Die Deutschen haben in Korea den Zug verpaßt

Die „Technogerma“ in Seoul ist die bisher größte deutsche Industriemesse Asiens/ Prunkstück ICE dennoch kaum verkäuflich  ■ Aus Seoul Georg Blume

Elegant, aerodynamisch, formschön — fast wie ein Denkmal präsentiert sich die deutsche Superschnellok ICE vor dem mächtigen Messebau in Seoul, wo Bundespräsident von Weizsäcker am Mittwoch die „Technogerma“ eröffnete, die bisher größte deutsche Industrieausstellung in Asien. Die Lok ist das Schmuckstück der Ausstellung. Koreanische Kinderaugen staunen, ganze Schulklassen sind gekommen.

Und deutsche Manager erklären: technische Vorzüge, praktische Details, deutsche Wertarbeit. Seit die südkoreanische Regierung vor einiger Zeit das Projekt einer Superschnellbahn zwischen der nahe der Grenze zum Norden gelegenen Hauptstadt Seoul und dem südlichen Pusan verkündete, streiten sich die großen internationalen Konkurrenten aus Japan, Frankreich und Deutschland um den Auftrag. Für die deutschen Anbieter, räumen sie selbst ein, ist die Technogerma der Moment, auf den es ankommt. Können sie überzeugen?

Chang-Rae Park schüttelt den Kopf. Der Wirtschaftsressortleiter in Südkoreas führender Tageszeitung 'Dong-A Ilbo‘ lächelt über soviel deutsche Ausstellungsnaivität. Denn für ihn hat die ICE-Superlok ganz umsonst die halbe Welt umschifft. „Die Entscheidung über den Schnellzugauftrag ist eine rein politische. Da spielen technische Qualitätsmerkmale überhaupt keine Rolle“, bemerkt Park und will sagen: Auf die Politik in Seoul haben die Deutschen keinen Einfluß, Japaner aber sehr wohl. Weshalb die Südkoreaner aller Vorraussicht nach in japanischen Wagons von Seoul nach Pusan flitzen werden.

Chang-Rae Park gibt jedoch auch eine umfassendere Erklärung: „Die guten Japanischkenntnisse vieler koreanischer Geschäftleute und die geographische Nähe haben Japan zwangsläufig zu unserem wichtigsten Maschinen- und Technologielieferanten gemacht. Die Deutschen sind auf allen Gebieten spät dran und haben es gegen die Konkurrenz aus Japan schwer.“

Doch Messeaussteller müssen Optimismus ausstrahlen. Allen voran natürlich der größte unter ihnen, Daimler-Benz. Mit einer großzügigen Hymne auf den „ausgeprägten unternehmerischer Geist“ in der südkoreanischen Gesellschaft verkündete der stellvertretene Vorstandsvorsitzende von Mercedes- Benz, Helmut Werner, zur Technogerma-Eröffnung einen Kooperationsvertrag mit den fünftgrößten südkoreanischen Firmengruppe Ssangyong. Die wird in Zukunft 50.000 Kleinlastwagen pro Jahr in Daimler-Lizenz herstellen, verfolgt aber darüberhinaus andere Ziele.

Über den Daimler-Deal im Lkw- Bereich will Ssangyong den deutschen Qualitätsstern auch an die eigene Pkw-Palette heften und mit neuen Modellen, möglicherweise unter vorgetäuschtem Daimler-Namen, neue Marktanteile gewinnen. Helmut Werner behagt das offenbar weniger. Mercedes-Wagen blieben auch in Zukunft Produkte „made in Germany“, betonte er in Seoul.

Wenn sich Daimler-Benz trotz solcher kleinen Rangeleien auf das Geschäft mit Ssangyong einläßt, ist das freilich für die südkoreanische Wirtschaft insgesamt ein gutes Zeichen. Die harten Importbeschränkungen Südkoreas, die im Automobilbereich noch bis heute fortbestehen, hatten in den vergangenen Jahrzehnten ausländische Investoren weitgehend ferngehalten. Heute aber hat der aus eigener Kraft entwickelte südkoreanische Binnenmarkt eine Größe erreicht, die auch von deutsche Unternehmen nicht mehr ignoriert werden kann — die Konkurrenz schläft eben auch nicht.

Es entbehrt deshalb nicht der Ironie, wenn die deutschen Manager, die jetzt zwei Wochen lang in Seoul ihre Technologien preisen, reihum ein Klagelied über die südkoreanischen Importbedingungen singen. Denn erst diese Restriktionen, die sich letztlich — wie das Beispiel Daimler zeigt — auch umgehen lassen, haben den Wirtschaftsbau in Südkorea ermöglicht und das Land ökonomisch in die Rolle des „global player“, wie Mercedes-Vize Helmut Werner lobt, katapultiert. Der Daimler-Konzern mußte allerdings auf ein besonderes Ausstellungsstück verzichten — die Firmentochter MBB wollte sich mit einem Modell des Kampfflugzeugs Tornado exponieren. Es ist jedoch wieder abgeräumt worden. Angesichts der weltweiten Diskussion um deutsche Waffenexporte hatte Weizsäcker gedroht, die sonst nicht zu eröffnen.

Zwischen den großen Namen auf der Technogerma — vertreten sind fast alle großen bundesdeutschen Konzerne — fällt ein kleinerer Messestand besonders ins Auge: Carl Zeiss, der alte Hersteller optischer Geräte. Bei Zeiss bieten nämlich fast ausschließlich Koreaner deutsche Produkte an. Für den Ingenieur C.S. Kye ist das freilich Alltag. Unter den 60 Zeiss-Angestellten in Südkorea sind nur zwei Ausländer — und sie sind Japaner und kommen von der Mutterfirma Zeiss-Japan.

„Die Verantwortung liegt bei uns“, freut sich Kye. Dafür freilich bekommt er dann ein väterliches Schulterklopfen vom aus Deutschland dazugereisten Chefmanager: „Die Leute hier sind tüchtig und besitzen geradezu preußischen Arbeitsgeist“, weiß Zeiss-Mann Manfred Berger.

Berger steht mit seinem Lob nicht allein. Trotz Lohnerhöhungen von etwa 70 Prozent in den vergangenen drei Jahren klagen deutsche Industrielle über ihre koreanischen Beschäftigten überraschend wenig. Nur beim Gerede über Korea als „asiatisches Preußen“ täuschen sie sich oft. Der schon im voraus verlorene Schnellzugauftrag zeigt an, wie sehr den Deutschen auf der Technogerma das asiatische Verhandlungs-Know- how fehlt. In Preußen zählte vielleicht mal Geradlinigkeit. In Südkorea muß man für einen solchen Mammutauftrag der Regierung den Wahlkampf bezahlen — und genau das werden die japanischen Anbieter tun.