Decoder wird via Satellit kontrolliert

■ Am Donnerstag ging der Pay-Channel „Premiere“ auf Sendung/ Abo-Fernsehen für monatliche 39 Mark

Es war nicht der 27. Sender herkömmlicher Machart, auf dem ein verkabelter TV-Besitzer vorgestern beim abendlichen Experimentieren mit der Fernbedienung unvermittels stoßen konnte. Nein, um 19.30 Uhr begann eine „TV-Revolution“ ('Bild am Sonntag‘), produziert vom Privatsender Premiere. Schonend war der Konsument in den Tagen zuvor vorbereitet worden. „Gestern war Fernsehen, heute ist Premiere.“ Zum Sendestart gab es einen 45minütigen Trailer in eigener Sache — und alle, die ein für Satellitenausstrahlungen empfängliches oder verkabeltes Fernsehgerät besitzen, konnten es sehen — ausnahmsweise. Denn eigentlich ist Premiere einem „ausgewählten Publikum“ (Programmdirektor Klausnitzer) vorbehalten: dem, der fürs Gucken zahlt.

Als Gegenleistung bietet der Pay- Channel Entertainment pur, ein werbespotfreies Programm, das mit seiner Exklusivität, sprich: seinen Erstverwertungsrechten, auf den zwei fundamentalen Fernsehsektoren Spielfilm und Sport auf Kundenfang geht. Der in der Film- und Fernsehproduktionsstätte „Studio Hamburg“ eingemietete Sender will rund 400 Kinofilme pro Jahr in TV-Erstaufführung offerieren und allsonnabendlich eine Fußball-Bundesligabegegnung („Das Top-Spiel der Woche“) live präsentieren. Aktuelle Informationen hält der Spartensender, abgesehen von der Übernahme der dieser Tage allseits beliebten CNN- Nachrichten, nicht vor; weil aber das Unternehmen nicht gänzlich frei von journalistischem Ehrgeiz ist, werden am dritten Programmsegment Eigenproduktionen ausgestrahlt: Dokumentationen, sogenannte Special Events (Pavarotti auf Tournee, Boris Becker privat), Kinderprogramme sowie Magazin- und Musiksendungen. Potentielle Kunden werden regelmäßig mit unverschlüsselt als clear windows angebotene Häppchen versorgt. Appetitanregend mag auch der rein akustische Part des Senders wirken, den jederman jederzeit unverzerrt genießen darf. Auf den Geschmack Gekommene zahlen für das Premiere-„Ticket für die ganze Welt“ (Eigenwerbung) dann 120 Mark Kaution auf den Decoder sowie 39 Mark Monatsgebühren für den reinen Konsum.

Daß die Macher ihr „Markenprodukt“ für unwiderstehlich halten, versteht sich von selbst. Die Erfahrungen mit der Akzeptanz für Abo- Sender auf dem deutschsprachigen Markt halten sich indes in Grenzen. Premiere ist nach dem Teleclub des Mediengiganten Leo Kirch erst der zweite Versuch dieser Art hierzulande. Den mäßig erfolgreichen Vorgänger aus München samt seiner knapp 100.000 Abonnenten hat die Premiere Medien GmbH & Co KG geschluckt — somit teilen sich nun drei Mogule das Unternehmen.

Der französischen TV-Konzern Canal Plus und die Bertelsmann- Tochter Ufa halten jeweils 37,5 Prozent, Kirch ein Viertel der Anteile. Die profiterfahrenen Marktbeherrscher kalkulieren mit einem Investitionsvolumen von einer halben Milliarde Mark, bis das Unterfangen in drei bis vier Jahren Gewinne erwirtschaften soll. Allein die Einführungskampagne des Pay Channel läßt sich das Unternehmen 25 Millionen Mark kosten — ein „normaler Werbeetat für ein Markenprodukt“, wie Premiere-Geschäftsführer Hunsel findet.

Einnahmequelle sind allein die zahlenden Zuschauer. Profituntergrabende Piraterie mit Schwarzmarktdecodern fürchten die Premieristen nicht. Sie preisen ihr Bildentzerrungsgerät — anders als das simple und daher von Bastlern vielfach geknackte Teleclub-System — als absolut sicher. Denn der Decoder ist mit einem Plastikschlüssel ausgestattet, der nicht nur ein filigranes Datennetz enthüllt, sondern auch, via Satellit kontrolliert, neu programmiert werden kann. Der technische Vorsprung vor TV-Hackern beträgt nach Hunsels Erkenntnissen mindestens fünf Jahre. In dieser Zeit will der Sender sein legales Klientel auf rund 750.000 Abonnenten erweitert haben. Ein gewagtes Unterfangen, denn anders als das erfolgreiche französische Vorbild Canal Plus, das terrestrisch empfangen werden kann, ist Premiere auf das Umwerben einer Kabel- und Satellitenklientel beschränkt.

„Hochwertighe Kost verspricht Programmdirektor Rudi Klausnitzer auch den Konsumenten der Eigenproduktion, schließlich hat das Unternehmen kaum Mühen und Kosten gescheut, Namhaftes einzukaufen: Das gesamte product design ist ein Werk des Grafikgenies Neville Brody (The Face), Sportchef ist der gnadenlose Scherzbold Reinhold Beckman (ehemals WDR), die Musikclipshow Airplay macht der weichgespülte Herzensbrecher Stephan Heller (Radio Hamburg), die Interview-Show 0137 moderiert der renommierte Essayist Roger Willemsen unter der Leitung des Ex- 'Tempo‘-Chefzeitgeistlers Markus Peichl, die Prominentenplauderstunde Tacheles wird Generalschwadroneur Johannes Gross abhalten, unterstützt von Theo Sommer und Peter Scholl-Latour.

Zum glücklichen Gelingen des zwei Jahre lang vorbereiteten Projekts fehlt nun nur noch der Run der Fernsehgucker zum Fachhandel zwecks Decodererwerb. Katrin Weber-Klüver