Blut muß nicht rot sein — der Golf und die Gene

■ Wie der Golfkrieg die Biotechnologie hoffähig macht und ihr ein Versuchsgelände enormen Ausmaßes absteckt/ Die FU-Wissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter im Gespräch mit Peter Blie und Birger Ollrogge

taz: Frau Treusch-Dieter, Sie behaupten einen Zusammenhang zwischen Golfkrieg und Biotechnologie?

Gerburg Treusch-Dieter: Der Ausgangspunkt ist für mich der Versuch von Rifkin in seinem Buch Genesis II, Schöpfung nach Maß; darin fragt er: Stehen wir nicht an einer epochalen Wende, wo die Pyrotechnik zugunsten der Biotechnik abgedankt wird? Es begann mit den beiden US-Wissenschaftlern Cohen und Bowen, denen es gelang, die Genabschnitte zweier unterschiedlicher Mikroorganismen zu kombinieren, die sich sonst nie verbunden hätten. Das ist die Grundlage für alle Biowaffenproduktion. Dieses Ereignis hält Rifkin für ebenso einschneidend wie das der Domestikation des Feuers. Von diesem Augenblick an kann Leben beliebig im Forschungslabor produziert werden, es muß nur in einen sich fortwirkend erzeugenden Organismus eingebaut werden, da es sich sonst nicht selbst erhalten kann. In diesem Sinne sind per se die Gentechnologie und Reproduktionstechnologie miteinander verquickt.

Und warum scheint Ihnen das speziell für diesen Golfkrieg interessant?

Die fossilen Energien sind perspektivisch weitgehend aufgebraucht, und eine der zentralen ist ja das Rohöl. Die fossilen Energien, soweit sie mit der Pyrotechnik verbunden sind, beruhen auf dem Prinzip der Stoffumwandlungsprozesse. An deren Stelle tritt nun die Biotechnik, die mit autopoietischen Prozessen arbeitet, das heißt mit selbstreferentiellen »Schaltzyklen«. Das Ganze zielt also auf eine Selbstreproduktion der Energiequelle.

Zur Zeit macht aber die Entwicklung des Ölpreises mehr Furore als irgendein gentechnologisches Forschungsresultat.

Diese Betrachtung greift zu kurz. Viel zwingender formuliert es die Parole »Kein Blut für Öl«. Ich würde das für eine Jahrhundertparole halten. Gmeint war natürlich auf der Ebene der Friedensbewegung: Wir werfen uns nicht in die Bresche für die Machenschaften des Weltkapitalismus. Ich denke aber, es gibt einen Subtext in dieser Parole, die hier zum ersten Mal auftaucht. Als ob da begriffen würde: Blut für Öl zu geben ist sinnlos, denn es wird um etwas gekämpft, was keine historische Perspektive hat.

Ist die Parole nicht vielmehr Ausdruck von ökologischem Bewußtsein: mit Öl wird eh nur Unsinn produziert, deshalb lohnt es sich nicht, darum einen Krieg zu führen? Zur Zeit der sogenannten ersten Energiekrise 1974 wäre diese Parole gegen einen Ölkrieg nicht denkbar gewesen, da der Gebrauchswert von Öl noch nicht derart diskreditiert war.

