: Angst und Schrecken in der City
■ Montagsexperten kommen zu Wort HAUPTSTADT GANZ NACKT
Nein, nein, nein — so wird das nie was mit der anvisierten Metropole. Wie aber auch nicht anders zu erwarten, setzt man hier auf das Modell »Fußgängerzone Passau« mit schnuckligen Lädchen und rustikalen Fassaden. Dieses Nahziel sehen die Verfechterinnen und Verfechter der blitzblank polierten Gehwegplatten aufs Schmutzigste gefährdet. Das Zentrum der Stadt, der Breitscheidplatz, wird mit Schmuddelfüßen getreten. Entsetzen herrscht: »Im Herzen der Stadt verspüren die Menschen Ekel, Abscheu, ja Angst.« Dieser dringende Hilferuf stand in der 'Bild‘-Zeitung unter der Überschrift: »Angst und Schrecken rund um die Gedächtniskirche«. Was ist passiert? Ist Saddam doch noch in Berlin einmarschiert? Wütet unter dem leuchtenden Mercedes-Stern ein Serienkiller? Falsch, es ist alles viel, viel schlimmer. Drogenabhängige, Schläger, Hütchenspieler, Diebe, Penner, Chaoten — kurz: dreckiges Gesocks hat sich auf dem Berliner Heiligtum breitgemacht.
Akkurate Shopperinnen fühlen sich bedroht. Deutsche (Berliner!) Männer sind machtlos gegen Hütchen, Heroin und Haschisch. Hinter gezielt angelegte Urinlachen und Kotzehaufen hält sich der fixende und feixende Abschaum verschanzt. Adrette Berlinerinnen und Berliner sind gezwungen zu kapitulieren. Die Leiterin des Tschibo-Ladens (18.000 Mark Monatsmiete) erzählt von den fiesen Tricks der Anti-Kriegs-Demonstranten, mit denen sie in den wirtschaftlichen Ruin getrieben werden soll: »Oft kommen zehn Chaoten, teilen sich eine Tasse Kaffee, blockieren stundenlang den ganzen Laden. Da geht jedes Geschäft kaputt.« Auch schlimm: Ausländer schlagen sich in aller Öffentlichkeit. Niemand benutzt die Mülleimer.
Schon seit Wochen haben 'Bild‘ und 'BZ‘ den Kampf gegen die Schmutzgreuel auf dem Breitscheidplatz zu ihrer Sache gemacht. Jetzt haben sie endlich den Innensenator angerufen, der auch prompt Sauberkeit und Sicherheit zugesagt hat. Heckelmann: »Wir verfolgen alle das gleiche Ziel: einen attraktiven, lebendigen Breitscheidplatz wiederzugewinnen, der das vielfältige Leben in dieser Stadt widerspiegelt.« Dieses Ziel hat man im Berliner Untergrund schon erreicht. Am Sonnabend wurde auf den U- und S-Bahnhöfen das vielfältige Leben um 20 Schäferhunde aufgestockt.
Die attraktiven Sauberkeits- und Sicherheitsmaßnahmen (zum Beispiel 100 neue private Wachschutzmänner) sollen die 20 Millionen DM widerspiegeln, die der Senat der BVG überwiesen hat. Die Schlacht um den Polenmarkt wurde heldenhaft gewonnen, den Untergrund hat man im Griff, aber niemand kann sagen, ob die Innenstadtkrise gelöst werden kann. Das internationale Ansehen der Stadt als Meister-Propper-Zentrum steht auf dem Spiel.
Enno Bohlmann
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