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Der Drang zur rechten Mitte

■ Polen vor der Neuwahl des Sejm

Die nahe Auflösung des polnischen Sejm und die dann fälligen Neuwahlen rufen ungute Assoziationen an die 20er Jahre wach, als der allmächtige Marschall Pilsudski ein schwaches und zerstrittenes Parlament zur Ohnmacht verurteilte. Aber die historische Parallele trägt nicht weit. Hatte es Pilsudski mit einem starren, hochpolarisierten, in der Vorkriegszeit verwurzelten Parteigefüge zu tun, so ist im heutigen Polen der Parteibildungsprozeß erst ganz am Anfang. Charakteristisch ist der Drang zur rechten Mitte. Wem es gelingt, sich erfolgreich als christlich-demokratisch- soziale Gruppierung zu präsentieren, dem ist die absolute Mehrheit der Wählerstimmen sicher. Die Hauptprätendenten in diesem Wettstreit, die Walesa-nahestehende Zentrumskoalition und die Unia Demokraticzna Mazowieckis unterscheiden sich nicht wesentlich in ihren programmatischen Aussagen, sie verdanken ihre Entstehung eher einem Spaltungsmanöver Walesas, der den liberalen Demokraten wie Michnik oder Geremek ihre „Massenbasis“ entziehen wollte.

Gerade wegen der mangelnden Trennungsschärfe zwischen den beiden christlich-demokratischen Hauptgruppen wird es bei den Wahlen um Personen und nicht um Programme gehen. Das Lager Mazowieckis hat es opportunistischerweise versäumt, in den großen Streitfragen wie der Klerikalisierung des öffentlichen Lebens im demokratischen Sinn Stellung zu beziehen. Gegen Mazowieckis Leute wirkt sich auch aus, daß sie zwar voller guter demokratischer Absichten stecken, die politischen Entscheidungsprozesse aber innerhalb eines engen Kreises, eines elitären Intelektuellenklüngels laufen. Das böse Wort von der neuen Nomenklatura, die Wahlenthaltungen, die erschreckend hohen Anteile, die der Abenteurer Tyminski auf sich vereinigte, beweisen, daß die Solidarność- Nachfolgeparteien zwar die Mehrheit repräsentieren, ihre Integrationskraft aber nachläßt — besonders unter den Schichten, die nicht mehr fest im katholischen Milieu verwurzelt sind.

Spätestens hier wäre nach der linken Alternative zu fragen. Zu dem radikal-monetaristischen Kurs der Regierung bildet die Politik der gewendeten Realsozialisten keine Alternative. Sie basiert allzu durchsichtig auf sozialer Demagogie. Die aus der Solidarność kommende linke und „selbstverwalterische“ Tendenz ist schwach. Konzentrationspunkt ist die Gruppe „Solidarność-Prace“, eine Vereinigung von Intellektuellen und Gewerkschaftsfunktionären. Aus ihr, der kleinen PPS und anderen Gruppierungen könnte künftig eine Partei nach dem Muster der französischen Sozialisten hervorgehen. Im kommenden Wahlkampf aber wird sie ebensowenig eine Rolle spielen, wie sie den spontanen Streiks und der wachsenden Unzufriedenheit mit dem katholischen politischen Establishment eine Perspektive weisen kann. Auch Walesa wird es künftig nicht mehr gelingen, die Träger dieses Protests mit der alten Pathosformel der Solidarność an sich zu binden. Das ist der zweite gewichtige Unterschied zu Marschall Pilsudski. Christian Semler

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