Sicher, es hat in der Zwischenzeit eine Verschiebung von der Kritik der politischen Ökonomie zur Kritik der Ökologie stattgefunden. Da ist etwas ganz Positives zu verzeichnen: daß die Menschenleben, die das Rohmaterial dieses Krieges sind, nicht nur unter ökonomischen Aspekten nicht mehr gegen Öl aufzurechnen sind, sondern auch unter ökologischen. Aber das Paradox tritt für mich an dem Punkt ein, wo die fossilen Energien selbst in Frage stehen als Energiequelle. Da bekommt die Parole einen zusätzlichen Sinn. Das ökologische Bewußtsein hat sich offenbar in den letzten zehn Jahren in dem Maß entwickelt, wie umgekehrt deutlich wurde, daß die Ausbeutung der Umwelt nicht schrankenlos möglich ist. An dieser neuen Empfindlichkeit setzt nun die Gentechnologie an. Ihre Rechtfertigung lautet: wir greifen nicht ein, wir zerstören die Natur nicht; wir luchsen den Lebewesen nur ihren eigenen Entstehungsprozeß ab. Es heißt, man steige mit technologischen Mitteln quasi mimetisch in diese Prozesse ein; füge also, in diesem Sinne, der Natur nichts hinzu, sondern man läßt sie selbst sprechen. Und das ist doch eigentlich ideal im Sinne der Ökologie. Es handelt sich also nicht per se um eine neue Ausbeutungsform.

Wenn nun aber durch einen Krieg wie den Golfkrieg ein flammendes Inferno entsteht und die Umwelt in einem Maße geschädigt ist, daß die Gattung Mensch in Gefahr ist, wird man da nicht, um den Erhalt der Gattung zu gewährleisten, in Zukunft Überlebensstrategien die absolute Priorität geben? Wenn wir so, wie wir beschaffen sind, auf dieser Erde nicht mehr leben können, wird Überleben zur obersten Forderung, und die Biotechnologie erhält einen ganz anderen Stellenwert. Mit anderen Worten, kann solch ein katastrophisches Denken als Legitimation für die Biotechnologie dienen?

Das Überleben ist eine totale Reduktion, die äußerste Abstraktion von Leben. Überleben setzt sich immer schon ins Verhältnis zur Katastrophe und zum Mangel. Mit dem Kriegsschauplatz Golf ist, so scheint mir, jetzt schon eine Situation geschaffen, die es später zwingend notwendig macht, Gen- und Reproduktionstechnologie einzusetzen und weitergehend dann die Biotechnologie. Bezeichnenderweise finden sich auch mitten im Krieg, international von allen Seiten her Gesellschaften zur Beseitigung dieses sogenannten Ölteppichs ein. Das läßt sich immer mit humanitärer Hilfe rechtfertigen. Ich vermute aber, daß der Großeinsatz biotechnologischer Beseitigungsmethoden geplant ist, das heißt das Testen von Mikroorganismen, die imstande sein sollen, dieses Öl wegzufressen. Das ist keine Hilfeaktion mehr wie damals in Alaska, wo alles, was sich grün nannte, ankam und die Steinchen blankputzte. Das wichtigste scheint mir aber, daß die Bombenangriffe auf irakische Forschungsreaktoren, die ja definitionsgemäß Radioaktivität »friedlich nutzen«, jetzt notwendig Methoden erfordern, die in Tschernobyl eingesetzt wurden: Menschen werden evakuiert, das Gebiet wird zur Sperrzone, die Strahlenopfer werden von Knochenmarkspezialisten versorgt und gentechnologishe Präparate gegen Leukämie verabreicht. Das sind alles Forschungszweige, die seit langem aufs heftigste betrieben werden. Es geht auch schon um das Problem: wie kann man Blutkörperchen gentechnologisch produzieren. Man muß sich offenbar von der Vorstellung verabschieden, daß Blut rot sein muß. Da ist die Diskriminierung des Blutes schon sehr weit fortgeschritten. Ohne diese Reparationsmechanismen, die bis hin zum Einsatz künstlichen Blutes gehen, wird wohl kaum zu bewältigen sein, was im Irak jetzt schon an Schaden — der Begriff Schaden reicht da kaum noch — an Zerstörung für Jahrzehnte erreicht worden ist.

Haben Sie konkrete Informationen darüber, ob gentechnologische Produkte jetzt schon am Golf ausprobiert werden?

