Ein Deserteur wartet auf die Feldjäger?

Seit acht Wochen lebt Ralf Wiedemann als Deserteur/ Doch die Bundeswehr scheut sich, den Totalverweigerer öffentlich festzunehmen  ■ Aus Wuppertal B. Markmeyer

Um kurz nach sechs bilden die DemonstrantInnen einen Kreis um den Lautsprecherwagen. Der Scheinwerfer eines Kameramanns leuchtet in das Innere des Autos. Manche suchen mit den Augen den Elberfelder Kerstenplatz ab. Schließlich greift der Mann im Wagen zum Mikrophon: „Also, es kommt keiner!“ — Und, in das Gelächter hinein: „Wir betrachten Ralf damit als aus der Bundeswehr entlassen!“

Für den 24jährigen Wuppertaler Ralf Wiedemann, der aus dem Auto steigt und sich an die Spitze einerkleinen Demonstration durch die Wuppertaler Innenstadt setzt, ist der Ausgang nicht unbedingt eine Erleichterung. Er ist Totalverweigerer und wollte sich an diesem Donnerstag abend den Feldjägern stellen: „Aber die wollen mich anscheinend nur bei Nacht und Nebel abschleppen.“ Wuppertal war Wiedemanns vierter Versuch, sich öffentlich festnehmen zu lassen.

Am 11. Februar stand er vor der Tannenbergkaserne in Marburg, mit ihm UnterstützerInnen aus dem „Kölner Netzwerk für Deserteure“. Er nannte seinen Namen, bekannte sich zu seiner sechswöchigen Fahnenflucht, forderte seine Entlassung aus der Bundeswehr — und rechnete mit einer Festnahme. Doch der Wachposten ließ das Tor schließen und die Bundeswehr stellte sich taub.

Seit dem ersten Februar hat Wiedemann Fernsehinterviews gegeben und zuletzt der Bundeswehr Ort und Zeit eines Auftritts in Köln am 7. Februar kundgetan. Nichts geschah, während gleichzeitig die Feldjäger mehrfach versuchten, ihn in seiner Wuppertaler Wohnung festzunehmen. Dort jedoch lebt Wiedemann nicht mehr.

Einen Tag nach seinem Einberufungstermin zum Sanitätsbataillon in Marburg am 2. Januar tauchte er unter. „Daß ich dort nicht hingehe, war für mich keine Frage.“ Genauso klar war für Wiedemann, daß er keinen Zivildienst leisten würde, „weil der in die militärische Planung voll einbezogen ist“. Der Beginn des Golfkriegs bestärkte Wiedemann in seiner Haltung: „Ein staatlich auferlegter Zwangsdienst“, sagt Wiedemann zu den Wuppertaler DemonstrantInnen, „kann kein Friedensdienst sein“ und fordert die Abschaffung der Wehrpflicht.

Für den Standortältesten der Bundeswehr in Marburg, Michael Köhler, ist Wiedemann „ein völlig normaler Totalverweigerer“, der „sich zum Märtyrer hochstilisiert“. Eines Tages werde man ihn festnehmen. Wiedemann will vor allem bessere Informationen über und für Totalverweigerer, weshalb er mit anderen eine Verweigerergruppe für NRW gebildet hat. Ihn erwarten nach seiner Festnahme im Höchstfall zwei Monate Haft bei der Bundeswehr und anschließend ein Gerichtsurteil, das ihn wahrscheinlich ein Jahr ins Gefängnis bringen wird.