchlerisch sind.

Dennoch: Die Entwicklung hin zu einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ist durch den Golfkrieg zurückgeworfen worden. Die Erklärung dafür ist allerdings nicht, daß die Möchte- gern-Europapolitiker im Grunde nur kleinkarrierte Nationalisten sind. Es liegt vielmehr daran, daß keiner von ihnen in der Lage war, eine gemeinsame europäische Außenpolitik zu formulieren, die wirklich unabhängig von den USA ist. Martin Kettle

Martin Kettle ist Europa-Redakteur der britischen Tageszeitung 'The Guardian‘.