»Who the fuck is Peter Weiss?«

■ »Peter Weiss · Leben und Werk« — die Ausstellung in der Akademie der Künste antwortet auf ein Schutzwall-Graffito

Der Schriftsteller, Maler und Filmemacher Peter Weiss (1916-1982) hinterließ seinen Nachlaß der Akademie der Künste, um ihn der Forschung zugänglich zu machen. In Zusammenarbeit mit dem Moderna Museet Stockholm präsentiert die Akademie den Autor jetzt auch einer größeren Öffentlichkeit. Seine Frau und künstlerische Mitarbeiterin Gunilla Palmstierna- Weiss hat zusammen mit dem Germanisten Jürgen Schutte dabei nicht nur Lebensdokumente und literarische Materialien zusammengestellt, sondern auch den Maler und Filmemacher thematisiert. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Zusammenarbeit des Ehepaares Weiss auf dem Theater.

Intendiert ist damit aber nicht die unkritische Verehrung des Multi- Media-Talentes Weiss als Genie eines Gesamtkunstwerks. Die unterschiedlichen Kunstformen sind in ihrer Widersprüchlichkeit vielmehr einer Perspektive unterstellt, die erst der das Weiss'sche Oeuvre abschliessende Roman Ästhetik des Widerstandes entwickelt hat: »Kultur sei Auflehnung!« Dieses Motto wird dem Besucher in einem großflächig reproduzierten Zitat auf seinen Weg in die Ausstellung mitgegeben.

Schon die ersten drei Ölgemälde aber zeigen, daß es einer langen Entwicklung bedurft hat, um diese Position einzunehmen. Das Selbstporträt von 1938 hält mit einer fast idyllischen Naivität eine Industrielandschaft fest, deren reale Trostlosigkeit nur im Gesichtsausdruck des von ihr abgesetzten Künstlers widerspiegelt ist. Weiss, Sohn eines Textilfabrikanten, verfügt zu Beginn seines künstlerischen Arbeitens keineswegs über eine sichere Alternative zur kapitalistischen Produktionswelt. Die Bilder der dreißiger Jahre sprechen davon eine deutliche Sprache. Am entschiedensten das Gemälde Die Maschinen greifen die Menschheit an von 1935. Die Bildkomposition zeigt eine vor Maschinen flüchtende Menschenmasse. Ihr gegenüber aber wird keine Solidarität suggeriert, als Gegenbild fungiert vielmehr die künstlerische Absetzung vom Weltgeschehen. In einem Haus, dessen Fassade bereits eingefallen ist, erkennt man einen Maler in seinem Atelier. Die Gewalt auf der Straße dagegen scheint nicht aufzuhalten zu sein. Als Opfer herausgehoben wird eine tote Frau im Haus des Malers. Verarbeitet ist darin der Tod von Weiss' Schwester Margit bei einem Autounfall. Diese private Tragödie überschattet die künstlerischen Themen zunächst sehr viel mehr als die faschistische Bedrohung, vor der die Familie Weiss nach London, Prag, schließlich nach Schweden flüchtete. Für Peter Weiss eine Phase permanenter Orientierungslosigkeit und des Suchens, die die Innenarchitektur der Ausstellung optimal umsetzt.

Im Labyrinth

Man bewegt sich in den Ausstellungsgängen zu den dreißiger und vierziger Jahre wie in einem Labyrinth: die unterschiedlichen Aufenthaltsorte und Zeitumstände greifen ineinander, eine schlichte Chronologie ist nicht beabsichtigt.

Auffällig ist dabei, daß die außerordentliche Themenfülle der Bilder mit einer erstaunlichen maltechnischen Begabung einhergeht, beide Elemente aber nicht sinnvoll miteinander verbunden sind. Großartige Anspielungen auf die spätmittelalterlichen Maler Breughel und Bosch finden sich zitiert in den schlicht-naiven Bildräumen eines Henri Rousseau. Gleiches gilt auch für die ersten literarischen Bezugswelten. Die Bewunderung der esoterischen Fluchtwelten eines Hermann Hesse — Auszüge aus dem Briefwechsel und photographische Zeugnisse eines Besuches in Montagnola (1938) sind in einem der Schaukästen dokumentiert — steht gleichrangig neben der Faszination durch die schwedische Autorin Karin Boye, deren Bücher Weiss die Möglichkeit eines Scheiterns der Kunst angesichts des Faschismus vorführen.

Aus diesen unklaren — im Katalog leider nicht kritisch weiterbehandelten — Zusammenhängen hat er sich auf dreifache Weise hinausgearbeitet. Der Besucher der Ausstellung kann ihnen nachgehend auf jeweils neue Weise das Labyrinth des Frühwerks verlassen.

Die Ausstellungspräsentation der Bilder zeigt, daß in den Nachkriegsjahren die Malerei fast vollständig durch eine Collage-Technik abgelöst wird. Die Zitate erhalten dabei, befreit von den großen thematischen Vorgaben, in die sie vorher integriert waren, ein künstlerisches Eigengewicht. Es geht nicht mehr um eine Übersetzung der Welttheaterthemen im Stile Breughels ins 20. Jahrhundert, sondern um ihre Einsetzung als Fragment.