Versuche zur Abfallbeseitigung über Mikroben sind schon länger bekannt. Nun war jüngst ein Bild in der Presse zu sehen mit einem schräggehaltenen Reagenzglas und der Unterschrift, die Beseitigung von Ölteppichen durch Mikroben sei Legende. Das heißt für mich aber nur, daß man umgekehrt lesen muß. Ohnehin denke ich, daß man nicht immer nach besserer Information schreien, sondern mit der vorhandenen anders umgehen soll. Die Bildunterschrift lautet in diesem Sinne: Genau solche Mikrobenversuche laufen. Und man kann ja auch nur hoffen, daß es klappt. Gleichzeitig würde das aber belegen, daß ein ganz anderer Einsatz von Technologie im ökologischen Umfang hier seinen Anfang hat.

Die Golfregion als Ausweitung der Tschernobylzone?

Von Tschernobyl ist ja bekanntgeworden, daß es als abgesperrtes Laborgebiet mit Weltgeltung fungiert: Hiroshima und Harrisburg haben dieselbe Funktion. Und es wird mit Lust untersucht: Welche Mutationen ergeben sich? Ist eine Ente ohne Füße funktional oder ein Ahornblatt mit sieben statt nur fünf Fingern? Wie können wir das einsetzen? Von wo aus ist ein Organismus imstande, sich selbst zu erhalten, ohne daß er diese und jene Details besitzt? Und man wird feststellen: diese Ente ohne Füße hat zwar aus irgendwelchen Gründen nicht mehr den Ort gewechselt, sie existiert aber ansonsten noch als Ente, wäre also möglicherweise für eine Züchtung hochinteressant. Das heißt, es wird immer relativer, was man als Mutation bezeichnen will. Das utopische Ziel von Nobelpreisträgern der Genforschung ist es, einen funktionalen Organismus zu entwerfen, der in der Lage ist, fremde Planeten zu bevölkern. Wenn man so will, deckt sich das mit dem Ziel des SDI-Programms.

Es sieht so aus, als ob all das, was auf dem großen Experimentierfeld Golfkrieg möglich ist, die Chancen des — marxistisch gesprochen — Biokapitals steigen läßt. Einerseits stehen materialiter die Dinge dort jetzt zur Verfügung, andererseits liefert der Krieg die ideale Legitimation für solche Forschung. Und damit tat sich bekanntermaßen die Biotechnologie bislang schwer.

Da sind wir genau an dem Punkt, von dem aus die Entdeckung sich selbst steuernder Prozesse der Lebewesen zur neuen Ressource werden wird. Da braucht man gar nicht zu weiteren mystifizierenden Erklärungsmustern zu greifen. Daß diese Gene geldförmig werden, wie immer das auch ethisch verschleiert wird, das ist klar, das sind sie jetzt schon. Die Debatte um die Patentierung läuft schon. Und ein Patent heißt einfach: man erhebt ein Recht auf ein gentechnologisches Produkt, das dann nur von diesem einen Konzern hergestellt werden darf. Damit ist es blankes Kapital. Das Patentrecht erlaubt, die Bank zu halten für diese oder jene Produktion von Lebewesen. Und wenn es dann nur noch transgenische Forellen gibt, die fünf Pfund schwer sind, und die mickrigen Ein-Pfund-Bachforellen verschwunden sind, dann ist ein solcher Konzern einfach das Monopol, und man muß seine Aktien kaufen.

Dazu müßte die Firma allerdings auch die Reproduktion der Forellen in der Hand behalten. In dem Moment, wo jene Forellen freigesetzt würden und sich quasi selbständig, das heißt billig vermehren, ist der Bio-Bank das Kapital entzogen.

Schon die Bachforellen werden ja längst nicht mehr frei gefangen, sondern gezüchtet. Die Gettoisierung der Bachforelle wäre nur der Ausgangspunkt für die weitere Gettoisierung der transgenischen Forelle. Insofern ist diese Frage in der Tat zentral: Zu welchen Umstrukturierungen führen diese Entwicklungen? Es wird bis hin zum Umbau von Landschaft insgesamt gehen. Das heißt, das, was wir als unseren Lebensraum kennen, wird sich total verändern, weil Leben über die Gene kommerzialisierbar wird.

