„Kalter Putsch“ in Albanien?

Presse gleichgeschaltet/ Pro-Hoxha-Aufmärsche und Jagd auf „Hooligans“/ Soldaten desertieren  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

Panzer auf den Straßen und öffentlichen Plätzen, willkürliche Verhaftungen von „Hooligans“ und größere Massenaufmärsche zum „Gedenken Enver Hoxhas“, so zeigt sich Albanien in diesen Tagen. Die studentische Opposition spricht von einem „kalten Putsch“ des Militärs und beklagt Hunderte Festnahmen von Oppositionellen und kritischen Intellektuellen. Selbst zu Erschießungen soll es kommen, wie der Sprecher der „Demokratischen Partei“, Genc Pollo, in Telefongesprächen mitteilt. Immer wieder komme es zu Handgreiflichkeiten bei Personenkontrollen durch Militärstreifen, die „verdächtige Jugendliche“ scharf anpackten. Dabei löse sich manchmal „aus Versehen ein Schuß. Die bürgerkriegsähnliche Stimmung heizen die Massenmedien täglich an. Wer ein „stolzer und demokratischer Albaner“ sei, der solle sich dort und da zur Kundgebung „für unseren größten Sohn, für Enver Hoxha, einfinden“, meldet Radio Tirana regelmäßig. Und glaubt man dem Sender, so marschieren Hunderttausende Albaner nach getaner Arbeit in allen Großstädten des Balkanstaates auf, um „Nieder mit den Volksverrätern und Studenten“ zu rufen. Die Presse des Landes wird zunehmend gleichgeschaltet. Wer kann, der distanziert sich von den Unruhen der letzten Wochen und den Demokratieforderungen der Opposition und der Studenten in Tirana. Nur noch wenige Oppositionelle wagen offen Kritik.

Nach einer Meldung des Athener Rundfunks desertierten Anfang der Woche zweihundert Grenzsoldaten nach Griechenland, „da ein Bürgerkrieg“ unmittelbar bevorstehe. Selbst in der Führungsspitze Tiranas kommt es zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten. Manche glauben gar, der mächtigste Mann, Staats- und Parteichef Ramiz Alin, könne sich kaum mehr an der Macht halten. Wenngleich ein Emporkömmling unter Enver Hoxha, geht auf Alias Konto die Reformpolitik der letzten Monate. So ließ er gestern verlauten, man werde in der Frage, ob die umgestürzten Enver-Hoxha-Denkmäler wieder aufgerichtet werden sollten oder nicht, in Bälde eine Volksbefragung durchführen. Während diese Meldung über Radio Tirana nur kurz verlesen wurde, schenkte man einer weiteren Erklärung des Verteidigungsministers Kico Mustaqu, schärfster Reformgegner Alias, weit mehr Aufmerksamkeit: „Kräfte faschistischen Typs handeln wild, um ein Attentat auf die Errungenschaften unserer Demokratie zu verüben und sie in einem Blutbad zu ertränken.“ Trotz dieser Gleichschaltung rührt sich noch immer „Widerstand“. Immer wieder kommt es am Rande der Massenaufmärsche zu Zwischenfällen, die selbst die kommunistischen Medien nicht verschweigen können. Das ZK-Organ 'Zeri i popullit‘ weist darauf hin, daß man gegen diese „faschistischen Banden“ Tränengas und den Gebrauch von Schußwaffen einsetzen mußte.