Zwischen Schrebergärten und Industrie

■ Westberliner SPD-Politiker auf Spurensuche in Treptow/ Spektakuläre Sehenswürdigkeiten — dem Charme der Treptower Mischung aus Industrie, Grünanlagen und Dorfatmosphäre können sich selbst westliche Politiker nicht entziehen

Treptow. Am Giftstreifen war die die Gesellschaft zu erwischen. Schon um 8.00 Uhr in der Frühe sollte die Rundfahrt durch Treptow vom Rathaus an der Neuen Krugallee losgehen. Weil aber nicht zu ahnen war, daß der Weg vom Nachbarbezirk Kreuzberg zum Treptower Rathaus mehr als 50 Minuten dauern kann, war der erste Teil einer verabredeten Rundfahrt durch den Treptower Park bereits passé. Auch der Steglitzer Abgeordnete Klaus Büger hatte Probleme, pünktlich am Treffpunkt zu erscheinen: »Ich bin jetzt für mehr Autobahn oder Blaulicht für Fraktionsvorsitzende abwärts.« Büger ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD. Die Westberliner Abgeordneten waren ihren Ostberliner Genossen auf der SPD-Klausurtagung in Königslutter durch Inkompetenz, was die Probleme des Ostteils der Stadt anbelangt, aufgefallen. Daraufhin hatten die Ostler beschlossen, ihre Westkollegen zu Rundfahrten durch die östlichen Bezirke einzuladen. Treptow, mit 40,6 Quadratkilometern Fläche der drittgrößte Bezirk Ost-Berlins, macht den Anfang. Mit dabei sind Ditmar Staffelt, sechs stellvertretende Fraktionsvorsitzende und etwa zehn Abgeordnete.

Der Giftstreifen an der Karpfenteichstraße, genau auf der ehemaligen Grenze zu Neukölln, sieht aus wie irgendeine Ansammlung von Sandhaufen. Doch dieser Sand ist hochgradig verseucht. Um die Fluchtversuche begünstigende Natur einzudämmen, hatten die Grenzer hier »irgendein Unkrautbekämpfungsmittel ausgesprüht«, erzählt der Treptower Baustadtrat Dieter Schmitz. Der Boden sei etwa einen halben Meter tief vergiftet, aber eine Gefahr für das Grundwasser bestehe nicht.

Über die Köpenicker Landstraße geht es Richtung Baumschulenstraße zum eigentlichen Ortsteil Treptow. Der Treptower Abgeordnete Peter Prompe mimt den Reiseleiter und weist darauf hin, daß der Bezirk die Asphaltierung der Baumschulenstraße einer Ostberliner Firma überlassen habe: »Ist doch gut geworden. Wir sind durchaus in der Lage, unsere Straßen selbst vorbildlich zu reparieren.« Obst und Gemüse, Konsum, Frisör, Kneipe — in der Baumschulenstraße haben sich hauptsächlich kleine Einzelhandelsgeschäfte angesiedelt. Bäume gibt es allerdings nur wenige. »Die gehen immer da ein, wo die Gasleitung liegt. Gegen austretendes Gas resistente Bäume habe man leider noch nicht gefunden«, sagt Prompe.

Weiter geht es zum Teltow-Kanal im Treptower Ortsteil Johannistal. Gegenüber liegt Neukölln. Die Späthbrücke über den Kanal wird gerade repariert und ist gesperrt. Mit Brücken ist Johannistal nur spärlich ausgestattet. Dabei liegt die Anbindung an den Westbezirk Neukölln den Treptowern schwer am Herzen. Geplant ist deshalb, die Endstation des 65er Busses vom ehemaligen Übergang Sonnenallee ein paar hundert Meter weiter zur Baumschulenstraße zu verlegen.

Der Bus fährt weiter Richtung Johannistal. Links liegt die Königsheide, rechts das Arboretum, ein botanischer Garten für Bäume, der zur Humboldt-Uni gehört. »Dieser Bereich wird nicht abgewickelt. Bäume sind ideologisch nicht belastet«, weiß Prompe. Wer nur die scheußlichen Industrieanlagen am Adlergestell kennt, dürfte überrascht sein zu hören, daß Treptow nach Köpenick der zweitgrößte Grünflächenbezirk Ost- Berlins ist.

Vorbei ist es mit den Parks. Drecksbraune Mietskasernen kündigen den Ortskern von Johannistal an. Am Sterndamm steht das ehemalige Rathaus von Treptow. Am 8. März wird darin ein Heimatkundemuseum eröffnet. »Da ist noch eine sehr komfortable Abhöranlage zu besichtigen und unten im Keller stehen Käfige, von denen ich dachte, so was gäbe es nur in Südafrika«, schildert Prompe die künftig zu besichtigenden Sensationen des alten Rathauses. Nachdem wir eine graue Hochhaussiedlung hinter uns gebracht haben, erreichen wir den ehemaligen Flughafen Johannistal. Bis zur Wende durften die Treptower Bürger dieses Gelände nicht betreten. Viel ist ihnen da auch nicht entgangen: Ein riesiges Stoppelfeld, rechts und links begrenzt von Kasernen, in denen zuletzt das Stasi-Wachregiment Felix Dziersinski untergebracht war. Vom Eifer der Truppe zeugen diverse Holzwände und Netze, an denen die Elitetruppe ihre Muskeln für den Stechschritt übte. In naher Zukunft sollen hier Wohnungen gebaut werden. In den Kasernen am ehemaligen Exerzierplatz sind Behörden wie Arbeits— und Tiefbauamt untergebracht. Früher feierten die Dziersinskis hier ihre hausinternen Feten, heute steht an den Türen »Come In«.