Ähnliches gilt für die Verwendung surrealer und existentieller Elemente im Film. Experimentell eingesetzte Traumsymbolik und heroisches Einsamkeitspathos werden in die gesellschaftliche Alltagswelt Stockholms versetzt. Dies zeigt besonders Hägringen (Der Verschollene) von 1958, ein Film, der in einer Sonderveranstaltung zur Ausstellung am 8. März gezeigt wird. In der Schau selbst ist eine umfangreiche Video-Präsentation von Dokumentar- und Experimentalfilmen aus den fünfziger Jahren installiert.

Den finanziellen Erfolg und eine größere Rezeption seiner Arbeiten aber erreichte Weiss erst durch seine literarischen Arbeiten: Der Schatten des Körpers des Kutschers (1960) und Abschied von den Eltern (1961). Sätze wie — »Das Ich, das ich mit mir schleppte, war verbraucht, zerstört, untauglich, es mußte untergehen« — markieren noch einmal die entscheidende Zäsur.

Auf dem Theater

Der Besucher findet sich nach diesen Stationen in einer überraschend offenen Raumkomposition wieder. Der Theaterautor und die Bühnenarbeiten von Palmstierna-Weiss, die in Schaukästen detailliert rekonstruiert sind, stehen im Mittelpunkt des zweiten großen Ausstellungsraumes. Sie bilden ein Arrangement mit Zitaten aus dem jeweiligen Stücken und über Kopfhörer eingespielten Tondokumenten der Aufführungen. Separate Vitrinen präsentieren das Material der Recherche-Arbeiten. Von großer Wichtigkeit in diesem Kontext ist, wie Palmstierna-Weiss in einem Vortrag am 26. Februar ausführte, das Marat/Sade-Stück von 1964, bedeutete es doch zugleich den dramaturgischen Durchbruch des Ehepaares Weiss und ein entscheidendes Signal für das politische Theater der BRD. Ideale Aufführungsmöglichkeiten fand Weiss danach aber auch immer wieder in der DDR. Interessanterweise bricht die große dramaturgische Wirkung in beiden deutschen Ländern mit dem Trotzki-Stück von 1971 ab. Bei der Düsseldorfer Uraufführung besetzte die Apo die Bühne — die anarchistische Aufwertung von Trotzki wurde als Verrat empfunden. Die DDR lehnte das Stück im Lenin- Jahr ebenfalls als Provokation ab und die bundesdeutsche bürgerliche Presse nahm es sowieso nur als Skandal zur Notiz. Peter Weiss sollte dadurch seine Arbeitsweise noch einmal entscheidend verändern.

Das Buch als Gegenwelt

Mit den siebziger Jahren beginnt er die Arbeit an der Ästhetik des Widerstandes. Dem Roman ist der dritte Ausstellungsabschnitt gewidmet. Die Präsentation aber ist wenig überzeugend. Anstatt die zahlreichen disparaten Inhaltselemente des Romans dokumentarisch aufzuarbeiten, beschränkt man sich auf großflächige Bildillustrationen. Ausgangspunkt ist wie im Text das Pergamon-Fries vom Zweikampf zwischen Olympiern und Titanen. Dieser Ausschnittsreproduktion schließen sich Motive aus Géricaults Floß der Medusa und aus Picassos Guernica an. Hinzukommen vergrößerte Reproduktionen der überarbeiteten maschinenschriftlichen Fassung. All dies aber kann auch im Buch selbst nachgelesen und rekonstruiert werden. Was fehlt ist jede Inbezugsetzung der Bildthemen im Roman zur problematischen Malerei der dreißiger und vierziger Jahre.

Die literarische Entwicklung von Weiss hat man sorgfältiger aufgearbeitet, wobei der Lesung von unveröffentlichten Texten am letzten Donnerstag in der Akademie eine besondere Bedeutung zukam. In Vorspiel von 1960 bildet der Verzicht auf die bildnerische Arbeit und der Übergang zur Literatur das entscheidende Thema. Künstlerischer Ausdruck aber wird dadurch — vor allem angesichts der gesellschaftlichen Barbarei — nicht selbstverständlicher. Der Infragestellung wird immer wirksamer Ausdruck verliehen, wie Weiss es zunächst in einer Neudichtung der Divina Commedia Dantes versuchte. Noch einmal begreift sich der Autor aus der Sicht seines eigenen Scheiterns gegenüber den irrationalen Ansprüchen der ihn umgebenden Gesellschaft. In der Ästhetik des Widerstandes ist mit den Worten von Christa Grimm im Katalog der Schluß ein anderer: »Es geht nicht um einen einzelnen, der zu retten ist oder sich retten soll, sondern um eine geistige Wachheit, die globales Überleben ermöglichen soll.« Thomas Schröder

Die Ausstellung ist noch bis zum 28. April 1991 in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10 täglich von 10.00 bis 19.00 Uhr (montags ab 13.00 Uhr) zu sehen.