Mir scheint, der qualitative Sprung, der da zu vollziehen ist, ist eine Definitionsfrage. Noch gilt die fußlose Ente von Tschernobyl als Unfall eines AKW-Crash. Es müßte aber ein Bewußtsein hergestellt werden, daß die Ente fit ist, wie die Eurosau mit der x-ten Rippe. Beide leben ja. Nur, daß die Eurosau von vorneherein eine Produktion war, während die Ente ein überlebensfähiger Unfall ist. Sie hat zwar keine Füße, doch müßte es im Rahmen der Genmanipulation möglich sein, der Ente ein paar Füße anzukleben. Das heißt, die Ente ist unter den gegebenen Verhältnissen keine Kranke, sondern sie ist das Modell für Top- Gesundheit. Das Modell fürs Überleben schlechthin.

Das sehe ich ähnlich. Der alte Gegensatz Gesundheit versus Krankheit wird ersetzt durch den neuen von Funktionalität gegen Disfunktionalität. Das heißt, jede Mutation mißt sich an der Leistung, die sie erbringen kann. Das Verschwinden der Opposition von krank und gesund ist bereits in dem EG-Programm zur Erforschung des menschlichen Genoms angelegt durch den Begriff der prädikativen Medizin. Damit ist eine voraussagende Medizin gemeint, eine Medizin, die wirksam wird, noch bevor manifeste Krankheitssymptome da sind. Es geht also um die Disposition zur Krankheit, wie sich am Beispiel des Pilotprojekts Aids verdeutlichen läßt: Aids ist keine Krankheit, sondern eine Disposition zur Krankheit, eine Immunschwäche. Es ist nicht mehr auszumachen, was eigentlich irgendwann zum Vollbild Aids führt. Man könnte da also auf halber Strecke feststellen: hier liegt eine Mutabilität vor, aus der wir vielleicht was machen können.

Das klingt nach totaler Mobilmachung. Da werden dann also Taubstumme an die Kanonen gesetzt und Krüppel zum Autofahren abkommandiert. Und die Armee umwirbt nicht mehr die fitten Typen, sondern sie setzt alles ein, sofern es sich als Material funktional verwenden läßt.

In diesem Sinne werden Kriegs- und Friedenstrategien in der Tat nicht mehr zu unterscheiden sein. In einer Veröffentlichung zur Frage der Biotechnologie wird 1962 noch das Hybridwesen als Anwendungsperspektive genannt, also etwa die Kombination Mensch-Affe. Das steht auch noch 1983 im 'Deutschen Ärzteblatt‘. In Tschernobyl wurden die Helfer mit vorgehaltener Pistole zum Einsatz getrieben. Das ließ sich offenbar mit dem Pathos des realsozialistischen Heroen durchsetzen. Bei uns aber wird niemand bereit sein, eine solche Entsorgung zu leisten. Das heißt, es müssen Wesen gefunden werden, um deren Tod es uns nicht leid tut. Denn es wird alle 20 Jahre mit einem GAU gerechnet. Und bei den AKWs, die sich damit legitimieren, daß sie friedliche Atomkraftnutzung betreiben, ist — wie wir jetzt im Golfkrieg sehen — nicht mehr zu unterscheiden: sind sie eine Bombe, oder sind sie zur Stromerzeugung da?

Nochmal zurück zu den Biowaffen. Ein Virus ist ein DNS-Abschnitt und nicht mehr; er ist nicht lebensfähig ohne seinen anderen Organismus.

