Marzahn will Investoren auf freie Flächen locken

■ Dem als grau empfundenen Plattenbaubezirk im Ostteil Berlins soll wirtschaftliches Leben eingehaucht werden

Marzahn. Marzahn ist weit weg für den Innenstadtbewohner. Marzahn ist fast schon nicht mehr Berlin. Da fährt man nur hin, wenn man muß. Als hier 1976 die ersten Richtfeste für den geplanten Neubaubezirk gefeiert wurden, träumten seine Erbauer von einem »schmucken und sicheren« Leben für 100.000 Menschen. Später hießen die Hochhausneubauten im Volke zynisch »Arbeiterschließfächer«. Der äußere Unterschied zwischen den Betriebskomplexen der Kraftwerksanlagenbau AG ist nicht wesentlich zu den wenige hundert Meter entfernten Wohnblöcken. Riesige Strommasten stehen zwischen den Häusern. Die Stadtgasleitungen verlaufen über der Erde, weil sie so schneller verlegt werden konnten. Daß dieses Produkt sozialistischer Plattenbauweise ein Zuhause sein kann, ist zumindest für den Außenstehenden schwer vorstellbar.

Aber die Trostlosigkeit der Architektur auf die dort lebenden Menschen zu übertragen und sie, wie in der 'FAZ‘ als »kranke Höhlenmenschen« zu bezeichnen, gehe dann doch zu weit, beschwert sich die Wirtschaftsstadträtin Ines Saager (Bündnis 90). Denn sie ist davon überzeugt, ihr Bezirk sei besser als sein Ruf. Sie will diese graue Stadtlandschaft am Rande Ost-Berlins attraktiv machen. Investoren sollen angelockt werden, mittelständische Unternehmer sich hier ansiedeln und das völlig unterbelichtete Dienstleistungswesen ausgebaut werden.

Dazu sei eine Standortaufwertung, so Ines Saager, unbedingt notwendig. Dabei hat sie ein schier endloses Arbeitsfeld vor sich. Das beginnt bei der Verbesserung der städtebaulichen Gestaltung Marzahns, geht über den Ausbau der Infrastruktur und hört bei den Wohnungen, die saniert und renoviert werden müßten, längst nicht auf.

Aber wie holt man Industrie- und Gewerbebetriebe, um die es Ines Saager vor allem geht, in diese unwirtliche Gegend? Auf dem ersten Unternehmertag in Marzahn ging die Stadträtin in die Offensive. Sie regte an, einen Marzahner Wirtschaftskreis zu gründen, dem das Bezirksamt als Vermittler von Informationen zur Verfügung steht. Von den Unternehmern sollen jedoch die eigentlichen Initiativen kommen.

Die Voraussetzungen für Investoren scheinen nicht schlecht. Großzügige Flächen für Bauvorhaben sind vorhanden. Die Verkaufsflächen umfassen nur ein Drittel der vergleichbaren Gebiete in West-Berlin. Es herrscht eine große Unterversorgung vor allem im Non-food-Bereich.

Eine andere gute Bedingung bieten, neben der verkehrsgünstigen Lage, die Marzahner selbst, schätzt Ines Saager. Die Einwohner mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren machen Marzahn zu einem der jüngsten Bezirke. Über 90 Prozent der Beschäftigten haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, ein Großteil einen Fach- oder Hochschulabschluß. Doch die Aussichten für die Arbeitnehmer sind düster. Schon jetzt existieren von den einst 40.000 Arbeitsplätzen in Marzahn nur noch die Hälfte. Wichtigste Arbeitgeber waren die sechs Großbetriebe, die jetzt von der Treuhand verwaltet werden. Mit dem Auslaufen der Warteschleife, dem Ende des Rationalisierungsschutzabkommens im Sommer rechnet der Direktor des Arbeitsamtes, Schöler, mit einer Arbeitslosenquote von 20 Prozent. Ganze 200 Angebote stünden den Arbeitsuchenden gegenüber. Schöler setzt auf Fort- und Umbildungsmaßnahmen im großen Stil. Bis nächstes Jahr müssen 10.000 Angebote vorliegen, denn »Qualifizierung ist ein Mittel, die Arbeitslosigkeit einzudämmen«, hofft Schöler. Dabei sollten gewerblich-technische und kaufmännische Bildungsmaßnahmen ausgewogen sein.

Den Trend hin zu letzteren will auch Ines Saager nicht, denn »wir können ja nicht alle Steuerberater werden«. Die bisherige industrielle Struktur des Bezirkes muß erhalten bleiben und ausgebaut werden, weil nur so langfristig ein Aufschwung möglich sei. Der Handel würde ohnehin kommmen, meint die Wirtschaftsstadträtin, weil der Absatzmarkt riesig sei. Die meisten Investitionen sind im Handel geplant: ein Handelszentrum, drei Tankstellen und sogenannte zeitlich befristete Verkaufseinrichtungen. Nur ein Gewerbe- und Innovationszentrum soll entstehen, das 1.500 Arbeitsplätze bis 1993 haben wird.

Größtes Problem für die Unternehmer in Marzahn sind die fehlenden Kommunikationsmittel und damit der nicht vorhandene Draht zum Senat. Telekom von der deutschen Bundespost beginnt jetzt mit dem Ausbau des Netzes. Schwierigkeiten machen auch die ungeklärten Eigentumsverhältnisse und langen Verwaltungswege, wodurch für viele Gewerberäume die Mieten inzwischen schon auf 50 Mark pro Quaratmeter gestiegen sind. Aber »vom sozialistischen Gang in den Beamtengang zu kommen«, so Ines Saager, braucht auch seine Zeit. anbau