»Serielle Monogamie« in Ost wie West

■ FU-Studie über das Sexualverhalten von West- und Ostberliner Jugendlichen

Berlin. Die Jugend will geliebt werden und lieben. Und das richtig ernsthaft, tief und innig. Die Mehrheit der Berliner Jugendlichen suchen Vertrauen, gegenseitiges Verstehen, Zärtlichkeit und Treue in ihren sexuellen Beziehungen. Traditionelle Werte, die bei Ost- und Westberliner Jugendlichen gleichermaßen in hohem Kurs stehen.

Entgegen allen Illustriertenkampagnen zum Thema Sex in Ost und West, gibt es kaum Unterschiede in den Sexualvorstellungen Ost- und Westberliner Jugendlicher. Das fanden ErziehungswissenschaftlerInnen der Freien Universität im Rahmen einer Untersuchung »Jugend, Sexualität und Aids« heraus. Weder die These von der wilden, freieren Lust im Osten noch das Bild von den verklemmten OstlerInnen, die jetzt in Beate-Uhse-Läden nachholen, was ihnen 40 Jahre lang verwehrt worden ist, läßt sich bestätigen.

Bei den Befragungen von fast 900 Ost- und Westberliner Schülern der achten bis zehnten Klassen setzten die Jugendlichen auf eine stabile Beziehung. Das sei nicht unbedingt konservativ zu verstehen, meint der Erziehungswissenschaftler Hans Oswald. Im Gegenteil, das moderne an diesen Wertemustern sei die »serielle Monogamie«. »Man ist sich treu«, so Oswald, »aber man läßt sich auch ohne große Schwierigkeiten scheiden, wenn es nicht mehr geht.«

Daß trotz unterschiedlicher Gesellschaften nahezu gleiche Werte bei den Jugendlichen entwickelt wurden, verwunderte auch die WissenschaftlerInnen. Oswald führt das darauf zurück, daß trotz der »Attacke gegen die bürgerliche Sexualmoral« die sozialistische DDR-Gesellschaft »muffig und konservativ in diesen Fragen war«. Auch die strengere Erziehung der Jugend in der Schule und der Jugendorganisation FDJ habe dazu beigetragen. Gleichzeitig jedoch seien die Erfahrungen der Jugendlichen, wie viele Antworten belegen, durch das Westfernsehen geprägt gewesen.

Ein verändertes Verhalten der Ost-Jugend nach der Wende sei noch nicht zu erkennen. Die neuen Zahlen gleichen denen des Zentralinstitutes für Jugendforschung in Leipzig, dessen Untersuchungen nach eigenen Aussagen schon vor zwei Jahren die Wende andeuteten.

Im sexuellen Verhalten konnten die WissenschaftlerInnen dann doch geringfügige Unterschiede zwischen Ost- und West-Schülern feststellen. Am auffälligsten war, daß Westberliner öfter und früher miteinander ins Bett gehen als die Ostberliner. Auch halten sie kürzer an einer Person fest. Während Ostberliner Jungen und Mädchen im Durchschnitt nur einmal den Partner wechseln und sich auch die Mädchen beider Stadthälften hier kaum unterscheiden, sind Westberliner Jungen unsteter. Im gleichen Zeitraum haben sie drei Partnerinnen.

Ebenfalls gehen Jugendliche, hauptsächlich Jungen, im Westen öfter fremd. Dafür bedeutet den Ost- Jungen die Treue der Freundin viel mehr als ihren Altersgenossen im Westen. Allerdings lehnte die große Mehrheit aller Befragten (73 Prozent) mehrere sexuelle Beziehungen gleichzeitig strikt ab.

Verhütet wird in Ost und West gleich. An erster Stelle rangiert das Kondom (60 Prozent), an zweiter die Pille. Resümierend stellen die WissenschaftlerInnen fest, daß der Schluß, Ostberliner Jugendliche seien in ihren sexulellen Beziehungen traditioneller als Westberliner, allenfalls für eine Minderheit gelte. Wenigstens hier hat es mit der Angleichung der Verhältnisse schon funktioniert. anbau