Das Zusammenkleben von Viren und ihr Einbau in Bakterien, die dann ihrerseits die Wirtszelle abgeben für das Einschleusen in einen Organismus, ist ein High-Tech-Grundverfahren, so wie Marschstiefel und Stöckelschuh nach demselben handwerklichen Grundverfahren hergestellt werden. Die Frage ist also bloß: Was wird da zusammengebaut? Entsteht da ein gentherapeutisches Mittel, oder entsteht eine Biowaffe? Erst die Programmierung entscheidet darüber, wie der völlig wertneutrale DNS-Abschnitt wirkt. Im Golfkrieg- Zusammenhang ist jener moralische Riesenstreit darüber interessant, ob es sich bei einem der US-Volltreffer um eine Biowaffenfabrik handelte oder um eine andere B-Fabrik, nämlich für Babynahrung. Der Streit ist völlig müßig. Es kann beides gewesen sein. Ebenso wie laborerzeugte Proteine die Grundlage für die Babynahrung bilden, können laborerzeugte Proteine als Grundlage für Biowaffen dienen. Das ist nur eine Frage der Endfertigung. Die Biowaffen werden ohnehin als Moleküle ohne jeden Waffencharakter auf Nährböden und in Brutkästen etc. gehalten und erst kurz vor ihrem Einsatz aktiviert. Auch die Produktionsstätte selbst läßt sich durch gleichzeitig eingesetzte Mikroorganismen, die die anderen vernichten, so spurlos beseitigen, daß gar nicht nachweisbar ist, wo Biowaffen produziert werden und wo nicht. Das ist eine Form der Spurenverwischung als Machtstrategie, die übrigens bis zu dem Götterboten Hermes zurückreicht. Jetzt ist es die RNS, die imstande ist, ihre Spuren zu verwischen durch die Botschaft, die sie mitteilt. Mir fiel nur auf, daß die US-Soldaten um den 4. Februar herum gegen Pest geimpft wurden. Und ich würde gerne wissen, ob da ein Zusammenhang besteht mit der sogenannten Milchpulverfabrik.

Das ist doch der springende Punkt. Es geht doch gar nicht darum, daß diese Biowaffen tatsächlich eingesetzt werden. Es geht darum, daß sie eingesetzt werden könnten. Allein diese Möglichkeit setzt paranoide Phantasien in Gang und nötigt dazu, entsprechende Gegengifte zu entwickeln. Da geschieht einiges gleichzeitig: da fällt einmal ein Ölteppich an; da bersten Atomreaktoren; und da gibt es die Möglichkeit, daß bakteriologische Waffen eingesetzt werden — vielleicht sind sie ja längst eingesetzt, mit einem Virus mit Langzeitwirkung. Vielleicht hat es ja auch schon entsprechende Anschläge in Flugzeugen gegeben: Man agiert nicht mehr nach dem pyrotechnischen Modell und sprengt ein Flugzeug in die Luft, sondern steigt mit einem Beutelchen ein und verteilt die Bakterien über die Klimaanlage. Die Ängste vor solchen Angriffsmodellen setzen doch Gegenmaßnahmen in Gang; es müssen natürlich Abwehrmechanismen dagegen geschaffen werden. Im Golfkrieg werden nun solche Ängste auf drei Ebenen mobilisiert: auf der bakteriologischen, der atomaren und der ökologischen. Wobei der Ölteppich ja fast anachronistisch ist in seiner Sichtbarkeit. Damit wird der Golfkrieg einerseits zum optimalen Experimentierfeld, andererseits bietet er den optimalen Argumentationshintergrund für einen Schulterschluß der Biotechnologie-Fraktion mit der Ökologie-Fraktion.

