Die Geschichte(n) der Unterdrückung

■ Internationales Frauen-Dialog-Projekt SCHEHERAZADE

Berlin (taz) — Am Golf schweigen die Waffen. Aber die Notwendigkeit, für den Frieden zu arbeiten, ist damit noch lange nicht getan. Deshalb geht die Scheherazade-Frauenaktion als internationales Dialogprojekt weiter. Scheherazade, die kluge Erzählerin von tausendundeiner Nacht, die mit Märchen und Berichten über unschuldig Getötete einen grausamen Herrscher von weiterem Blutvergießen abbringen konnte, ist heute zu einer politischen Erzählerin geworden. Und darum ist die Aktion Scheherazade längst über sich selbst hinausgeachsen: sie will einen weltweiten Dialog initiieren und den Herrschenden, den Rüstungsindustriellen, den Todeshändlern in den Ohren dröhnen.

Angefangen hat die Aktion mit einem Aufruf für eine Weltabstimmung gegen den Krieg in der taz am Tag des Kriegsausbruchs. Mittlerweile haben 40.000 prominente und unbekannte Frauen aus allen Kontinenten unterschrieben. Am Internationalen Frauentag soll der Stapel an UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar übergeben werden. Aber die Initiatorinnen wissen sehr genau, daß eine „naive Hinwendung“ zur und Hoffnung auf die UNO keine Lösung ist. Die UNO hat sich in den letzten Monaten kläglich und widerstandslos zum Instrument der Kriegswilligen machen lassen; deshalb muß auch sie heute unter scharfen politischen Druck gebracht werden, genau wie die kriegsverantwortlichen Regierungen. Weltweit haben Frauen den Aufruf zum Anlaß genommen, sich kennenzulernen, um von ihrer oft brutalen Lebenswirklichkeit zu berichten, aber auch, um sich zu streiten über unterschiedliche Interessen und die fragwürdige These vom weiblichen Pazifismus. Jetzt soll das internationale Netz auch weiterhin dazu dienen, auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene den schwierigen Dialog zwischen den Kulturen, zwischen Erster und Dritter Welt zu führen — ob nun auf dem internationalen Frauenkongreß vom 4. bis 8. März in Nürnberg oder auch in der für Mai geplanten Nahost-Friedenskonferenz in Berlin.

Der Krieg ist zu Ende, aber einen wirklichen Frieden gibt es noch lange nicht. Zu groß sind die Wunden, die in der ganzen Region des Nahen Ostens geschlagen wurden, zu groß ist der Haß, der immer schon war und neu herbeigebombt wurde. Die mancherorts festzustellende Annäherung von oppositionellen DemokratInnen, arabischen NationalistInnen und islamischen FundamentalistInnen ist aus westeuropäischer Sicht schwer zu ertragen, aber sie ist eine Realität. In den wütenden Protesten von PalästinenserInnen und AraberInnen in Jordanien, Ägypten und anderswo gegen den Massenmord „des US-Imperialismus“ setzten sich jahrehundertealte demütigende Erfahrungen mit westlichem Kolonialismus und Neokolonialismus in willkürlich auf dem Reißbrett gezogenen Staatsgebilden frei. Die „neue Weltordnung“ Bushs wird höchstwahrscheinlich eine neue Welle von Aufrüstung, inneren Unruhen und Repression durch wacklige Regimes mit sich bringen; die Gefahr, daß sie neue Saddam Husseins erzeugt, ist groß. Diese neue alte Ordnung wird weder die Israelis einer gesicherten Existenz näherbringen noch die PalästinenserInnen einem unabhängigen Staat; sie wird über die unterdrückten Kurden hinwegrollen, türkische und iranische und womöglich auch syrische Großmachtgelüste neu entzünden und die Frauen in allen Ländern noch tiefer in die doppelte Unterdrückung durch die Staatsmacht und die eigenen Männer hineinstoßen. Sie will auch weiterhin verhindern, daß die Weltöffentlichkeit etwas erfährt von den Morden, der Folter, den Vertreibungen, Entrechtungen und Entwürdigungen, die schon lange und regelmäßig stattfinden.

Der 8.März als Internationaler Frauentag ist zwar oft mißbraucht worden. Aber in diesem Jahr soll er für weltweite Proteste genutzt werden — beispielsweise in schwarzer Kleidung, wie es die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ vorschlägt. In Deutschland und Europa gibt es konkrete Adressaten des Protestes — eben die Militärindustrie. Sie hat nicht nur Saddam Hussein den Krieg ermöglicht, sondern ist wahrscheinlich dabei, die nächsten Diktatoren mit ABC-Waffen zu versorgen. Denn im entscheidenden Unterschied zu Hitler verfügen weder der Iraker noch andere Despoten in der Dritten Welt über eine autarke Industriebasis. Also ist es unsere große moralische Verantwortung vor der Welt, das Weitermorden hier zu stoppen. Ute Scheub