Neo-Schwabe Daum fleht: »Hertha, bleib!«

■ Der VfB Stuttgart, zu Gast in Berlin, ließ Gnade vor Recht ergehen und besiegte Hertha BSC liebevoll mit 2:0

Charlottenburg. Zu Tränen rührte er uns, der sonst so rüde Christoph Daum, seines Zeichens Fußball- Übungsleiter des VfB Stuttgart. Mit unerbittlichem Pathos wallte er zwischen Schnurrbart und mächtigem Unterkiefer hervor: »Es ist mein Herzenswunsch, daß Hertha BSC der Bundesliga erhalten bleibt. Die Mannschaft hat bis zum 0:2 richtig gut mitgespielt.« Ob die Tränen nun von Trauer oder Lachen über dieses verbale »Notopfer Berlin« kamen, egal. Trotzdem soll jetzt nach der dritten Heimniederlage der Herthaner das Team von Pal Csernai nicht mit Spott beschüttet werden, keineswegs. Es hat nämlich keinen Sinn mehr.

Außerdem ist es gemein, gequälten Häuptern aufs selbige zu schlagen. Sechs billige Punkte beträgt jetzt schon der Rückstand der Hertha zum rettenden 16. Platz. Und wie, ja wie nur wollen sie die Punkte nur gewinnen? Es stimmt schon, daß sich die Herthaner recht viel Mühe gaben, doch scheinbar können sie's einfach nicht besser. Und dabei waren die Chancen für ein Unentschieden gar nicht schlecht. Denn nach ihrem üppigen Sieg gegen Dortmund zeigten sich die VfB-Schwäblis im Olympiastadion wieder mehr in ihrer angeblich landestypischen Weise. Sie geizten sozusagen mit fußballerischer Spielkultur und begannen überraschend defensiv.

Überraschend forsch starteten dagegen die Herthaner. Die geniale taktische Variante, bei einem Heimspiel den einzigen noch verbliebenen Stürmer (Unglaube) von Beginn an spielen zu lassen, brachte sie in den ersten 20 Minuten doch schon einige Male bis an den Strafraum der Stuttgarter. Der arme Unglaube durfte während des Spiels sogar drei Mal aufs Tor schießen. Unterstützt werden sollte er von den sozusagen »Hilfsstürmern« Uwe Rahn und Theo Gries, und es gilt als erwiesen, daß sie sich auf dem Platz aufgehalten haben sollen. Die Herthaner waren bis zum 0:1 zumindest, wie heißt es, also »optisch« überlegen, genau. Denn die VfBler waren schlau und taten nur soviel, sich Gefahr vom eigenen Tor zu halten.

Ebenso pfiffig semmelten sie Walter Junghans nach 51 Minuten im Olympiastadion zum ersten Mal den Ball wieder ins Tor. Mit einem fiesen Trick aus B-Jugend-Zeiten narrten Allgöwer, Buchwald und Sammer die Hertha-Abwehr wie folgt: Ersterer nimmt mächtig Anlauf zum scheinbar wie gewohnt wüsten Kick aufs Tor, schiebt die Kugel aber zärtlich an der Mauer vorbei zu zweitem, welcher ersterem den Ball vor die Füße stupst, und der ballert den Ball technisch perfekt ins Toreck. Ganz einfach.

Doch die Herthaner gaben nicht auf und wetzten und ackerten weiter. Es nutzte aber nichts, denn selbst einfachste Kombinationen klappten nicht. Als Entschuldigung mag gelten, daß es seit drei Monaten das erste Spiel für sie auf einigermaßen normalem Boden war: Nachwirkungen der verkorksten Winterpause. Da klappt auch das Foulspiel noch nicht richtig, und so trat Halvorsen im Strafraum Sammer auf die Füße. Den Elfer durfte Walters Fritz zum Einstand ins Tor treten.

Zu diesem Zeitpunkt waren übrigens auch sie (von aufgeklärten Pressevertretern selbstverständlich so genannten) »Urwaldlaute« einiger Zuschauer aus Block A verstummt, rätselhafterweise immer bei Ballbesitz Sammers angestimmt. Nach harter Anstrengung konnte die logische Denkleistung dieser Hertha-Fans entschlüsselt werden: Sammer (sowieso rothaarig) = Zoni = Banane = Mensch aus Afrika. Au weia.

So schaut's im Berliner Fußball wieder ziemlich trostlos aus, und Besserung scheint nicht in Sicht, denn schon morgen abend müssen die Herthaner zum Nachholspiel bei der Wundermannschaft vom Millerntor antreten, dem ruhmreichen FC St. Pauli, Bändiger der unbesiegbaren Bayern! Das gibt wohl ziemlich was auf die Mütze. Aber: immer positiv denken. Also, Butschies, nix absteigen, gewinnt endlich mal, denkt an meine Karriere, fleht fröhlich im Tränenmeer planschend Schmiernik

VfB Stuttgart: Immel — Schmäler — Buchwald, Schäfer — Buck, Allgöwr, Sammer (80. Basualdo), Hartmann, Frontzeck — Walter, Sverrisson (80. Kastl)

Zuschauer: 12.872

Tore: 0:1 Sammer (22.), 0:2 Walter (63./Elf.)

Hertha BSC: Junghans — Halvorsen — Zetzmann, Scheinhardt — Winkhold, Celic, Schlegel, Gries, Görtz — Rahn, Unglaube