Der Tod einer Canaille

■ Der Chansonnier Serge Gainsbourg ist gestorben

Paris (taz) — Ein Gesicht wie aus der pathologischen Präparatesammlung, zerwühlt wie ein Bett am Sonntagmorgen, mittendrin ein Zinken zum Dosenöffnen — und eine tiefe, eine untergürteltiefe Stimme, die alle Säfte steigen läßt: Serge Gainsbourg, die Canaille unter Frankreichs Chansonniers, ist Samstag nacht hinabgefahren zur Hölle.

Ans Ohr der Deutschen drang er nur als kommender und gehender und kommender Widerpart einer extasierenden Jane Birkin in Je t'aime moi non plus. TanzschülerInnen werden sich schwül erinnern. Aber in Frankreich ist Gainsbourg einer der Großen, einer von den Brel, Ferré, Brassens.

Er war der Sohn eines jüdischen Barpianisten aus Rußland, der in den Zwanzigern nach Paris entfliehen konnte. Die Nazi-Okkupation hinderte Gainsbourg daran, Maler zu werden. In der Armee fing er das Saufen an. Dann traf er Boris Vian und wurde Chansonnier. Dreißig Jahre lang sang, komponierte, textete er sich durch sämtliche Stile. Jazz, Java, Rock, Pop, Reggae. Jedesmal Perfektionist. Auch auf schlüpfrigem Boden jonglierte er mit den Worten wie kein zweiter, so lange bis die Sprache Rhythmus und Musik wurde: „Otto est une tata teutonne...“ — Etwas blasser auf deutsch: „Otto die Teutonentunte / Mit Ticks befallen und mit Tierchen / Tankt an den eigenen Titten / Die er betechtelmechtelt / Und seine Knarre knattert / Tätätätä“.

In der Öffentlichkeit trat Gainsbourg mit der scheuen Zurückhaltung eines Charles Bukowski auf, verbrannte Geldscheine vor den Kameras und erschien volltrunken zu Liveterminen. „Er war der einzige, der sagte was er dachte“, sagten die Leute, die sich gestern morgen vor seiner Wohnung in der Rue de Verneuil versammelt hatten. Kulturminister Lang pries das „Rimbaudsche Ideal“, das der Poet Gainsbourg gelebt hätte. Totgesoffen, totgekokst, totgehurt — egal: Serge Gainsbourg ist tot. Und die Welt ein wenig toter. Alexander Smoltczyk