piwik no script img

Kommunalpolitik mit angezogener Handbremse

■ Der Rostocker Oberbürgermeister Klaus Kilimann (SPD) beschreibt die Schwierigkeiten, ohne Geld zu wirtschaften INTERVIEW

taz: Herr Kilimann, Sie sind jetzt seit einem dreiviertel Jahr Oberbürgermeister in Rostock. Was bestimmt Ihren Arbeitsalltag?

Klaus Kilimann: Den Alltag beherrschen vor allem Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot. Wir können da nur durch unsere Wirtschaftspolitik gegensteuern. Doch dazu sind wir zum einen finanziell zu schlecht ausgestattet; zum zweiten verfügen wir noch nicht über unser kommunales Eigentum, mit dem wir Wirtschaftsförderung betreiben könnten.

Sehr große Ländereien, zum Beispiel im Hafenhinterland, die wir potentiellen Investoren anbieten könnten, liegen noch bei der Treuhand.

Also Kommunalpolitik mit angezogener Handbremse?

Ja. Wir haben zum Beispiel einen größeren Investitionsposten aus unserem Haushalt streichen müssen, weil wir in bisher noch nicht-kommunales Eigentum hätten investieren müssen.

Leipzig und andere Kommunen der ehemaligen DDR haben angekündigt, daß sie eigentlich Konkurs anmelden müßten. Wie stellt sich die Situation in Rostock dar?

Wir haben im Haushalt 1991 ein Loch von 250 Millionen Mark. Entstanden ist das durch drei wesentliche Aufgaben, zu denen sich die Bundesregierung im Einigungsvertrag eigentlich bekannt hat.

Da sind einmal die Mietsubventionen — alleine 160 Millionen von dem 250-Millionen-Loch; dann die Kindertagesstätten und der öffentliche Personennahverkehr. Wenn wir für die Bewältigung dieser drei Aufgaben wirklich bezahlt würden, wie man uns das versprochen hatte, wäre unser Haushalt ausgeglichen.

Und wenn der Bund nicht zahlt?

Dann werden wir hier Konkurs anmelden müssen. Die Bewirtschaftung der Mietwohnungen könnte nicht mehr stattfinden. Wir könnten Wärme und Wasser, Müllabfuhr und Reparaturen nicht mehr bezahlen. Dann bricht das Wohnungswesen hier zusammen.

Wie reagieren die Rostocker auf die Situation?

Es gibt Zeichen von Ungeduld und Aggressivität. Ich bin aber erstaunt, daß sie das alles noch mit einer so großen Geduld ertragen.

Sie haben bei der Werftarbeiterdemonstration vor dem Rathaus vor sozialer Unruhe gewarnt...

In der Tat sehe ich soziale Unruhen auf uns zukommen, wenn nicht endlich erkannt wird, daß die Situation sehr ernst ist.

Gibt es bereits Anzeichen dafür, daß sich die soziale Lage verschärft?

Die Gewaltkriminalität nimmt ganz deutlich zu. Doch das beunruhigt mich nicht so sehr. Es ist vielmehr die allgemeine Nervosität und Aggression der Menschen untereinander, die sie ihre an sich gute Erziehung vergessen läßt.

Sie sind einfach von ihren Problemen überwältigt.

Gibt es in Rostock auch positive Entwicklungen?

Ja, wir haben ja nicht geschlafen. Es wurden 4.300 kleine und mittlere Unternehmen angesiedelt; dabei sind 15.000 Leute umgesetzt oder aus der Arbeitslosigkeit geholt worden.

Was sind das für Betriebe?

Vom Handwerk über den kleinen Pensions- und Hotelbetrieb bis hin zum gewerblichen Betrieb, der Fenster und Türen herstellt.

Dabei sind noch nicht alle Anstrengungen einbezogen, zum Beispiel zur Ansiedlung der Allgemeinen Ortskrankenkassen, der Banken und ähnlicher Institutionen.

Auch dort sind eine Reihe von Arbeitsplätze geschaffen worden. Sonst wäre die Lage schon jetzt katastrophal.

Die Revolution vom Herbst '89 hat auch von der Hoffnung gelebt, daß es nur noch besser werden könne. Haben Sie diese Hoffnung noch?

Bei mir ist sie da, weil ich weiß: Dies ist ein Tal, durch das wir durch müssen. Ich bin davon überzeugt, daß wir uns alle in seiner Tiefe getäuscht haben. Und auch darüber, wie lange wir diese Talwanderung machen müssen.

Haben die Menschen denn überhaupt die Geduld für eine solche Talwanderung?

Ich hoffe es. Doch im Moment kann ich alle verstehen, die die Hoffnung verlieren. Interview: Holger Bruns-Kösters

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen