Operation beendet, Patient tot

■ Der Sportmedizinische Dienst der DDR wird für seine Doping-Verstrickungen bestraft und abgewickelt Freizeitsportler und Patienten protestieren gegen die Beendigung ihrer sportärztlichen Betreuung

(dpa/taz) — Der sportmedizinische Dienst (SMD) der ehemaligen DDR schloß im Ostteil Berlins seine ambulanten Pforten. In den verbliebenen 15 Beratungsstellen fiel zum letzten Mal die gepolsterte Tür ins Schloß, die Leiter der Einrichtungen gaben ihre Schlüssel ab. Für immer. Was aus den Räumen und dem hinterlassenen Inventar wird, kann heute noch niemand sagen. Die Auflösung des SMD schickt allein in Berlin 80 Sportmediziner und rund 100 Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit. „Das fällt natürlich jedem schwer, doch viel schlimmer trifft es jene, die in unsere Sprechstunden kamen“, weiß die Ärztin Gisela Brusinsky. „Bis zur letzten Sekunde wollten sich Menschen aller Altersklassen zur sportmedizinischen Untersuchung bei uns anmelden.“ Statt erwünschter Diagnosen bekamen sie nur noch unerwünschte Absagen.

Die Liquidierung des SMD traf die Betroffenen infarktmäßig unvorbereitet. Am 19. September 1990 unterschrieb noch der damalige Ministerrat der DDR das Rezept namens Integration der sportmedizinischen Dienste in das kommunale Gesundheitswesen. Am 18. Dezember legten die „Hobby-Ärzte“ des Berliner Senats jedoch fest, daß der Dienst bis Ende Februar 1991 „abzuwickeln“ sei. Die Betroffenen erfuhren von ihrem „Ableben“ erst am 31. Januar. Alle neu ausgearbeiteten Konzeptionen und Strukturvorschläge landeten ohne Umweg im Papierkorb.

„Die Sportmedizin kam gleich hinter der Staatssicherheit“, versucht Gisela Brusinsky eine Diagnose zu finden. „Natürlich hatten wir auch Berührungen mit Doping. Das muß jetzt jeder mit sich selbst ausmachen.“ Die 49jährige Ärztin gesteht, als Betreuerin des TSC Handball-Teams muskelaufbauende Präparate an die Spielerinnen verteilt zu haben, „wobei die meisten eine Einnahme ablehnten“. Das sei zehn Jahre her. Damals bekam sie deshalb kein schlechtes Gewissen, „zumal alles unter genauester ärztlicher Kontrolle ablief“.

Heute denkt sie anders darüber, „aber den SMD einer kriminellen Vereining gleichzustellen, ist Rufmord“, wehrt sich Gisela Brusinsky. Vor allem in den letzten Monaten sorgten sich die Sportmedizin-Spezialisten verstärkt um die Jogger, Radler, Schwimmer und Wanderer des Breiten- und Gesundheitssports.

Jährlich wurden über 100.000 Konsultationen in Anspruch genommen. Diese Patienten wehren sich jetzt gegen die Aussperrung ihrer Ärzte. In einem Protestschreiben heißt es: „Gerade in letzter Zeit hat sich das Institut für Sportmedizin zunehmend der prophylaktischen und sporttherapeutischen Betreuung der Bevölkerung gewidmet. Die Auflösung des Instituts beendet laufende Behandlungen und gefährdet unsere Genesung und Gesunderhaltung.“ Es folgt eine lange Unterschriftenliste mit Randbemerkungen wie: „Nach jahrelangen Beschwerden erhalte ich hier endlich eine gute Behandlung und nun soll Schluß sein?“

Das Schicksal teilen sie mit Leipziger Patienten. Auch hier stellte das sportärztliche Institut seinen hochmodernen Geräte, die einst der perfekten medizinischen Begleitung des Trainingsprozesses der Spitzensportler dienten, den „Feierabend“- Sportlern zur Verfügung. Für eine geringe Gebühr wertete ein Ärzteteam unter Professor Reiß einen zweistündigen Test aus und gab Empfehlungen zum individuellen sportlichen Treiben. Vorbei.

Die Hochleistungsportler und Top-Athleten schmerzt die SMD- Auflösung weniger. Durch die Bildung von Olympia-Stützpunkten in den beiden Ostberliner Klubs sind sie versorgt. Alle übrigen Sporttreibenden hängen in der Luft. Da die wenigen Sportärzte im Westteil der Stadt total überfordert sind und sportmedizinische Leistungen von den Krankenkassen nicht übernommen werden, sei ein gefährliches Vakuum entstanden, sagte der ehemalige SMD-Abteilungsleiter Klaus-Peter Schüler. „Viele Jahre wird es dauern, um den entstandenen Verlust an fachlicher Kompetenz und Strukturen der Organisation auszugleichen und wieder Bedingungen zu schaffen, wie sie im Westteil der Stadt gegeben sind,“ erklärte er.

Wobei das sportmedizinische Niveau der alten Bundesrepublik alles andere als erstrebenswert ist. Eine Umfrage der Zeitschrift 'Sports‘ ergab, daß 62 Prozent der Sportler die sportärztliche und physiotherapeutische Betreuung als mittelmäßig bis schlecht einschätzen. Auch hier verlangen die Athleten und Patienten seit Jahren mehr Information, Aufklärung und Zuwendung. In diesen Chor stimmen ihre ostdeutschen Sportfreunde nun mit ein, sofern sie noch bei Stimme sind. bossi