Treptow ist auch der zweitgrößte Industriestandort Ost-Berlins, die Besichtigung einer Fabrik daher Pflicht. Die Fahrt geht Richtung Adlershof zur Berliner Chemie AG. Staffelt erinnert sich, wie er seinem Vater früher immer die Stullen ins Werk gebracht hat. Damals, zu seligen Zeiten, als das Gelände noch Schering gehörte. Die Gruppe ist aufgefordert, die »Feststoffkonfektionsformierung« zu besichtigen. Die Maschinen seien eine »italienische Konfektionslinie«, erklärt der Abteilungsleiter. 100.000 Hustendragees werden von der italienischen Konfektionslinie pro Schicht verpackt. Am Ende des Fließbands klebt eine Facharbeiterin für Anlagentechnik Etiketten auf die Kartons. Darauf stehe, welches Präparat wann hergestellt und wie lange haltbar sei. Nachzuprüfen ist das für die Besucher nicht, da selbst ein SPD-Fraktionschef über keine Russischkenntnisse verfügt.

Von 300 Millionen Mark erwartetem Umsatz in diesem Jahr mache der Export in die Sowjetunion 80 Millionen Mark aus, erklärt später der Vorstandsvorsitzende Karlheinz Nedle. 1990 habe man mit der Gründung einer Aktiengesellschaft die ersten Schritte Richtung Marktwirtschaft getan, doch noch befinde sich das Unternehmen im »embryonalen Zustand«. Mit einem Personalabbau um 850 Mitarbeiter auf 1.100 bis zum Jahresende und einer Konzentration auf die Herstellung von Pharmaprodukten, hofft Nedle den Betrieb konkurrenzfähig zu halten. Nedle kommt auf das Thema Umweltschutz: »Die Luftverunreinigungen in der Vergangenheit waren nie schädlich. Sie waren nur ekelerregend.« Das stinkende Produkt, Trimetylamin, werde weiterproduziert, denn »es ist sehr lukrativ«. Aber man habe undichte Stellen in den Behältern beseitigt und seit Monaten habe es in Adlershof nicht mehr gestunken. Die Produktion umweltschädlicher Pflanzenschutzmittel werde demnächst eingestellt. Zur Reinigung des Teltow-Kanals, maßgeblich von der Berlin-Chemie vergiftet, hat Nedle nicht viel vorzuschlagen. »Wir würden bei der Beseitigung des giftigen Schlamms mit Rat und Tat zur Seite stehen.«

Nächste Station ist die Akademie der Wissenschaften. Ein kleiner Markt, umgeben von Einfamilienhäusern mit Gärten sorgt für eine friedlich-dörfliche Idylle, in dem auch das Geburtshaus des Abgeordneten Fechner zu finden ist. Achim Niklas, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD, setzt sich, inspiriert von einer die Hauptstraße entlang ruckelnden Straßenbahn, vehement für mehr Straßenbahnen in Berlin ein: »In Zürich haben sie die Schienen begrünt, um den Lärm zu dämpfen. Dafür haben sie schon zwei Leute totgefahren, weil die Bahn jetzt zu leise ist.« Der Abgeordnete Nolte schlägt vor, Kuhglocken anzubringen. Hinter der S-Bahn-Brücke beginnt das Industriegelände. Links die ehemalige DDR-Fernsehanstalt, dann fährt der Bus auf das Gelände der ehemaligen Akademie der Wissenschaften. Direktor Seidel erzählt, daß die Akademie 5.500 Beschäftigte in 20 verschiedenen Einrichtungen habe. Noch sei nicht beschlossen, welche Wissenschaftsbereiche in bestehende Institute eingegliedert werden können. Um wenigstens einem Teil der Mitarbeiter Lohn und Brot zu sichern, will Seidel ein innovatives Gründerzentrum errichten. Noch fehlt allerdings die Empfehlung des Wissenschaftsrates und auch die Finanzierung des Projekts ist noch nicht gesichert.

Auf dem Rückweg. Im Astra- Kino am Sterndamm läuft Kevin — Allein zu Haus. Vorbei an Müllplätzen am Straßenrand. Dann Station im Restaurant Serenade. An einem Tisch sitzt eine Gesellschaft schwarz gekleideter Menschen. »Hier finden meistens Beerdigungsfeiern statt. Der Friedhof ist doch gleich um die Ecke«, klärt der Parlamentarische Geschäftsführer Fechner auf. Der Rinderbraten war trotzdem köstlich. Anja Seeliger