Dieser Schulterschluß ist unausweichlich. Denn meiner Meinung nach gibt es kein Zurück hinter die entwickelten Technologien; keine Möglichkeit einer geschichtlichen Unschuld, mit der wir guten Willens noch einmal bei Adam und Eva von vorne anfangen. Auf den Schauplatz Golfkrieg bezogen heißt das: Daß der Luftkrieg ein Test ist, haben die Militärs selbst zu Protokoll gegeben. Daß der Bodenkrieg so ungeheuer gefürchtet wurde, ist für mich ein Indiz, daß, nachdem A-Waffen bereits eingesetzt wurden, indem nämlich Reaktoren bombardiert wurden, nun fest mit dem Einsatz von B- und C-Waffen gerechnet wurde. Das scheint geradezu angestrebt als Experimentiermöglichkeit. Welche Leidenschaften dafür mobilisiert werden, wie blind die Akteure ins Messer laufen, wie sehr sich auch hier wieder, mit Marx gesagt, die Geschichte hinter den Rücken der Individuen durchsetzt, das kann ich weder entwirren noch wage ich eine Prognose. Ich finde es allerdings symptomatisch, daß dieser Krieg am Ort der Menschheitswiege stattfindet. Daß am Ort dreier Weltreligionen, die alle eine monotheistische Spitze haben, mit Virilio gesagt werden kann: Die USA zielen auf die monopolare Waffe ab, auf die konkurrenzlose Behrrschung eines Luftraums. Umgekehrt soll auf dem Boden, der abgehängt wurde, der Tod, Weiblichkeit, Materie repräsentiert, tabula rasa geschaffen werden für dieses Experimentierfeld, wo es zum Schulterschluß Biotechnologie-Ökologie kommen wird.

Schauplätze wie der Golfkrieg, Tschernobyl, etc. sind ja katastrophische Anlässe, bei denen schnell das Überleben der Gattung Mensch in Frage gestellt wird. Ein Sicherheitsdenken hält also Einzug, das gleichzeitig eine bestimmte Sozialtechnologie impliziert. Und das geschieht in unserer modernen westlichen Demokratie über eine positiv- ökologisch begründete Selbstdisziplinierung.

Entscheidend ist die Individualisierung. Ich selbst bin verantwortlich für die Natur, für meinen Körper, für meine Gene. So, wie für Foucault noch der Sex der abstrakte Bezugsort für all das ist, wofür wir uns abrichten, ausrichten, hinrichten, sind es jetzt die Gene. Das hat schon gegriffen. Indem die Technologie das Nichtmachbare zum Machbaren erklärte, horrifizierte sie gleichzeitig den Teil des Nichtmachbaren, der außerhalb ihrer Reichweite lag. Das Nichtbeherrschbare bleibt draußen. Das Irre ist nun, daß die Technologie an sich an einem Punkt der absoluten Machbarkeit angelangt ist, der gerade eben nicht machbar ist, weil unser Hirn definitiv noch nicht so weit ist. Das meint die Rede von der Veraltung des Menschen, der nicht auf dem Stand dessen ist, was er selbst hervorgebracht hat. Die Technologie ist also jetzt selbst zum Nichtmachbaren, das heißt zum Mythos geworden. Deshalb würde ich gerne sagen: Leute, dies hier alles ist gemacht, und man kann es entmythifizieren. Man kann es zerlegen und sehen, wie es gemacht ist. Es ist so und so historisch entstanden zu den und den Zwecken. Und wir können die Zwecke ändern; wir wollen bei dem jetzt vorhandenen Machbaren bleiben. Das heißt, wir können nicht dahinter zurückfallen und zum Beispiel sagen: Ab jetzt benutzen wir wieder Flintspitzen. Nur so ließe sich das Nichtmachbare retten.

Was heißt, das Nichtmachbare retten?

Wir könnten sagen: Okay, wir sind zu allem Machbaren imstande. Wir sagen nicht, ein Gott hat es gemacht oder der Mensch als Gott hat es gemacht, wir sagen auch nicht, es funktioniert aus sich selbst. Sondern wir stehen dazu: Wir haben es gemacht. Wir wollen damit töten, oder wir wollen damit eine Zivilisation schaffen, in der es sich auch in Zukunft leben läßt...

Von Gerburg Treusch-Dieter sind bisher neben vielen verstreuten Aufsätzen zwei Bücher erschienen: Wie den Frauen der Faden aus der Hand genommen wurde. Die Spindel der Notwendigkeit, Berlin 1983 und Von der sexuellen Rebellion zur Gen- und Reproduktionstechnologie, Tübingen 1990.